
Als sich das Unternehmen Procter & Gamble im Jahr 2012 dazu entschied, die beiden Haushaltsgeräteabteilungen von Braun an das italienische Unternehmen De'Longhi zu veräußern, standen Jürgen Posth aus Homburg und 109 seiner Kolleginnen und Kollegen vor der Entscheidung: Täglich an den Unternehmensstandort ihres neuen Arbeitgebers nach Neu-Isenburg (Lkr. Offenbach) bei Frankfurt am Main zu pendeln oder eine Abfindung anzunehmen. Für den Diplomingenieur, damals 51 Jahre alt, keine leichte Entscheidung.
Schließlich war er zu diesem Zeitpunkt bereits seit 33 Jahren bei dem Unternehmen in Altfeld beschäftigt – und die Suche nach einem neuen Arbeitgeber gestaltet sich in diesem Alter meist schwierig. Daher entschied sich Posth für das Pendeln. Seitdem verbringt der heute 61-Jährige jeden Tag mehrere Stunden im Auto. Der Weg zur Arbeit bedeutet für ihn eine einfache Strecke von 86 Kilometern, für die er – je nach Verkehrslage – ein bis zwei Stunden benötigt. Jürgen Posth zählt damit zu den sogenannten Fernpendlern, die im Landkreis Main-Spessart jedoch die Ausnahme sind. Viele Pendlerinnen und Pendler legen kürzere Strecken zurück.

In Main-Spessart pendelten im Jahr 2021 laut Bundesagentur für Arbeit knapp 34.000 Menschen täglich zu ihrem Arbeitsplatz. Ein Blick auf die Grafiken verrät: Die meisten von ihnen, sogenannte Auspendler, verließen dafür den Landkreis. Vergleicht man die Aus- und Einpendlerzahlen miteinander, bestand 2021 also ein negativer "Pendlersaldo".
Pendler aus Main-Spessart fahren vor allem in die Region Würzburg
Für Sebastian Kühl, Beauftragter der Wirtschaftsförderung Main-Spessart, kein Grund zur Beunruhigung: "Es liegt in der Natur der Sache, dass die benachbarten urbanen Zentren – in unserem Falle Würzburg, Schweinfurt und Aschaffenburg – eine gewisse Anziehungskraft auf Fachkräfte ausüben und das Pendlersaldo dadurch negativ ist." Die meisten Beschäftigten aus Main-Spessart pendeln in den Landkreis und die Stadt Würzburg sowie in den benachbarten Main-Tauber-Kreis. Aus diesen drei Gebieten kommen umgekehrt auch die meisten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer nach Main-Spessart.

Die 20.223 Auspendler aus dem Jahr 2021 machen 37 Prozent der in Main-Spessart wohnhaften sozialversicherungspflichtigen Beschäftigten aus. Nach Angaben der Bundesagentur für Arbeit nahmen beispielsweise 6706 Beschäftigte den Weg in die Universitätsstadt Würzburg auf sich. Die Konkurrenz zu den benachbarten Regionen bekommen vor allem die Unternehmen im Landkreis zu spüren.
Wie Unternehmen aus Main-Spessart Beschäftigte im Landkreis halten wollen
"Wir führen zahlreiche Maßnahmen durch, um unser Unternehmen und die vakanten Stellen bekannt zu machen, sei es digital oder vor Ort", so Lilli Heyer, Leiterin der Unternehmenskommunikation des Sonnenschutzherstellers Warema. Zu den Maßnahmen zählten zum Beispiel die Bewerbertage, an denen sich potenzielle neue Mitarbeitende das Unternehmen anschauen können. Einen ähnlichen Ansatz wählt auch Bosch Rexroth am Standort Lohr: "Bosch Rexroth nutzt verschiedene Maßnahmen wie Jobmessen oder eigene Recruiting-Initiativen, um aktiv neue Mitarbeitende anzuwerben", erklärt die Pressestelle auf Anfrage dieser Redaktion.
Im bundesweiten Vergleich liegt der Landkreis Main-Spessart mit einem Auspendleranteil von 37 Prozent im oberen Durchschnitt. Besser sieht es hingegen mit Blick auf die anderen unterfränkischen Landkreise und kreisfreien Städte aus: Hier weist die Region die zweitniedrigsten Auspendlerzahlen auf. Weniger Menschen verlassen für ihren Job nur den Landkreis Rhön-Grabfeld – nämlich 30,2 Prozent. Spitzenreiter ist der Landkreis Schweinfurt mit einem Auspendleranteil von 70 Prozent. "Der Landkreis Main-Spessart zeichnet sich im regionalen Vergleich somit sogar durch eine höhere Attraktivität aus", sagt Sebastian Kühl.

