zurück
Laudenbach
Laudenbach: Wie dieses Dorf 600 Jahre jüdische Geschichte in Franken erzählt
Juden prägten über Jahrhunderte das Leben in Franken mit. In Laudenbach in Main-Spessart erzählt die Synagoge von dieser Geschichte. Warum sie jetzt gerettet werden muss.
Aktuell kein Blickfang, aber ein Haus mit besonderer Geschichte: die ehemalige Synagoge von Laudenbach.
Foto: Fabian Gebert | Aktuell kein Blickfang, aber ein Haus mit besonderer Geschichte: die ehemalige Synagoge von Laudenbach.
Michael Czygan
 |  aktualisiert: 08.02.2024 10:56 Uhr

Nicht nur der Putz bröckelt: Sie ist in keinem gutem Zustand, die ehemalige Synagoge von Laudenbach (Lkr. Main-Spessart). Am beliebten Main-Radweg Richtung Karlstadt gelegen, verfällt das jüdische Gotteshaus von 1736. Doch es gibt Hoffnung. Seit 2013 engagiert sich ein "Förderkreis ehemalige Synagoge" für den Erhalt des geschichtsträchtigen Gebäudes.

Jahrhundertelang prägten Jüdinnen und Juden als starke Minderheit das Leben auf dem Lande in Unterfranken mit. Und Laudenbach ist eine der ältesten Gemeinden, seit 1426 siedeln Juden in dem Dorf. Die Erinnerung daran nicht der Verwahrlosung preiszugeben, sei sein Motiv gewesen, sich zu engagieren, sagt Georg Schirmer, einer der Mitbegründer des Förderkreises.

Der 67-jährige Psychologe und Pädagoge, der aus Schweinfurt stammt und lange Jahre die Erziehungsberatungsstelle im Landkreis Main-Spessart leitete, lebt seit vielen Jahren in Laudenbach, dem 1100-Einwohner-Stadtteil von Karlstadt. Als die ehemalige Synagoge - nach der Vertreibung und Ermordung der Juden als Scheune, Lager- und Maschinenhalle genutzt - 2013 zum Verkauf stand, erwarb die Stadt das Gebäude, das sich als stark baufällig erwies, für wenig Geld. "Reißt es weg", auch solche Stimmen seien in Laudenbach zu hören gewesen, sagt Schirmer.

Georg Schirmer ist Vorsitzender des Förderkreises Ehemalige Synagoge Laudenbach.
Foto: Fabian Gebert | Georg Schirmer ist Vorsitzender des Förderkreises Ehemalige Synagoge Laudenbach.

Das Gotteshaus, das 1657 erstmals schriftlich erwähnt und 1736 dann umgebaut wurde, gilt heute als eine der ältesten erhaltenen Landsynagogen in Deutschland. Es gelang, das Gebäude notdürftig zumindest so herzurichten, dass seine religiöse Bedeutung, allen Zerstörungen und Bausünden zum Trotz, erlebbar wird.

Mit Vorträgen und Konzerten lockte der Förderkreis Interessierte nach Laudenbach. Eine  Menora, der siebenarmige jüdische Leuchter, Erinnerungsstücke wie die Gedichte- und Liedersammlung des jüdischen Lehrers Samuel Adler von 1893 und ein paar jüdische Familienfotos lassen erkennen, was durch die Schoah endgültig vernichtet worden war.

Wie der Hochzeitsstein Ehepaaren Glück bringen sollte 

Ein Blickfang an der Außenfassade ist neben den Fenster-Gewänden, die mit hebräischen Buchstaben verziert sind, der in die Außenmauer eingelassene sogenannte Hochzeitsstein von 1736. Frisch verheirate Paare mussten einst ein Glas gegen die rote Sandstein-Platte werfen, die der Davidstern und die Inschrift "Masel tov" zieren. Die Scherben sollten dann "viel Glück" bringen. Der Innenraum der Synagoge ist karg, an einzelnen Ecken sind Stützen eingezogen, Fenster sind zugemauert. Mit Hilfe historischer Bilder zeigt Georg Schirmer, wie glanzvoll das Gotteshaus einst ausgestattet war und wo sich unter anderem der prächtige Toraschrein befand.   

Shimon Schwarzschild vor dem Hochzeitstein an der Außenmauer der Synagoge.
Foto: Anja Baier | Shimon Schwarzschild vor dem Hochzeitstein an der Außenmauer der Synagoge.

"What a beautiful place", habe der US-amerikanische Umweltaktivist Shimon Schwarzschild gesagt, als er im November 2019 in der Synagoge stand. Schwarzschild, geboren 1925 in Wertheim (Main-Tauber-Kreis) besuchte den Ort, wo er als kleines Kind mit seinen Großeltern Moses und Ida Birk den Schabbat-Gottesdienst gefeiert hatte. "Seine Worte im Angesicht dieses Hauses haben mich ergriffen", sagt Georg Schirmer. Schwarzschild habe in den 70er Jahren, als er erstmals nach der Flucht vor den Nazis wieder nach Laudenbach kam, nämlich noch erleben müssen, wie ihn der neue Besitzer des Hauses seiner Großeltern des Grundstücks verwies.

