
Rotznasen, Husten und Ohrenentzündungen haben derzeit Hochkonjunktur. Kein Wunder also, dass die Wartezimmer vieler Kinderärzte dieser Tage voll sind. Dabei herrscht in Würzburg mit Blick auf Kinderärzte Überversorgung – zumindest auf dem Papier. Eine Versorgungsrate von mehr als 230 Prozent weist der Versorgungsatlas der Kassenärztlichen Vereinigung Bayern (KVB) für die Stadt aus.
Dennoch: Einen Kinderarzt in der Stadt zu finden, ist schwierig – nicht nur während einer Krankheitswelle, wie sie derzeit mit der Grippe und dem RS-Virus um sich greift. Immer wieder werden Eltern abgewiesen. Zahlreiche Ärzte nehmen keine neuen Kinder mehr an, andere nur Geschwisterkinder. Einige Kinderarztpraxen weisen auf ihren Internetseiten direkt auf die Einschränkungen hin: "Um unseren Patienten eine optimale Betreuung zu bieten, können wir leider nur sehr beschränkt neue Patienten aufnehmen." So auch der Würzburger Kinderarzt Wolfgang Brosi. "Wir sind bis an die Grenze belastet", erklärt der Mediziner, der selbst gelegentlich Patienten abweisen musste. "Wenn wir ausgelastet sind, könnten wir neuen Patienten nicht mehr gerecht werden. Die entstehende Dauerhektik würde zu schlechter Versorgung und einem 'Burn Out' unsererseits führen."
Ein Ungleichgewicht zwischen Theorie und Realität
Doch wie kann so ein Ungleichgewicht zwischen Theorie und Realität entstehen? "Die Pädiatrie hat sich gewandelt, zahlreiche neue Aufgaben sind hinzugekommen", erklärt Brosi. Die Liste sei schier endlos. Christian Pfeiffer, regionaler Vorstandsbeauftragter der KVB, verweist unter anderem auf neue Vorsorgeuntersuchungen und Impfungen, die von Eltern häufiger als früher hinterfragt würden und für die es einer ausführlicheren Beratung bedürfe, auf die Versorgung von Flüchtlingskindern, die aufgrund der Sprachbarriere häufig mehr Zeit in Anspruch nehme, und nicht zuletzt auch auf die steigenden Geburtenzahlen.
Hinzu kommt, dass Würzburg ein so genannter "stark mitversorgender Planungsbereich" sei, also viele Eltern aus dem Landkreis mit ihren Kindern einen Kinderarzt in der Stadt besuchen, so Pfeiffer. Er empfiehlt, gerade mit älteren Kindern auch den Hausarzt als möglichen medizinischen Ansprechpartner einzubeziehen.
Bedarfsplanung nicht mehr zeitgemäß?
Dass dies nicht die Lösung des derzeitigen Problems sein kann, ist auch in der Politik angekommen. "Mein Ziel ist, dass die Versorgung Bayerns mit Kinderärzten verbessert wird. Deshalb fordere ich seit längerer Zeit eine Überarbeitung der sogenannten Bedarfsplanungsrichtlinie", sagt Bayerns Gesundheitsministerin Melanie Huml (CSU) auf Anfrage. Ziel der 1993 eingeführten Bedarfsplanung war die Steuerung und bessere Verteilung bei der Niederlassung von Vertragsärzten, um so der Bevölkerung überall Zugang zur ambulanten ärztlichen Versorgung zu gewährleisten.
Die Grundlagen der aktuellen Bedarfsplanung stammten aus dem Jahr 2013, erklärt Pfeiffer. Sechs Jahre, in denen die Zahl der Geburten, aber auch die Zahl der Kinder aus Flüchtlingsfamilien deutlich angestiegen ist. "Die Bedarfsplanung entspricht längst nicht mehr der Realität und muss dringend überarbeitet werden", kritisiert Brosi. Eine neue Planung wird voraussichtlich Mitte des Jahres vorgestellt. "Ich halte es für sinnvoll, dass die kinderärztliche Versorgung generell kleinräumiger – also beispielsweise auf Mittelbereichsebene wie bei den Hausärzten, statt auf Landkreisebene – beplant wird", erklärt Huml. Dass sich die Situation aufgrund dieser neuen Berechnungsgrundlage entspannt, glaubt der KVB-Vorstandsbeauftragte Pfeiffer jedoch nicht. In Würzburg gebe es ohnehin bereits eine Überversorgung.
Durchschnittsalter der Kinderärzte liegt bei 55 Jahren

Wo sich wie viele Ärzte einer Fachrichtung niederlassen können, richtet sich in der vertragsärztlichen Versorgung der gesetzlich Krankenversicherten nach eben dieser Bedarfsplanung. Deren Rahmenbedingungen werden vom Bundesgesetzgeber festgelegt, die konkrete Gestaltung ist dem Gemeinsamen Bundesausschuss als höchstem Gremium der gemeinsamen Selbstverwaltung von Ärzten, Krankenhäusern und Krankenkassen übertragen. Kurz: Ärzte, Krankenkassen und Krankenhäuser entscheiden gemeinsam. Das bayerische Gesundheitsministerium könne somit auf die Anzahl der Arztsitze in Würzburg keinen unmittelbaren Einfluss nehmen, heißt es seitens des Ministeriums.
Die derzeit angespannte Entwicklung könne sich künftig sogar noch verschärfen, denn das Durchschnittsalter der in Würzburg niedergelassenen Kinderärzte liegt laut aktuellen Zahlen des Versorgungsatlas bei rund 55 Jahren. Wie bei den Hausärzten, gebe es auch bei den Kinderärzten den Trend, dass sich immer weniger junge Mediziner selbstständig niederlassen wollen. Eine Entwicklung, die Kinderarzt Brosi Sorgen bereitet. "Die junge Generation steht einer Tätigkeit in eigener Praxis skeptisch gegenüber, was ich – zumindest teilweise - durchaus nachvollziehen kann." Viele junge Mediziner hätten nicht nur Angst vor dem Risiko der Selbstständigkeit, sondern auch Angst vor Bürokratie und Regressen. Pfeiffer und Brosi sind sich einig: Selbst wenn Würzburg neue Arztsitze zugewiesen bekäme, wäre es daher fraglich, ob sie auch besetzt werden könnten.