Dennoch, die Zahl der Auspendler ist in den vergangenen Jahren auch hier kontinuierlich gestiegen. Während im Jahr 2013 noch 35,8 Prozent auf ihrem Arbeitsweg den Landkreis verließen, waren es 2019 schon 36,7 Prozent und 2021 über 37 Prozent.
Bosch Rexroth: "Arbeitsmarkt im Fachkräftebereich umkämpft"
Die Gründe für den Anstieg sieht Sascha Genders, stellvertretender Hauptgeschäftsführer der Industrie- und Handelskammer (IHK) Würzburg-Schweinfurt, nicht in der fehlenden Attraktivität der ortsansässigen Unternehmen. Vielmehr bestehe in Mainfranken ein Fachkräftemangel, der sich bis 2030 verfünffachen könnte. Mithilfe von Beratungsangeboten für Unternehmen im Hinblick auf die Gewinnung von Fachkräften sowie mit Unterstützung lokaler Initiativen möchte die IHK den Wirtschaftsstandort attraktiv gestalten, so Genders.
Auch für Bosch Rexroth ist der "Arbeitsmarkt im Fachkräftebereich umkämpft". Um dem Mangel entgegenzuwirken, unterstützt das Unternehmen die Beschäftigten mit Fahrtkostenzuschüssen für den ÖPNV. Warema bietet den Mitarbeitenden die Möglichkeit zum mobilen Arbeiten und eine interne Plattform zur Bildung von Fahrgemeinschaften an.
Gefährden die desolaten Zustände am Bahnhof Lohr die Mobilität?
Klaren Handlungsbedarf sieht Genders bei der Mobilitätsinfrastruktur im Landkreis: "Nach Verkauf des Bahnhofsgebäudes am Bahnhof Lohr (...) an einen privaten Investor sind die verkehrlichen Rahmenbedingungen dort zunehmend beeinträchtigt." So seien etwa in akzeptabler Distanz keine funktionierenden Toiletten mehr vorhanden. Des weiteren bestehe kein barrierefreier Zugang zum Bahnhof und die Zufahrtsstraße weise massive Schäden auf, so Genders.
Durch die Mängel fürchtet der stellvertretende IHK-Hauptgeschäftsführer eine Gefährdung des wichtigen Anbindungspunktes in der Region. Zudem müsse aus Sicht der Wirtschaft alles Mögliche unternommen werden, um die Verknüpfung der Autobahnen durch das Verkehrsprojekt Bundesstraße 26n ohne Verzögerungen zu realisieren.
Aus den Zahlen der Bundesagentur für Arbeit ist nicht erkennbar, welche Verkehrsmittel die Pendlerinnen und Pendler bevorzugen. Laut Mikrozensus 2020 nutzen jedoch 68 Prozent der Berufspendlerinnen und -pendler in Deutschland das Auto und legen damit am häufigsten eine einfache Strecke von zehn bis 25 Kilometern zurück.
506 Menschen aus Main-Spessart pendeln nach Frankfurt am Main
Deutlich weiter pendelt Jürgen Posth täglich von Homburg nach Frankfurt am Main. 2021 taten es ihm 506 Menschen aus Main-Spessart gleich. Aufgrund der hohen Spritpreise hat der 61-Jährige sein Auto schon vor ein paar Jahren auf Gas umgerüstet. Die Fahrtkosten teilt er sich mit einem Kollegen aus Kitzingen.
Seit dem Ausbruch des Coronavirus verbringt Posth allerdings die meiste Zeit im Homeoffice. Nach Frankfurt muss er inzwischen nur noch einmal in der Woche fahren. Bis zum Ende des aktiven Teils seiner Altersteilzeit in 14 Monaten wird er die knapp 170 Kilometer Arbeitsweg aber wohl noch ein paar Mal auf sich nehmen müssen.
Dieses alle Menschen über einen Kamm scheren wollen, geht mir sowas von auf den "Keks". Industrie, soziale Berufe, oder auch Dienstleister...sie alle Pendeln und in den allermeisten Fällen hat dies gute Gründe. Niemand denkt sich ...."ach ich fahr so gerne über eine Stunde einfach zur Arbeit, weil ich gerne weniger Freizeit habe" ......und diese Personen und ihre Gründe zu versuchen zu pauschalisieren oder in eine Schublade zu pressen, halte ich für grottenfalsch.
Teilweise in Home Office arbeiten zu können ist sicherlich ein Teil der Lösung.
Aber oft haben Partner auch nicht die gleichen Arbeitsorte. Was will man da machen, wenn man nicht getrennt leben will?
Nebenbei, ich bin vor vielen Jahren auch jahrelang in den Kreis Mainspessart eingependelt. Da wohnte ich in Würzburg, weil meine Partnerin noch studierte.
Vielmehr MUSS man pendeln, weil auf dem Land kaum Arbeitsplätze sind.
Die Alternative wäre, in die Stadt zu ziehen mit noch höheren Mieten, und der ländliche Raum würde noch mehr veröden.