Heute steht dieses Haus nicht mehr, an seiner Stelle sollen demnächst zwei Stolpersteine an die jüdische Metzgerfamilie erinnern. Shimon Schwarzschild will denn auch bald wiederkommen nach Laudenbach. "Er kann gar nicht erwarten, dass die Pandemie endlich vorüber ist", hat Georg Schirmer der jüngsten E-Mail aus New York entnommen.

Über 600 Jahre lebten Juden in Laudenbach Seite an Seite mit den Christen. Zu Beginn des 19. Jahrhunderts waren es 180, die größte Zahl in der Geschichte. Jüdinnen und Juden stellten damals über ein Viertel der Bevölkerung. Bis sie ab 1860 zumindest formal den Christen gleichgestellt waren, war jüdisches Leben streng reguliert.  Juden standen "unter Schutz" der jeweiligen Landesherren, in Laudenbach waren das zunächst die Wertheimer Grafen und die Voite zu Rieneck, später das Würzburger Juliusspital. Teilweise explizit als "Gastarbeiter" angesiedelt, waren sie zu Abgaben und Mietzahlungen verpflichtet, die häufig nicht zu knapp ausfielen.

Stolpersteine erinnern in Laudenbach unter anderem an die ehemaligen Besitzer der Getreidemühle Berney.
Foto: Fabian Gebert | Stolpersteine erinnern in Laudenbach unter anderem an die ehemaligen Besitzer der Getreidemühle Berney.

Juden durften keine landwirtschaftlichen Flächen besitzen, auch die Handwerkszünfte standen allein der christlichen Bevölkerung offen. So blieb ihnen in aller Regel der Handel, um Geld zu verdienen.  "Aber diese Jobs gehörten zum Dorf-Leben dazu", schildert Schirmer. Laudenbach lag schließlich an einer zentralen Verkehrsader, direkt am Main. Vieh-, Getreide- oder Tuchhandel galten dabei als vergleichsweise lukrativ, viele Menschen mussten sich aber auch als Honig-, Alteisen- oder Lumpenhändler durchschlagen.

Wie es zwischen Juden und Christen zu Konflikten kam 

Geldverleih war ein weiteres Betätigungsfeld für Juden, häufig ein konfliktträchtiges, vor allem wenn ein Schuldner nicht mehr in der Lage war, seinen Verpflichtungen nachzukommen. Zu wirtschaftlichem Streit kamen vermeintlich theologische Konflikte im Dorf. Weil Juden ihre Toten innerhalb von 24 Stunden und deshalb auch sonntags beerdigen mussten, beklagte sich schon mal ein Pfarrer über die "Entheiligung" des Feiertags. Katholiken hätten sich daraufhin animiert gefühlt, so wird kolportiert, die Trauergesellschaft zu beschimpfen oder gar mit Steinen zu bewerfen. Juden wiederum hätten christliche Feiertage entehrt, heißt es, und bei Prozessionen hinter dem Fenster den Herrn Jesus verspottet. Die Saat für tief verwurzelte Vorurteile, die letztlich in der Shoah ihren traurigen wie schlimmsten Höhepunkt fanden, war schon lange gelegt.

Versteckt hinter diesem Verschlag befindet sich die Mikwe, das jüdische Ritualbad, in Laudenbach.
Foto: Fabian Gebert | Versteckt hinter diesem Verschlag befindet sich die Mikwe, das jüdische Ritualbad, in Laudenbach.

Spätestens nachdem die christlichen Nachbarn ihre Synagoge am 10. November 1938 gestürmt und das gesamte Interieur direkt davor ins Feuer geworfen hatten, versuchten die meisten Juden aus Laudenbach - Anfang der 30er Jahre waren es noch rund 80 - zu fliehen, viele zunächst in die Großstädte, die ein wenig mehr (trügerische) Sicherheit versprachen. Die letzten elf im Dorf verbliebenen Juden, darunter die fünf und sechs Jahre alten Brüder Wolf und Karl Frank, wurden schließlich im April 1942 über Würzburg in die Vernichtungslager im Osten deportiert. 

Geschichten vom Miteinander erzählen 

Geschichten vom Miteinander zu erzählen, aber eben auch zu warnen, zu welchen Verbrechen über Jahrhunderte gewachsene Vorurteile führen, ist das Credo von Georg Schirmer, wenn er Gruppen durch die jüdische Geschichte Laudenbachs führt. "Darunter erfreulich viele Schulklassen", wie er sagt. Er zeigt den historischen Judenhof am Rienecker Schloss, eine Ansammlung kleiner denkmalgeschützter Häuschen, wo der Graf einst "seine Juden" unterbrachte. Und der Vorsitzende des Förderkreises macht Station am Grundstück seines Freundes Horst Wittstadt. Dort ist, versteckt in einem Gartenhaus, noch die von 1826 datierte Mikwe, das durch den Laudenbach gespeiste jüdische Ritualbad zu sehen. Ein Kleinod, von dem es so viele in der Region nicht mehr gibt.

