
450 Schafe, 25 Kilometer, ein Ziel: das Winterquartier. Am vergangenen Wochenende hat sich Schäfer Peter Amend mit seiner Herde auf den Weg gemacht. Begleitet von Schäferhündin Anka und in der Spitze einem guten halben Dutzend Helfern ist der 59-Jährige mit seinen Tieren in zwei Tagesetappen von der Sommerweide rund um Habichsthal zum Heimatstall nach Neuendorf gezogen. Für den Vollerwerbsschäfer stellt der alljährliche Marsch einerseits Routine dar. Andererseits ist der Abschluss der Weidesaison stets auch etwas Besonderes. In diesem Jahr gab es einen ganz speziellen Begleitumstand: Wenige Tage zuvor war unweit der Route, die Amend und seine Schafe durch den Spessartwald nahmen, ein Wolf gesichtet worden.
Das vorneweg: Der Wolf ließ sich – wie zu erwarten – während des Schafzugs nicht blicken. Womöglich ist das Tier, das kürzlich am Rande eine Drückjagd erst bei Neuhütten und kurz drauf im Lohrer Stadtwald gesichtet worden war, längst weitergezogen. Womöglich treibt sich Isegrim aber auch noch in der Region herum.
Wolfsichtung bereitet Schäfer noch keine schlaflosen Nächte
Die Aussicht, dass sich die in der nahen Rhön bereits sesshaft gewordene Art auch im Spessart dauerhaft ansiedeln könnte, weckt bei Schäfer Amend logischerweise keine Begeisterung. Er begrüßt jedenfalls, dass der Europarat vor wenigen Tagen den Weg frei gemacht hat für eine Aufweichung des bisher strengen Schutzes der Wölfe. "Das geht in die richtige Richtung", sagt Amend. Er ist überzeugt, dass die Schafhaltung auf Dauer nur funktionieren kann, wenn auffällige Wölfe konsequent erlegt werden.

Zumindest zum jetzigen Zeitpunkt bereitet der Wolf dem Schäfer allerdings noch keine schlaflosen Nächte. Vor einem einzelnen, vermutlich nur durchziehenden Wolf, habe er keine Angst, sagt Amend. Etwas anderes wäre es, wenn sich Wölfe dauerhaft hier niederlassen würden. Amend erinnert sich an das vergangene Jahr, als ein wohl ebenfalls nur temporär Station im Spessart machender Wolf bei Habichsthal zwei Schafe eines Hobbyhalters gerissen hatte. Damals, so erzählt der 59-Jährige, sei er mitunter schon mit einem unguten Gefühl zu seiner seit 2013 auf den Wiesen rund um den Frammersbacher Ortsteil grasenden Herde gefahren.
Schafszug rollte mitten durch Partenstein
Diese Herde hat Amend nun am Wochenende für die Wintermonate in seinen Heimatort geholt. Am Samstag ging die Wanderung zunächst von Habichsthal bis kurz hinter Krommenthal. Dort, im Wiesengrund des Aubachtals, hatte Amend für eine Nacht einen Weidezaun auf dem Grundstück eines Bekannten aufgebaut. Hier verbrachten die Schafe die Nacht. Am Sonntag stand die mit rund 14 Kilometern deutlich längere der beiden Tagesetappen an.
Auf dem Radweg führte der Weg zunächst bis Partenstein. Dort stand die kniffligste Passage an: Der Marsch durch den Ort. Durch das Bahnviadukt hindurch und am Bahnhof vorbei ging es den Müsselberg hinauf. Helfer aus Amends Familie, darunter auch seine 85-jährige Mutter, sicherten hier den Schafszug ab, stoppten den Verkehr auf der Ortsdurchfahrt oder bugsierten einzelne Schafe auf Abwegen zurück in die richtige Spur.

Ein Lamm wurde auf der Wanderung geboren
Danach ging es aus dem nebligen Tal steil hinauf auf die Sohlhöhe, am Katharinenbild vorbei zum Oberbecken und in den dort herrschenden strahlenden Sonnenschein. Die von der Anstrengung des Aufstiegs dampfende Schafherde zog weiter über den Höhenrücken und später wieder hinunter ins Maintal. Rund um Neuendorf werden die Tiere noch einige Tage auf Wiesen grasen, bevor es für den Winter in Amends Stall geht. Dort stehen bereits rund 150 Schafe, meist Muttertiere mit Lämmern.
Ein Lamm war auch während des Marsches zur Welt gekommen, genauer bei der nächtlichen Pause im Aubachtal. Am Sonntagmorgen hatte Amend den Nachwuchs bei der Kontrolle entdeckt und ihn mitsamt Muttertier in den das den Tross begleitenden Fahrzeug verfrachtet. Ansonsten jedoch bewältigten alle Schafe die rund 25 Kilometer lange Wanderung auf eigenen Beinen. Einige ältere Tiere, von denen er vermutete, dass der Marsch für sie zu anstrengend sein könnte, hatte der Schäfer schon in den Tagen davor per Anhänger mit in den Heimatstall genommen.
Dass Schäfer mit ihren Herden längere Strecken übers Land ziehen, wird laut Amend immer seltener. Das liege nicht nur am generellen Rückgang der Zahl der Betriebe, sondern auch an den Straßenverhältnissen. Vielerorts erschwerten Kreisverkehre und Leitplanken den Schäfern das Ziehen.
Ruhigere Tage zu Weihnachten
Amend selbst bewältigte mit seiner Herde bis vor einigen Jahren noch eine deutlich längere Strecke als die jetzige. Von seinen damaligen Weideflächen bei Alzenau war er fünf bis sechs Tage quer durch den Spessart unterwegs bis nach Neuendorf. Der Zeitpunkt der Wanderung ins Winterquartier hängt laut Amend von Witterung und Weideverhältnissen ab. In der Regel mache er sich Anfang Dezember mit seiner Herde auf den Weg in den heimischen Stall.

Nach der Ankunft dort seien die Tage für ihn nun etwas ruhiger, schon allein weil der tägliche Weg zwischen Stall und Weidegründen wegfalle, erzählt der Schäfer. Allerdings stehen jetzt die Lämmergeburten an. Lediglich rund um die Weihnachtsfeiertage ist mit einigen Tagen Pause zu rechnen. Allerdings nicht etwa, weil es die Schafe zum Fest etwas ruhiger angehen lassen würden. Vielmehr hat Amend selbst die weihnachtliche Lämmerpause herbeigeführt – indem er vor fünf Monate die Böcke einige Zeit von den Mutterschafen ferngehalten hat.
Im Frühjahr dann, üblicherweise Ende April, steht der umgekehrte Weg an, von Neuendorf gen Habichsthal. Den bewältigen die Schafe dann laut Amend allerdings nicht zu Fuß, sondern im Viehtransporter. Grund: Nach den für die Tiere eher trägen Wintermonaten im Stall fehle den ansonsten recht marschfreudigen Merino-Schafen schlicht die Kondition für den Zug durch den Spessart.