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München
Söder hält an Aiwanger fest: "Entlassung wäre nicht verhältnismäßig gewesen"
Die Affäre um ein antisemitisches Flugblatt reicht nicht für eine Minister-Entlassung, findet Söder. Er fordert aber mit Blick auf Jugendsünden "Reue und Demut" von Aiwanger. Doch der sieht sich weiter als Opfer einer Kampagne.
Ministerpräsident Markus Söder (CSU) will seinen Vize Hubert Aiwanger (Freie Wähler) wegen eines antisemitischen Flugblatts aus Schulzeiten nicht entlassen. Diese Entscheidung habe er sich 'nicht leicht gemacht', beteuert er.
Foto: Sven Hoppe, dpa | Ministerpräsident Markus Söder (CSU) will seinen Vize Hubert Aiwanger (Freie Wähler) wegen eines antisemitischen Flugblatts aus Schulzeiten nicht entlassen.
Henry Stern       -  Obermeier/ Henry Stern
Henry Stern
 |  aktualisiert: 08.02.2024 10:37 Uhr

Man merkt Markus Söder (CSU) den Druck an, als er um Punkt elf Uhr bei einer kurzfristig einberufenen Pressekonferenz ans Rednerpult tritt. Die Miene ist ernst, der Blick geht starr nach unten. "Ich habe eine Entscheidung getroffen", sagt er dann und blickt entschlossen in die Kameras. Und: "Ich habe es mir nicht leicht gemacht."

Söder: Aiwanger hat "in seiner Jugend wohl schwere Fehler gemacht"

Bereits kurz zuvor war in München durchgesickert, dass Söder seinen Vize Hubert Aiwanger (Freie Wähler) wegen eines einst in dessen Schultasche gefundenen antisemitischen Flugblattes nicht entlassen wird. Söder benennt fünf Gründe für seine Entscheidung: Erstens habe Aiwanger "in seiner Jugend wohl schwere Fehler gemacht", stellt er fest. Allerdings habe er sich zweitens von dem Inhalt des "ekeligen Flugblatts" distanziert und sich "spät, aber nicht zu spät" dafür entschuldigt.

Söder: Seit der Schulzeit "nicht Vergleichbares" mehr, was man Aiwanger vorwerfen könnte

Drittens gebe es keinen Beweis, dass Aiwanger das Pamphlet verfasst habe – dessen Bruder hatte sich kürzlich dazu bekannt. Viertens gebe es seit den Vorfällen aus der Oberstufe im Gymnasium "nichts Vergleichbares", was man Aiwanger vorhalten könne. Und fünftens bezögen sich die etwa von Mitschülern erhobenen Vorwürfe, Aiwanger habe als Schüler den "Hitler-Gruß" gezeigt oder geschmacklose "Juden-Witze" gemacht, auf Vorkommnisse, die über 35 Jahre her sind.

All dies sowie ein langes persönliches Gespräch mit Aiwanger am Samstagabend habe ihn zu dem Schluss geführt, "dass eine Entlassung aus meiner Sicht nicht verhältnismäßig wäre", erklärt Söder. Diese Entscheidung werde "nicht allen gefallen", räumt der Regierungschef ein. Es gehe ihm aber "um Augenmaß statt Übermaß und Vorverurteilung".

Söder kritisiert Aiwangers Krisenmanagement und rät ihm zu "Reue und Demut"

Mit Kritik an Aiwanger spart Söder allerdings nicht: Dessen Krisenmanagement in der letzten Woche nennt er "nicht sehr glücklich": Angesichts der Schwere der Vorwürfe hätte Aiwanger "früher, entschlossener und umfassender aufklären müssen". Auch Aiwangers Antworten auf einen Fragenkatalog zur Sache "waren nicht alle befriedigend", kritisiert Söder.

Ein "einfaches Schwamm drüber" sei deshalb "auch der falsche Weg", findet der Ministerpräsident: Denn entscheidend sei nicht, was Aiwanger als 16-Jähriger gesagt habe, "sondern wie man als 52-Jähriger damit umgeht", mahnt Söder. Aiwanger werde deshalb zeitnah unter anderem das Gespräch mit jüdischen Spitzenvertretern in Bayern wie Charlotte Knobloch und Josef Schuster suchen.

Aiwanger ist zeitgleich im Bierzelt im Angriffsmodus: "Wir haben ein sauberes Gewissen"

Doch während Söder seinem Vize vor der Presse in München noch den "gut gemeinten Rat" gibt, mit Blick auf seine Jugendsünden "Reue und Demut" zu zeigen, um "verlorenes Vertrauen zurückzugewinnen", geht Aiwanger fast zeitglich bei einem Wahlkampfauftritt im Bierzelt schon wieder in den Angriff über: Die Medienberichte über seine Jugend seien "ein schmutziges Machwerk" mit dem Ziel die Freien Wähler politisch zu schwächen, wettert er. Diese "Schmutzkampagne" sei jedoch gescheitert: "Wir haben ein sauberes Gewissen", findet Aiwanger.

In seinen Antworten auf Söders Fragenkatalog beruft sich Aiwanger zudem weitgehend auf Erinnerungslücken. Der Vorfall mit dem Flugblatt sei jedoch "ein einschneidendes Erlebnis für mich", gewesen: "Er hat wichtige gedankliche Prozesse angestoßen", beteuert er, ohne sie näher zu beschreiben. "Ich habe als Jugendlicher Fehler gemacht, die mir heute leidtun", räumt Aiwanger zudem ein - ohne diese "Fehler" zu benennen: "Fehler aus der Jugendzeit dürfen einem Menschen allerdings nicht für alle Ewigkeit angelastet werden", findet er.

Nach der Entscheidung: Harsche Kritik an Söder und Aiwanger auch aus Berlin

Für die Opposition im Landtag Grund genug sowohl Söders Entscheidung als auch Aiwangers Verhalten zu kritisieren: Bei Aiwanger erlebe man statt Aufrichtigkeit und Reue "Erinnerungslücken und trotzige Medienschelte", bemängelt FDP-Fraktionschef Martin Hagen. Und Söder fehle "die Kraft für eine klare Entscheidung". Grünen-Fraktionschef Ludwig Hartmann wirft Söder vor, politische Taktik vor klare Haltung zu stellen. Nun sei klar, dass die CSU unter Markus Söder "nicht nur nach rechts blinkt, sondern auch nach rechts winkt", findet SPD-Chef Florian von Brunn.

Auch aus der Bundespolitik kommt harsche Kritik: Söders Entscheidung sei "leider keine gute", findet Vizekanzler Robert Habeck (Grüne). Und Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) bemängelt, Söder habe im Fall Aiwanger "nicht aus Haltung und Verantwortung entschieden, sondern aus schlichtem Machtkalkül".

 
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