Laudenbach hat einen der größten jüdischen Friedhöfe in Bayern.
Foto: Fabian Gebert | Laudenbach hat einen der größten jüdischen Friedhöfe in Bayern.

Schirmer kennt die Häuser, die eine jüdische Vergangenheit haben. Die verfallene Mühle Berney oder das Fachwerkhaus unterhalb der Dorfkirche, das nicht nur eine Getreidehandlung beherbergte, sondern auch eine weit über Laudenbach hinaus gefragte Mazzen-Bäckerei. Jakob Hirschenberger machte hier gemäß der jüdischen Speisegesetze ungesäuertes Brot. Hirschenberger war viele Jahre lang ein angesehener Gemeinderat, erzählt Georg Schirmer. "1933 musste er den Posten auf Druck der Nazis aufgeben." Seinen vier Kindern habe Hirschenberger noch die Flucht aus Deutschland ermöglichen können, er selbst und seine Frau überlebten die Schoah nicht.

Einer der größten jüdischen Friedhöfe in Bayern

Oberhalb des Dorfes führt der Rundgang schließlich zum jüdischen Friedhof, mit 1,6 Hektar Fläche einer der größten in Bayern. Eine erste Anlage am Waldrand über dem Maintal lässt sich bereits für 1600 nachweisen, später wurde der Friedhof immer wieder erweitert, zuletzt 1930. Sein Einzugsgebiet reichte von Marktheidenfeld bis Arnstein, von Gemünden bis Veitshöchheim.

3000 Tote sollen hier in der Natur ruhen, über 2300 Grabsteine erinnern an jüdisches Leben. Viele der hebräischen Inschriften sind verwittert, gleichwohl birgt diese Ruhestätte unendlich viele Anhaltspunkte, um die Geschichte der jüdischen Bevölkerung in Mainfranken näher noch zu erforschen. Schirmer sagt: "Die Dokumentation der Grabsteine hat gerade begonnen."

Georg Schirmer versucht die Inschrift auf einem Grabstein zu entziffern.
Foto: Fabian Gebert | Georg Schirmer versucht die Inschrift auf einem Grabstein zu entziffern.

Zurück an der Synagoge. Der Förderkreis-Sprecher hofft, dass die Sanierung des Denkmals endlich vorankommt. "Wenigstens das Dach ist abgedichtet", freut er sich über jeden Fortschritt, nachdem bis ins vergangene Jahr eine Plastikplane das Gotteshaus eher verunstaltete. Einstige Pläne, hier ein Dorfgemeinschaftshaus einzurichten, habe die Stadt Karlstadt nicht zuletzt aus Kostengründen aufgegeben. Jetzt gelte es, die noch vorhandene Substanz dauerhaft zu sichern und zu einem kleinen Ausstellungsraum auszubauen.

Viel Zeit bleibt nicht. Auf eine Initiative des Bundestagsabgeordneten Bernd Rützel (SPD) hat der Deutsche Denkmalfonds kürzlich eine Förderung in Höhe von 250 000 Euro für die Sanierung in Aussicht gestellt. "Ein Anfang", sagt Schirmer, "ein Lichtblick, um auch nachfolgenden Generationen von der jüdischen Kultur im Dorf zu erzählen."   

Weitere Informationen zum "Förderkreis ehemalige Synagoge Laudenbach" und zu Führungen durch das jüdische Laudenbach: www.synagoge-laudenbach.de 

Synagogen-Gedenkband Bayern

Das Projekt "Mehr als Steine … Synagogen-Gedenkband Bayern" startete im Jahr 2002. Seither erforschte ein Wissenschaftlerteam mehr als 200 ehemalige jüdische Gemeinden im Freistaat. Allein in unterfränkischen Städten und Dörfern gab es 115. Die Ergebnisse zu den Synagogen, Friedhöfen, Schulen und Ritualbädern sowie Rabbinern und jüdischen Lehrern werden in umfangreichen Werken beschrieben.
Unterfranken wird in zwei Teilen dokumentiert. Mit den jetzt veröffentlichten beiden Halbbänden zur Region ist das Gesamtprojekt nach 19 Jahren abgeschlossen. Die Bände sind erschienen im Kunstverlag Josef Fink, Lindenberg/Allgäu, 98 Euro. Weitere Informationen im Internet: www.synagogenprojekt.de sowie www.kunstverlag-fink.de
Quelle: cj
 
Themen & Autoren / Autorinnen
Laudenbach
Michael Czygan
Bausünden
Bernd Rützel
Christentum
Denkmäler
Getreide
Jesus Christus
Juden
Kirchliche Bauwerke
Landwirtschaft
Nationalsozialisten
Pädagogen und Erziehungswissenschaftler
SPD
Stadt Karlstadt
Synagogen
Lädt

Damit Sie Schlagwörter zu "Meine Themen" hinzufügen können, müssen Sie sich anmelden.

Anmelden Jetzt registrieren

Das folgende Schlagwort zu „Meine Themen“ hinzufügen:

Sie haben bereits von 50 Themen gewählt

bearbeiten

Sie folgen diesem Thema bereits.

entfernen
Kommentare
Aktuellste
Älteste
Top