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POPPENHAUSEN
Bleibt der Patient auf der Strecke?
Konzentriert und sachlich verlief die Podiumsdiskussion zur medizinischen Versorgung in der Poppenhäuser Werntalhalle. Mit dabei waren (von links) Dr. Ingo Reeh, Apotheker-Vertreter Bernward Unger, Dr. Jürgen Schott, Bayerns Gesundheitsministerin Melanie Huml, Moderator Dr. Gernot Petzold, Dr. Peter Jung und KVB-Vertreter Martin Degenhardt.
Foto: Silvia Eidel | Konzentriert und sachlich verlief die Podiumsdiskussion zur medizinischen Versorgung in der Poppenhäuser Werntalhalle. Mit dabei waren (von links) Dr. Ingo Reeh, Apotheker-Vertreter Bernward Unger, Dr.
Silvia Eidel
 |  aktualisiert: 10.05.2023 10:36 Uhr

„Arzt weg. Apotheke weg. Patient bleibt… auf der Strecke?“ Einen plakativen Titel hatte die Kreis-CSU für ihre Podiumsdiskussion zur medizinischen Versorgung in der Region Main-Rhön gewählt. Dass es beim äußerst komplexen Thema über Ärzte- und Apothekermangel auf dem Land sowie Pflegenotstand keine einfachen Antworten gibt, war zu erwarten. Aber neben vielen ernüchternden Schilderungen der Situation kamen doch verschiedene kleine Lösungsansätze ans Licht.

Das war auch der Wunsch der Veranstalter, wie es Dr. Klaus-Peter Müller, Kreisvorsitzender des Gesundheits- und Pflegepolitischen Arbeitskreises (GPA) der CSU in der Region Main-Rhön, formulierte. Gemeinsam mit dem CSU-Kreisverband und der Frauen-Union hatte er Hausärzte, Fachärzte, Apotheker, Vertreter der Kassenärztlichen Vereinigung Bayern (KVB) und Bayerns Gesundheitsministerin Melanie Huml auf dem Diskussionspodium in der Poppenhäuser Werntalhalle zusammengebracht. Verfolgt und durch rege Fragen mitgestaltet wurde der Abend von etwa 180 Vertretern der Branche, von Kommunalpolitikern und Patienten.

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Ärztemangel im westlichen Landkreis

Wie sehr der Ärztemangel gerade im Westen des Landkreises Schweinfurt auf den Nägeln brennt, machte Poppenhausens praktischer Arzt Andreas Hahn aus dem Publikum heraus deutlich. Dieser Bereich ist „total unterversorgt“, die Versorgung der Bevölkerung akut gefährdet. Der Westen gehört zum hausärztlichen Bedarfsplanungsbereich Schweinfurt-Nord mit einem Versorgungsgrad von 75 Prozent, hatte zuvor ein AOK-Vertreter Zahlen genannt. Die Stadt Schweinfurt ist mit 106 Prozent gut versorgt, der Bereich Schweinfurt-Süd mit 110 Prozent offiziell überversorgt.

Diese Zahlen und damit die Niederlassungserlaubnisse für Ärzte werden über die KVB errechnet. Dessen Vertreter auf dem Podium, Martin Degenhardt, wehrte sich gegen die Schuld-Rolle, die ihm immer wieder zugeschoben wurde. Die KV in Bayern setze nur die Vorschriften um, die im gemeinsamen Bundesausschuss erarbeitet werden. Dort sei man derzeit aber dabei, die Verhältniszahlen – Ärzte pro Einwohner – neu zu erarbeiten. Die KV vertrete im Übrigen die Interessen der Ärzte.

Aufwand für Ertrag zu hoch

Als Gründe für den Mangel an Landärzten nannte er, dass der Aufwand im Verhältnis zum wirtschaftlichen Ertrag dort größer sei, was abschrecke. Zum anderen werde der ehemalige Männerberuf fast ausschließlich ein Beruf für Frauen, die andere Arbeitsvorstellungen hätten, flexiblere Zeiten wollten und Kinderbetreuung bräuchten. Stichwort: „Work-Life-Balance“.

Bürokratische Hemmnisse erschwerten zusätzlich die Arbeit, hier müsse die Politik verändern. Grundsätzlich müsse aber positiver über den Arztberuf gesprochen und vermittelt werden, dass dies ein schöner Beruf sei.

Konzentriert und sachlich verlief die Podiumsdiskussion zur medizinischen Versorgung in der Poppenhäuser Werntalhalle. Mit dabei waren (von links) Dr. Ingo Reeh, Apotheker-Vertreter Bernward Unger, Dr. Jürgen Schott, Bayerns Gesundheitsministerin Melanie Huml, Moderator Dr. Gernot Petzold, Dr. Peter Jung und KVB-Vertreter Martin Degenhardt.
Foto: Silvia Eidel | Konzentriert und sachlich verlief die Podiumsdiskussion zur medizinischen Versorgung in der Poppenhäuser Werntalhalle. Mit dabei waren (von links) Dr. Ingo Reeh, Apotheker-Vertreter Bernward Unger, Dr.

Während früher die Praxen um Patienten kämpften, sei es heute umgekehrt, führte der Bergrheinfelder Hausarzt Dr. Jürgen Schott an. Seine Praxis könne gut davon leben, bekannte er. Allerdings müsse man heute wirtschaftlicher arbeiten, bürokratische Hemmnisse lösen und im Team arbeiten wollen. Dagegen monierte der Haßfurter Frauenarzt Dr. Peter Jung die finanziellen Rahmenbedingungen und forderte die Politik. Aber er plädierte vehement dafür, die Vorzüge des Landlebens zu benennen: günstiger Baugrund, Lebenshaltungskosten, Naherholungswert.

