
Sie war eines der "Lomo-Weiber". So nannte der Volksmund die Angestellten des Rüdenhäuser Rasthofs leicht despektierlich. "Vielleicht, weil wir immer ein bisschen aufgebrezelt waren", mutmaßt Helene Feth heute schmunzelnd. "Aber das musste so sein, das gehörte dazu."

Die Rüdenhäuserin hatte es nicht nur mit Nachtschwärmern und Lkw-Fahrern aus aller Herren Länder zu tun, sondern auch mit Spielwütigen und Betrunkenen, mit Gestrandeten und Verlassenen, die sich in die Pilsstube flüchteten. Aber zugleich waren das eben auch "liebenswerte, hilfsbereite Menschen, denen das Schicksal nicht immer gut mitgespielt hat". Jetzt, kurz vor dem Abriss des alten Rasthof-Gebäudes in Rüdenhausen, besucht die 70-Jährige ein letztes Mal den Ort, an dem jahrelang das Leben tobte.
Dickes Moos wächst an den Jalousien des Rasthofs Lomo
Von Weitem schaut "die Lomo" nahe der A3-Auffahrt noch fast aus wie immer – allerdings längst ohne Leuchtreklame. Wer näherkommt, erkennt, dass die grüne Farbe von der Fassade blättert und dickes Moos an den Jalousien wächst. Helene Feth betrachtet das mannshohe Unkraut vorm Eingang. "Früher mussten wir hier regelmäßig jäten und gießen, sonst wurde Schappi Hanselmann wütend."

Schappi Hanselmann – laut Helene Feth hieß er so, weil er immer Hunde hatte – war Geschäftsmann in Diensten der Rüdenhäuser Lomo. Er entdeckte Helenes Eignung als "Lomo-Weib" im nahen Gasthof Behringer, wo er immer gern einen Feierabend-Drink zu sich nahm.
Mädchen für alles am Rasthof statt Haushälterin bei Familie Knauf
Helene Feth hütete oft Hans Behringers Kinder. Eines Tages sagte Hanselmann zu der gelernten Apothekenhelferin: "Helene, du kommst in die Lomo. Du bist taff genug."

Er sollte Recht behalten. Helene, die zuvor bei der Iphöfer Unternehmer-Familie Knauf im Haushalt gearbeitet und dann auf dem Schwanberg im Turm-Café bedient hatte, wurde in der Lomo zu einem "Mädchen für alles". Sie kochte, putzte, machte Bedien- und Thekendienst. "Das quirlige Leben hat mir Spaß gemacht!"
Gutes Trinkgeld in einer Schicht von zwölf Stunden
Am Wochenende waren die Schichten zwölf Stunden lang. "Uns war das nur recht. Wenn ich nach den zwölf Stunden keine 120 Mark Trinkgeld hatte, hab' ich überlegt, was heute falsch gelaufen ist."
Mit der Zeit lernte sie typische Tricks der Männer kennen. Ein Vertreter, der die Lomo lieber hatte als sein Zuhause, habe bei jedem Besuch gleich seine Wiederkehr geplant. "Er hat immer gesagt: 'Am besten, ich komme meiner Frau daheim so richtig blöd, dann schreit sie nämlich, ich soll gleich wieder verschwinden. Und schon bin ich wieder hier.'"

Trotz solcher Geschichten stellt Helene Feth klar: "Leichte Mädchen waren wir nicht!" Das Motto sei immer gewesen: "Der Gast ist König, aber nur, wenn er sich wie ein König benimmt."
Lkw-Fahrer hatten ein wachsames Auge auf die Lomo-Mädels
Gerade über Lkw-Fahrer könne sie "eigentlich nur Gutes" sagen. "Die meisten waren Stammgäste, die kannte man und die hatten auch ein Auge auf uns, wenn es mal brenzlig wurde und jemand Fremdes uns anging." Außerdem seien die "Mädels" immer mindestens zu zweit, meist zu dritt in jeder Schicht gewesen.

Viele Stammgäste seien wegen des vielfältigen Essensangebots gekommen, erinnert sich Helene Feth. "Ein Österreicher kam jeden Mittwoch zum Hähnchenessen – da konnte man die Uhr danach stellen! Und ein Holländer rief immer schon von der Autobahn aus an, um zu sagen, ich solle sein Rumpsteak jetzt aus dem Kühlschrank nehmen, damit es bei seiner Ankunft die perfekte Brattemperatur hat."
Besonders nachts, wenn kein Zeitdruck herrschte, gab es auch berührende Erlebnisse. "Einmal hockte ein Mann die ganze Nacht bei mir am Tresen und erzählte die ganze Zeit von seiner tollen Frau", blickt Helene Feth zurück. "Nach vielen Stunden habe ich es dann doch mal gewagt zu fragen, warum er denn jetzt nicht bei ihr ist. Da hat er mich angeschaut und gemurmelt: ‚Sie ist seit 20 Jahren tot.‘"
Um die Jahrtausendwende habe sich das Leben auf dem Rasthof rasant verändert. Helene Feth sagt: "Die Umstellung auf Selbstbedienung hat die Lomo kaputt gemacht." 2003 war für immer Feierabend. Die Rüdenhäuserin analysiert: "Gerade Fernfahrer, die den ganzen Tag über alleine sind, wollen abends echten Menschen begegnen, ein bisschen reden, etwas zu Essen serviert bekommen. Das sind doch keine Maschinen."
Früher konnten Lkw-Fahrer noch flexibler Pause machen
Ihr tun die Lkw-Fahrer leid: "Früher konnten sie flexibler Pause machen. Heute werden sie immerzu überwacht. Keiner kann mehr sagen, er stehe noch in München im Stau, wenn er einfach noch Hunger auf ein Schnitzel im Rasthof hat." Oder einen blinden Passagier mitnehmen will.

Eines Tages stolperte Helene Feth auf der Treppe zur Vorbereitungsküche, die im Dunkeln lag, um Strom zu sparen. Zehn Liter heißes Frittieröl ergossen sich über ihren linken Fuß. "Ich lag wochenlang im Krankenhaus. Der geplante Urlaub fiel aus."
Lkw-Fahrer holte sie aus der Klinik ab und fuhr sie nach Kroatien
Dann rief sie ein bekannter Lkw-Fahrer an. "Er hatte von meiner Misere gehört und bot an, mich mit dem Lkw aus der Klinik abzuholen, mit nach Kroatien zu nehmen, dort abzusetzen und bei der Rückfahrt ein paar Tage später wieder mit heimzunehmen." Helene Feth jubelte. "Das war für mich die beste Heilung!" Und von da an sei das Licht zur Vorbereitungsküche abends immer an gewesen.

Ob es auch mal einen richtigen schlimmen Gast gegeben habe? Helene Feth grinst. "Oh ja! Der ist reingekommen und hat kommandiert: ‚Ein Helles!‘. Ich habe geantwortet, dass wir aktuell kein Helles haben, er könne ein Dunkles bekommen oder das etwas lieblichere Export.
Daraufhin hat er mich angefahren, ich hätte doch wahrscheinlich keine Ahnung, was ein Helles überhaupt ist. Tja…" – sie haut triumphierend mit der Hand auf den Tisch – "…nach so einem Satz kannste die Helene mal erleben!" Sie lacht vergnügt und erzählt mit blitzenden Augen weiter: "Ein halbes Jahr später haben wir geheiratet. Ich bin heute noch mit meinem Reinhold zusammen."
Es grüßt ein ehemaliger Rüdenhäuser und wünscht weiterhin alles Gute, leider auch ohne LOMO. FRANK ERDMANN STOESSEL