Weil seine Kolleginnen gekündigt haben und er das Arbeitspensum nicht alleine stemmen kann, muss Kinder- und Jugendarzt Martin Englert (50) aus Wertheim das Versorgungsverhältnis vieler Patientinnen und Patienten beenden. Die meisten Eltern hätten Verständnis für die Situation, wissen Englert und seine Mitarbeiterinnen des Medizinischen Versorgungszentrums Tauberfranken (MVZ) aus Gesprächen. Mit manchen müsse das Praxisteam ausführliche Gespräche führen, manche tun ihren Unmut in den Sozialen Medien kund. Englert kennt die Kritik.
Er könne nicht das Gleiche leisten wie zuvor mit drei weiteren Ärztinnen: "Ich kann mir nicht mehr aufhalsen. Wenn ich zusammenbreche, ist niemandem geholfen." Englert stammt aus Zellingen, hat in Würzburg Medizin studiert. Danach hat er seinen Facharzt in der Kinder- und Jugendmedizin gemacht. Englert ist seit Eröffnung des MVZ im Oktober 2013 dort angestellt. Träger ist das Caritas-Krankenhaus Bad Mergentheim.
Etwa die Hälfte der Patienten kommt aus Bayern
Etwa die Hälfte der Patientinnen und Patienten der Kinderarztpraxis kommen aus Bayern, sagt Englert – von Kreuzwertheim über den Raum Marktheidenfeld bis nach Erlenbach am Main (Lkr. Miltenberg). Seit der Eröffnung ist die Praxis stetig gewachsen. Nicht, weil es ihm darum gehe, immer mehr Geld zu verdienen, sondern: "Ich möchte für diejenigen da sein, die einen Arzt brauchen."
Der Bedarf sei weiterhin ungebrochen. Doch Faktoren, auf die Englert keinen oder nur einen geringen Einfluss hat, machen es unmöglich, weiterzuarbeiten wie bisher. Es gebe zu wenige Ärzte in Ausbildung. Viele Ärzte arbeiten in Teilzeit, Überstunden – wie sie früher selbstverständlich waren –, werden weniger. Vor einem Jahr waren in der Praxis vier Ärzte beschäftigt. Dass sich die Lage so schnell verändere, damit hat Martin Englert nicht gerechnet.
Priorität liegt für Martin Englert in der Patientenversorgung
Die beiden angestellten Kolleginnen haben andere Zukunftspläne und deshalb gekündigt. Die Assistenzärztin, die sich in ihrer Ausbildung zur Fachärztin befindet, setzt diese woanders fort. Für deren Anleitung müsste Englert sonst sehr viel Zeit aufwenden, die bei der Patientenversorgung fehlen würde. Sämtliche Tätigkeiten, die auch die Angestellten durchführen können, habe er an sie abgegeben. "Die Helferinnen können genauso gut Blut abnehmen oder impfen wie ich", sagt der 50-Jährige.
Dennoch müsse er zurückfahren und sich mit der Praxis auf seinen Behandlungsauftrag fokussieren: die kassenärztliche Versorgung im Main-Tauber-Kreis. Einem Großteil der Patienten aus Bayern muss er deshalb "kündigen". Er betont, dass er es als sehr positiv empfinde, dass man ihm von Seiten des Trägers im Praxisbetrieb völlig freie Hand lasse. "Ich habe lange gehofft, es findet sich jemand, der mich unterstützt", so Englert. Doch eine Bewerberin habe kurzfristig abgesagt. Jetzt hilft der 80-jährige Dr. Jürgen Wallstein, der früher in Wertheim eine Kinder- und Jugendarztpraxis betrieb, für einige Stunden aus. "Das kann aber nicht die langfristige Lösung sein", so Englert.
Frühzeitige Information, um anderswo versorgt zu werden
Ende Mai hat er dann die Entscheidung getroffen: Vorrangig werden diejenigen Patienten informiert, die noch in diesem Jahr auf einen U-Termin warten. "Die haben hoffentlich die Chance, anderswo versorgt zu werden." Seine Helferinnen treffen die Vorauswahl, Englert schaut sich von allen, die angeschrieben werden sollen, die Krankenakte nochmal an. "Es widerstrebt mir, diese Briefe zu unterschreiben", so Englert. "Ich übe sehr gerne meinen Beruf aus. Aber die momentane Situation bedrückt mich und ich gehe zur Zeit äußerst ungern zur Arbeit."
Er kritisiert, dass in Bayern die ärztlichen Früherkennungsuntersuchungen, die in dem gelben Heft dokumentiert werden, zwar seit 2010 verpflichtend sind, aber nicht sichergestellt ist, dass sie dort auch durchgeführt werden können.