Der frisch in Schonungen niedergelassene Arzt Dr. Ingo Reeh erläuterte, dass neben einer fairen finanziellen Übergabe der Praxis auch die öffentliche Förderung im Zulassungsbezirk Schweinfurt-Nord für ihn ein Grund für die Selbstständigkeit gewesen sei.

CSU fordert „Masterplan“

Dass die „große Politik“ handele, führte die Bundestagsabgeordnete und CSU-Kreisvorsitzende Anja Weisgerber an. Im Koalitionsvertrag sei von ihrer Partei ein „Masterplan“ gefordert: mit Förderung der Studenten, die in die Allgemeinmedizin gehen, mit einem veränderten Zugang zum Studium nicht nur über die Abiturnote, mit einer Stärkung der Allgemeinmedizin in der Lehre.

Der Bedarfsplan werde kleinräumiger gestaltet werden können, kündigte Bayerns Gesundheitsministerin Huml als Ergebnis der Koalitionsverhandlungen an, so dass sich Ärzte gegebenenfalls wieder niederlassen könnten. „Wir können nun mitwirken“, meinte sie mit Blick zum KVB-Vertreter.

Zuschläge für regionale Besonderheiten

Regionale Besonderheiten, etwa weite Fahrten zum Hausbesuch, dürften mit Zuschlägen versehen werden. Als weiteren Erfolg wertete sie im Bereich Apotheken, dass verschreibungspflichtige Medikamente nicht über den Versandhandel verkauft werden dürfen. Was ihr auch das Lob von Bernward Unger, dem Bezirksvorsitzenden des Bayerischen Apothekerverbandes einbrachte.

Kritik kam aus dem Publikum über die seit Jahren beklagte strikt an die Abiturnote gebundene Zulassung zum Medizinstudium. Es sei heute eine Frage des Geldes geworden, wenn junge Leute zum Studium nach Litauen oder Ungarn gingen. Und es gebe viel zu wenige Studienplätze.

Der Medizinertest sei in Bayern wieder möglich, erklärte Huml. Und der Freistaat schaffe an der Uni Augsburg 250 neue Plätze, kündigte sie an. Eine kostenintensive Initiative, der aber die anderen Bundesländer nicht folgen. Ob davon viele Ärzte in Bayern blieben, bezweifelte Moderator Dr. Gernot Petzold. Viele Absolventen gingen ins Ausland oder in die Industrie oder kehrten zurück in ihre Geburtsregion. Das sei aber auch eine Chance für die Kommunen, meinte er: Die Kommunalpolitiker sollten ihre heimischen Medizinstudenten im Auge behalten, sie wertschätzen, so dass sie nach dem Studium zurück in ihre Heimat wollten.

Unverständnis wegen fehlenden Kinderarztes

In der ansonsten sachlichen Diskussion wurde es emotional, als das Beispiel des verkauften Kinderarztsitzes von Werneck ans MVZ Leopoldina (Medizinisches Versorgungszentrum) genannt wurde. Eine betroffene Mutter nannte es absolut unverständlich, dass der Wernecker Sitz nicht neu besetzt werden dürfe. Oft stünden kapitalstarke Gesellschaften hinter den MVZs, die bei einem Praxisverkauf mehr bezahlen könnten, meinte Petzold. Oft seien es aber große kommunale Häuser, die MVZs einrichten, entgegnete KVB-Mann Degenhardt. Weshalb die Kommunalpolitiker bei dieser „Frage des Marktes“ durchaus mitverantwortlich seien.

In der zweieinhalbstündigen konzentrierten Diskussion kam das Thema Pflege nur kurz zur Sprache. Das „Zeitproblem“ der Pflegenden wurde von Diakonie-Vorstand Jochen Keßler-Rosa thematisiert, umständliche Vorschriften und Dokumentationspflichten wurden moniert. Zu diesem Thema wird es im Herbst eine eigene CSU-Veranstaltung geben, kündigte FU-Kreisvorsitzende Martina Gießübel an. Denn man wisse, wie sehr das Thema die Menschen beschäftigt.

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  • H. B.
    Verwunderlich, dass gerade die CSU das Problem beklagt.
    Die haben doch durch die CSU Landesregierung die Möglichkeiten, das Problem anzugehen.
    Aber die CSU Regierung ist ja damit beschäftigt den Großraum München weiter zu pushen. Die Nordbayern sind allenfalls genügsames Stimmvolk.
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  • B. S.
    Das ist ein Trauerspiel,aber als betroffener Bürger kommt man nicht dagegen an.

    Wir haben einen Schwerstpflegefall in der Familie.
    Hausarzt vor Ort-Fehlanzeige"zuviel Arbeit,zu kompliziert"O TON ein HA Ende 70,überhaupt nur die vorbereitete Vorlage einer Spezialverordnung für Pflegezubehör unterschreiben zu wollen.
    Traurig ist das.
    Es mag sein,dass Hausärzte unter dem GEhalt ihrer Facharztkollegen in den Kreisstädten liegen und die Arbeitsbelastung anders und höher ist.
    Allerdings wird trotz allen KLagen immer noch recht gut dabei verdient,sonst würde es doch keiner mehr machen,nach 6,8Jahren Medizinstudium.

    Aufgrund unglücklicher Umstände mussten wir jetzt einen Hausarzt 8km entfernt suchen.Besser den als keinen.Wenigstend für die Rezepte und VErordnungen.
    Bei massiven Beschwerden suche ich lieber gleich den Facharzt auf,der anders abrechnen und verordnen kann.
    Man will doch dem Budget eines notleidenden Hausarztes nicht auch noch auf der Tasche liegen,bei dem man HIlfe suchen würde
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