
Sieben deutsche Städte sind neulich mit einer Idee vorgeprescht, die es nicht gleich auf die Titelseiten der Zeitungen und in die Topmeldungen der Tagesschau geschafft hat. Dabei hat sie eine gewisse Sprengkraft, wenn sie so verwirklicht wird wie gedacht, was fraglich ist, weil die deutsche Bürokratie deutlich behäbiger ist als so mancher Adressat der Initiative. Es geht um Tempo 30 auf allen Ortsstraßen und um die Frage, ob das nicht eine gute Idee wäre: im Sinne der Sicherheit, des Lärms und der Umwelt.
Susanne Schmöger hat von der Initiative auch gehört. Sie sitzt an einem sonnigen Freitagmittag in ihrem Büro im Kitzinger Rathaus und sagt: „Eine interessante Sache.“ Nur, so sagt die Rechtsrätin der Stadt: „Wie die Kommunen das bei dieser Gesetzeslage umsetzen wollen, habe ich mich schon gefragt.“
An dem Anfang Juli vorgestellten Projekt beteiligen sich Aachen, Augsburg, Freiburg, Hannover, Leipzig, Münster und Ulm. Sie alle wollen – zunächst testweise – auf den meisten Straßen im Stadtgebiet Tempo 30 einführen, dazu muss allerdings das Gesetz geändert werden. Der Deutsche Städtetag in Berlin unterstützt die Initiative. Sein Präsident, Leipzigs Oberbürgermeister Burkhard Jung, sagt: „Wir wollen den Verkehr in den Städten effizienter, klimaschonender und sicherer machen.“
Stadt wird von der Regierung zurückgepfiffen
Auch im Landkreis Kitzingen gibt es Tendenzen, dem Pariser Vorbild zu folgen und auf den meisten Straßen Tempo 30 einzuführen. Der Kitzinger Stadtrat etwa hat im Dezember 2020 beschlossen, das Tempo auf allen Straßen im Stadtgebiet auf 30 km/h zu drosseln – und wurde von der Regierung von Unterfranken prompt zurückgepfiffen. Der Beschluss, so hieß es, sei rechtswidrig. Das allein zeigt die Schwierigkeit hierzulande, den zum Teil rauschenden Verkehrsfluss zu zügeln.

Rechtsrätin Schmöger hat das Unheil kommen sehen, sie hat den Stadtrat noch gewarnt. Doch der war entschlossen, ein Signal zu setzen. Nach dem Stoppzeichen der Regierung änderte der Stadtrat den Beschluss im Februar dahingehend ab, eine Liste aller Straßen aufzusetzen, die „unter Berücksichtigung der Straßenverkehrsordnung“ für 30 km/h in Frage kommen. Darunter fallen nach aktueller Gesetzeslage nur solche Trassen, die dem Charakter nach Tempo 30 entsprechen.
Tempo 30 in der Kaiserstraße: Geht das rechtlich überhaupt?
In der Regel dürfen großflächige Tempo-30-Zonen nur dort eingerichtet werden, wo das aufgrund „besonderer Umstände zwingend erforderlich“ ist. So steht es im Gesetz, und das macht es Kommunen im Moment noch schwer. Was sind „besondere Umstände“? Was heißt „zwingend erforderlich“? Schmöger kann nicht einschätzen, ob etwa die Kaiserstraße in Kitzingen diese Kriterien erfüllen würde, abgesehen davon, dass es dabei um eine Staatsstraße geht, die Stadt also ohnehin keine Festlegungen ohne das Staatliche Bauamt treffen dürfte. Die Kaiserstraße sei relativ breit und gut ausgebaut; hier Tempo 30 anzuordnen, „da hätten wir sicherlich ein Problem“, so Schmöger.

Eine Erhebung im Rathaus hat gezeigt, dass auf 72 Prozent der städtischen Straßen ohnehin schon ein Tempolimit von 10 bis 30 km/h gilt. Vor allem in den Ortsteilen ist die Geschwindigkeit vielfach reduziert. Derzeit wird im Rathaus geprüft, welche Straßen im Stadtgebiet sich noch für Tempo 30 eignen; wann belastbare Ergebnisse vorliegen und auf den Weg gebracht werden, kann Schmöger nicht sagen. Außer einer Zonenregelung lässt die Straßenverkehrsordnung auch ein streckenbezogenes Tempolimit zu, etwa vor Kindergärten, Schulen oder gefährlichen Kreuzungen. Ob Tempo 30 auch auf größeren Straßen in Kitzingen, etwa der B8, durchzusetzen wäre, ist dann noch einmal eine ganz andere Frage. Nach derzeitiger Gesetzeslage wohl kaum.
