zurück
Altfeld
Albtraum für Eltern: Viele Patienten aus dem Raum Marktheidenfeld werden kurzfristig in Wertheimer Praxis nicht mehr behandelt
Wegen Kapazitätsproblemen werden Termine in der Kinderarztpraxis des MVZ Tauberfranken in Wertheim kurzfristig storniert. Warum Ramona Schäfer eine Petition gestartet hat.
Die Kinder der Mütter Tatjana Dick (von links), Ramona Schäfer, Melissa Müller und Veronika Albert, alle aus Altfeld, werden ab sofort bei ihrem bisherigen Kinderarzt am MVZ Tauberfranken in Wertheim nicht mehr behandelt. Sie müssen sich einen neuen behandelnden Arzt suchen. Die Lage ist prekär, viele Praxen nehmen keine Patientinnen und Patienten mehr auf.
Foto: Dorothea Fischer | Die Kinder der Mütter Tatjana Dick (von links), Ramona Schäfer, Melissa Müller und Veronika Albert, alle aus Altfeld, werden ab sofort bei ihrem bisherigen Kinderarzt am MVZ Tauberfranken in Wertheim nicht mehr ...
Dorothea Fischer
 |  aktualisiert: 16.06.2024 02:35 Uhr

Gerade mal vier Monate alt ist der Sohn von Tatjana Dick (31) aus Altfeld. Im Juli steht für das Baby mit der U5 die nächste Früherkennungsuntersuchung an. Welcher Arzt sie durchführen wird, steht noch nicht fest. Im Februar habe sie in der bisher behandelnden Kinderarztpraxis, die dem Medizinischen Versorgungszentrum (MVZ) Tauberfranken in Wertheim angehört, Termine für die nächsten Monate vereinbart. Doch die hat die Praxis kurzfristig storniert.

Seit Ende Mai verschickt das MVZ "Kündigungs"-Schreiben. Darin heißt es: Um den Praxisbetrieb aufrechterhalten zu können und die medizinische Versorgung für den Main-Tauber-Kreis zu gewährleisten, müsse aus Kapazitätsgründen die Reichweite der Versorgung eingeschränkt werden. Man müsse "Sie deshalb schweren Herzens bitten, sich einen neuen Kinderarzt zu suchen". Bestehende Termine seien gestrichen worden.

Eltern fahren künftig weitere Strecken zum Kinderarzt

In einem Aushang, der bereits im März an der Praxistür hing, ist zu lesen: Martin Englert, Facharzt für Kinder- und Jugendmedizin, sei jetzt alleiniger Arzt dort. Es sei ihm nicht möglich, alle Patienten weiterhin zu versorgen. "Ich halte Herrn Englert für einen sehr guten Arzt", so Dick. Sie könne sich nicht vorstellen, dass es ihm leicht falle, die "Kündigungen" zu verschicken.

Wohin zum Impfen, für die Früherkennungsuntersuchungen oder bei akuten Schmerzen? Die Lage der kinder- und jugendärztlichen Versorgung im Raum Marktheidenfeld spitzt sich aktuell drastisch zu, nachdem vielen Patientinnen und Patienten, die bisher in Wertheim versorgt wurden, 'gekündigt' wurden.
Foto: Julian Stratenschulte, dpa (Symbolbild) | Wohin zum Impfen, für die Früherkennungsuntersuchungen oder bei akuten Schmerzen? Die Lage der kinder- und jugendärztlichen Versorgung im Raum Marktheidenfeld spitzt sich aktuell drastisch zu, nachdem vielen ...

Melissa Müller, ebenfalls aus Altfeld, hat für ihre Töchter, die acht und drei Jahre alt sind, noch keine "Kündigung" erhalten, rechnet aber damit. Die 32-Jährige sagt, sie habe schon Situationen erlebt, in denen sie dringend einen Termin für ihre Kinder beim Arzt gebraucht hätte. Auch wenn es lange dauere, bis man telefonisch jemanden erreicht, tue es gut, zumindest eine Nummer zu haben, an die man sich wenden könne. Sie wird künftig eine dreimal längere Fahrstrecke zur Praxis von Dr. Hermann Schrüfer in Hettstadt (Lkr. Würzburg) auf sich nehmen.

Marktheidenfelder Praxis kann Betroffene nicht versorgen

Die nächstgelegene Kinder- und Jugendarztpraxis ist in Marktheidenfeld, Dr. Joachim Müller-Scholden betreibt sie zusammen mit seinem Kollegen Dr. Matthias Böhme. Müller-Scholden teilt auf Anfrage mit, man könne dort keine Patientinnen und Patienten aus Wertheim übernehmen: "Wir sind personell und räumlich am Limit. Da spreche ich nicht nur für unsere Praxis, sondern für alle Kollegen in Main-Spessart." Lediglich Neugeborene, zugezogene und emigrierte Kinder nehme man auf.