"Angemessen" ist das Zauberwort, das man aus Dettelbach hört
Ortswechsel. In Dettelbach könnte die 30 bald zum guten Ton gehören. In der Sitzung des Stadtrates am kommenden Montag gibt es dazu einen eigenen Tagesordnungspunkt. Bürgermeister Matthias Bielek will dem Stadtrat empfehlen, der Initiative „Lebenswerte Städte durch angemessene Geschwindigkeiten“ beizutreten. Diese Initiative wurde von sieben Mitgliedsstädten des Deutschen Städtetags ins Leben gerufen. Mittlerweile sind weitere, auch kleinere Städte, der Initiative beigetreten.
Die Städte, so Bielek, stünden "beim Thema Mobilität und Verkehr vor großen Herausforderungen". Und: "Eine stadt- und umweltverträgliche Gestaltung der Mobilität ist Voraussetzung für die Zukunftsfähigkeit der Städte." Seine Forderung: Städte und Gemeinden bräuchten "einen neuen straßenverkehrsrechtlichen Rahmen, der es ihnen ermöglicht Tempo 30 als verkehrlich, sozial, ökologisch und baukulturell angemessene Höchstgeschwindigkeit dort anzuordnen, wo sie sie für sinnvoll erachten".
Bürgermeister Bielek sieht die Stadt vor einem langen Weg
Der Dettelbacher Bürgermeister hat die Erfahrung gemacht, dass "selbst regelmäßige Kontrollen keine dauerhafte Verbesserung bringen", es werde oft generell zu schnell gefahren. Ergebnis: Unverständnis und Unzufriedenheit bei den Anwohnern. Bielek sieht sich und seine Stadt am Beginn eines langen Weges. Er sagt: "Bisher hat man leider nicht den Eindruck, dass die verantwortliche politische Ebene diesen Brennpunkt erkannt hat und im Sinne der Menschen zu handeln plant."
Ein konkretes Beispiel ist der Bereich von Schweinfurter Straße/Rathausplatz/Am Bach zwischen der Staatsstraße 2450 und dem Ortsausgang Richtung Brück. Warum die Stadt dort nicht auf Tempo 30 reduzieren darf, "ist aus meiner Sicht nicht sachlich und vernünftig zu erklären". Argumente für eine Geschwindigkeitsreduzierung gebe es dagegen viele.

Ein wenig anders sieht es an der Mainschleife aus. In der Volkacher Altstadt, so Bürgermeister Heiko Bäuerlein, gelte schon länger Schrittgeschwindigkeit. Das habe sich durchgesetzt. Für die wenigen Ausnahmen ließ die Stadt Erklärschilder anbringen, um zu zeigen, was "Verkehrsberuhigter Bereich" bedeutet: Gleichberechtigung von Fußgängern, Rad- und Autofahrern. Tempo 30 in den Wohngebieten in Volkach und seinen Stadtteilen sei "ein ständiger Prozess". Soll heißen: Es kommt mit der Zeit das eine oder andere 30er-Schild dazu. "Ein großes Anliegen" sei Tempo 30 auf der Ortsdurchfahrtsstraße durch Gaibach und auf der Gaibacher Straße in Volkach. Nur: Beides sind Staatsstraßen. Bislang hat sich die Stadt mit ihrem Wunsch beim Staatlichen Bauamt die Zähne ausgebissen.
Der Feldversuch mit Tempo 30 in Iphofen war eher notgedrungen
In Iphofen gab es im Herbst 2019 einen Feldversuch mit Tempo 30 auf dem Ring um die Altstadt, allerdings eher notgedrungen. Weil die B8 für drei Wochen gesperrt und der gesamte Umleitungsverkehr auf dieser Passage unterwegs war, hatte die Stadt zur Sicherheit der Schulkinder das Tempolimit durchdrücken können. Als die B8 wieder offen war, durfte wieder 50 gefahren werden. Einen Antrag, hier dauerhaft Tempo 30 einzuführen, gab es bislang nicht.
Die Situation in Mainbernheim beschreibt Bürgermeister Peter Kraus so: "Die älteren Siedlungsgebiete sind in der Regel geschwindigkeitsbeschränkt als Zone 30 ausgewiesen." Und die Altstadt sowie die neueren Siedlungsgebiete an der Rödelseer Straße seien „Verkehrsberuhigte Bereiche“. In Mainbernheim gelte nur noch auf wenigen Straßen Tempo 50. Eines aber zeige sich trotzdem: "Immer noch klagen Anwohner über zu schnelles Fahren, sowohl in den Tempo-30-Zonen als auch im verkehrsberuhigtem Bereich."
Noch ein Blick in einen kleineren Ort. In Nordheim, so heißt es aus dem Rathaus, sei "der Wunsch in der Bevölkerung nach Tempo 30 groß". Aktuell gebe es allerdings keine einzige Tempo-30-Zone in der Gemeinde.
In Rüdenhausen würde man gerne den gesamten Ort zur 30er-Zone machen. In der August-Sitzung des Rates waren sich die Gemeinderäte in diesem Punkt einig. Wie Bürgermeister Gerhard Ackermann sagt, gibt es bis auf die Hauptstrecken schon fast überall Tempo 30. Bis auf die Staatsstraße, so der Wunsch, soll möglichst bald überall die 30 leuchten.
Diskutieren Sie mit: Bringt Tempo 30 etwas? Wo ist es sinnvoll, wo nicht? Ihre Meinung und gerne auch konkrete Beispiele können Sie gerne an die Redaktion mailen: redaktion.kitzingen@mainpost.de oder redaktion.kitzingen@infranken.de
Richtschnur sollte sein: überall dort wo es keine sicheren Fuß und Radwege gibt, Tempo 30.
Dort wo Anwohner, Fußgänger und Radfahrer gut geschützt sind, darf in Ausnahmefällen auch Tempo 50 gefahren werden.
Und in der Schweiz reicht 1 km/h drüber schon aus für 10 SFr. Da gibt es keinen Abzug 3% Meßtoleranz ...
> jeder braucht das Auto und alle wollen es verbieten.
Diese verallgemeinernde Aussage macht alles kaputt. Warum?
a) Weil nicht alle ein Auto benötigen um von A nach B zu gelangen und b) niemand, der ernst genommen werden will, die Nutzung generell verbieten will. Es gibt immer Umstände, die eine Nutzung eines PKW sinnvoll machen.
Zur Verkehrssicherheit: Österreich macht es schon gefühlt 20 Jahre vor. Kommunen dürfen entscheiden, und: 50 km/h nur in Hauptstraßen, sonst 30.
Auch in Frankreich gibt es Orte, die eine Verringerung der Regel-Geschwindigkeit innerorts bereits vor Paris eingeführt haben und in Wohnstraßen jetzt sogar auf 20 km/h runter wollen ... (Leider habe ich den Namen der Stadt vergessen und finde ihn gerade nicht mehr).
Im Falle eines Unfalls spricht die Physik ein klares Wort. Das Verhältnis der Aufprallenergieen ist 3*3 zu 5*5 = 9/25, demnach also fast nur ein Drittel. Auch der Bremsweg wird in diesem Verhältnis zueinander kürzer. Sonst noch Fragen?
Aber auch ich fahre mit dem Auto zur Arbeit zum Arzt Apotheke, einkaufen in die Stadt, jeder braucht das Auto und alle wollen es verbieten. Bei Tempo 30 muss dann an verkerskritischen Stellen Tempo 20 Oberharz Tempo 10 eingeführt werden. schaut nach Stuttgart wer will und kann da noch Auto fahren. Jeder meidet die Stadt erledigt alles im Umland.
50 ist bei den heutigen technisch voll ausgestatteten Fahrzeugen wesentlich sicherer als noch vor 10 Jahren. Noch einen Satz an die Auto Gegner. Gerade die Birkenstock jünger wollenfahren nicht mit dem Auto auf die Arbeit aber in die Natur fahren Kilometer weit um zu wandern baden oder sonst etwas in der Freizeit zu machen. Hier ist das Auto fahren willkommen
Lasst jedem die Freiheit und individuelle Mobilität generelles Tempo 30 ist wie Scheuer sagte ein Fetisch der Auto Gegner. Die Presse muss sich einmal fragen wie sie Öko Themen etwas kritischer recherchiert.
Scheuer hat viele Fetische, besonders eins das lautet "Freie Fahrt für freie Bürger". Und das ist gar nicht mehr zeitgemäß!
Paris hat Tempo 30 im Stadtgebiet eingeführt. Die Hauptstadt eines auch für seine Automobilindustrie bekannten Nachbarlandes, immerhin drei weltweit bekannte Marken wie Renault, Peugeot und Citroën. Was dort in einer Millionen Metropole funktioniert müsste doch auch in einer Provinzstadt wie Würzburg gehen.
Das hört sich doch gut an für die Bewohner.