Die prekäre Situation komme nicht überraschend. "Wir warnen seit vielen Jahren, dass sich etwas ändern muss." Er zählt eine Reihe Gründe dafür auf, darunter Fehlentscheidungen bei der Finanzierung, Mangel an Ärzten und Medizinischen Fachangestellten (MFA), Verwaltungsaufwand.

Online-Petition haben schon mehr als 3800 Menschen unterschrieben

Ramona Schäfer, eine Freundin der Mütter und ausgebildete MFA, sagt: "Das Ganze macht mich unglaublich wütend." Statt untätig herumzusitzen habe sie deshalb "aus einer Laune heraus" Ende Mai eine Online-Petition gestartet. Mehr als 3800 Menschen haben den Appell bis Montagmittag unterschrieben. Er richtet sich an Bundeskanzler Olaf Scholz und Gesundheitsminister Karl Lauterbach. Schäfer will ihn an Lokalpolitiker versenden und das Gespräch mit ihnen suchen.

Die Kinder- und Jugendarztpraxis in der Würzburger Straße in Marktheidenfeld kann die von den 'Kündigungen' betroffenen Patientinnen und Patienten nicht aufnehmen.
Foto: Dorothea Fischer | Die Kinder- und Jugendarztpraxis in der Würzburger Straße in Marktheidenfeld kann die von den "Kündigungen" betroffenen Patientinnen und Patienten nicht aufnehmen.

In der Petition fordert sie: "Die ärztliche und kinderärztliche Versorgung in Main-Spessart und Umgebung muss dringend verbessert werden." Die Rahmenbedingungen müssten attraktiver gestaltet werden, damit sich wieder mehr Ärzte niederlassen können. Das Problem beziehe sich auch auf die umliegenden Landkreise und kreisfreien Städte und betreffe etwa auch die niedergelassenen Hausärzte.

Auch Hausärzte dürfen Kinder behandeln

Die Früherkennungsuntersuchungen ihrer eigenen, fast vierjährigen Tochter lässt sie in der Praxis ihrer Hausärztin durchführen. Doch das würden nur wenige Hausärzte machen, sagt sie. Auch die Altfelderin Veronika Albert (35) will in ihrer Hausarztpraxis anfragen, ob ihre drei und ein Jahr alten Kinder dort mitversorgt werden können. 

Tatjana Dick wiederum sagt: "Ich möchte nicht, dass mein Kind beim Hausarzt behandelt wird." Sie fürchtet, dass die Ärztinnen und Ärzte zu wenig auf die speziellen Anforderungen von Babys und Kleinkindern eingehen können. Nachdem sie die "Kündigung" vom MVZ Tauberfranken erhalten hat, begann sie Praxen anzuschreiben. "Ich habe viele in Würzburg und Aschaffenburg kontaktiert und bisher nur Absagen erhalten." Noch während des Gesprächs erhält Dick den erlösenden Anruf. Sie kann Anfang August mit ihrem Baby nach Würzburg zum MVZ Klinikum Würzburg Mitte an der Missioklinik zur Untersuchung kommen.

Keinen Kinderarzt gefunden?

Wenn Patientinnen und Patienten Probleme haben, einen Termin bei einem Kinderarzt zu finden, können sie sich an die Terminservicestelle der Kassenärztlichen Vereinigung Bayern (KVB) wenden: https://eterminservice.de, Telefon 116 117. Das Patienten-Navi hilft unter www.116117.de bei der Einschätzung der Symptome und der geeigneten Behandlung.
Quelle: KVB
 
Themen & Autoren / Autorinnen
Altfeld
Wertheim
Marktheidenfeld
Hafenlohr
Homburg
Trennfeld
Rettersheim
Lengfurt
Oberwittbach
Unterwittbach
Wiebelbach
Röttbach
Kreuzwertheim
Triefenstein
Erlenbach
Tiefenthal
Remlingen
Lohr
Karlstadt
Gemünden
Zellingen
Dorothea Fischer
Hausärzte
Kinder- und Jugendmedizin
Mütter
Neugeborene
Lädt

Damit Sie Schlagwörter zu "Meine Themen" hinzufügen können, müssen Sie sich anmelden.

Anmelden Jetzt registrieren

Das folgende Schlagwort zu „Meine Themen“ hinzufügen:

Sie haben bereits von 50 Themen gewählt

bearbeiten

Sie folgen diesem Thema bereits.

entfernen
Kommentare
Aktuellste
Älteste
Top