Tanken, kurz aufs Klo, Kaffee holen und dann nichts wie weg. So läuft der typische Besuch einer Raststätte ab. "Raststätten sind die Kühe unter den öffentlichen Bauwerken. Sie sind allgegenwärtig, und wir machen uns über sie lustig, ohne viel über sie zu wissen", sagt der Schriftsteller Florian Werner. Wir haben uns umgesehen an diesem rauen, ungehobelten Ort, der für viele der dort Arbeitenden ein Ort der Identifikation ist. 40 Jahre gibt es den Autohof Strohofer in Geiselwind (Lkr. Kitzingen) an der A 3, auf der täglich bis zu 100 000 Fahrzeuge verkehren. Was tut sich dort, vor und hinter den Kulissen? Wer sind die Menschen, die hier landen? Wer die Beschäftigten, die den Laden am Laufen halten? Beobachtungen an einem Ort, der nie zur Ruhe kommt.
Irgendwann nach Mitternacht: Still ruht der Autohof – das stimmt selbst mitten in der Nacht nicht. Auch wenn gerade 400 Fernfahrer in ihren Kojen liegen und auch im Hotel Ruhe eingekehrt ist, gilt das, was die Neon-Werbeschilder an vielen Stellen versprechen: "24 h". Rund um die Uhr. Das trifft auf das Hotel ebenso zu wie aufs Tanken: 24 Stunden, 365 Tage. Immer, immer, immer.
Kurz nach 4 Uhr: Thomas Albert heuerte etwa ein Jahr nach Eröffnung des Autohofs als Metzgergeselle bei den Strohofers an. Ein Strohofianer, der später seine Meisterprüfung ablegte und zum Catering-Chef aufstieg. Die eigene Versorgung – darauf hatte Firmengründer Anton Strohofer von Anfang an ein Augenmerk gelegt. Rasthof mit angeschlossener Metzgerei und eigener Schlachtung – das würde ankommen. Und es kam an.
Das Catering liefert bei den Großveranstaltungen des Autohofs genauso wie bei privaten Anfragen. Fünf Mitarbeiter kümmern sich darum, dass in der Metzgerei und dem Gasthaus der Nachschub niemals versiegt. Besonders gefragt: Mett und Leberkäse. "Irgendetwas scheinen wir richtig zu machen", sagt der 58-Jährige verschmitzt. Und auch wenn die Metzgerei offiziell erst um 7 Uhr aufmacht – warme Leberkässemmeln gibt es für die Stammkundschaft schon weit vor der Zeit.
9.14 Uhr: Da ist dieser nette, ältere Herr, der aushilfsweise mit seinem Gabelstapler von Mülltonne zu Mülltonne fährt, um für Ordnung und Sauberkeit zu sorgen. In die Zeitung möchte er nicht, weil er ja nur ab und zu da ist. Wir respektieren das natürlich. Trotzdem würden wir gerne in die Zeitung schreiben, dass ein netter, älterer Herr morgens kurz nach 9 akribisch und gut gelaunt den Müll wegräumt.
10.20 Uhr: Zollstation. Das Schild sucht man vergeblich zwischen den unzähligen Autohof-Schildern. Weil es keine Zollstation gibt. Und doch ist er da, der Zoll. Das Auto dient als mobiles Büro. Seit den Morgenstunden wurde ein halbes Dutzend Laster kontrolliert. Im Grunde eine einfache Sache: Klopfen, die Kundschaft wecken und Papiere kontrollieren. Zollstation Strohofer. Vielleicht kommt das Schild ja noch eines Tages.
10.55 Uhr: Im Hotel geht es an diesem Vormittag ruhig zu. Von den 66 Zimmern sind nicht viele belegt, von den Vor-Corona-Zahlen kann man gerade nur träumen. Zumal eine der wichtigsten Gästegruppen sowieso noch fehlt: Die Veranstaltungen am Wochenende finden weiterhin nicht statt –und damit bleibt ein Großteil der Kundschaft weg. Und so müssen das Schwimmbad und der Verwöhnbereich – keine 300 Meter von der Autobahn entfernt – vorerst weiterhin auf bessere Zeiten warten.
11.02 Uhr: Autobahnpolizei Strohofer: Auch dieses Schild würde Sinn machen. Der Streifenwagen kommt mit einem Auto im Schlepptau, das wiederum ein kleines Boot auf einem Anhänger zieht. Herausgewunken, weil der Fahrer in einer Baustelle das Überholverbot missachtet hat. Mit seiner "Entschuldigung" kommt er nicht weit, zahlen muss er trotzdem: fast 100 Euro. Nachdem das passiert ist, ploppt ein kleiner Ehekrach auf: Sie macht ihm Vorwürfe wegen seiner Fahrweise, er schnauzt zurück. Danach raucht das Paar auf den Schreck eine Zigarette zusammen, der Diskussionsbedarf ebbt ab. Sie dürften als ganz wenige die Fernfahrer-Oase in keiner guten Erinnerung behalten. Dafür kann jetzt Baustellen-Durchfahren geübt werden: Bis Nürnberg besteht gerade reichlich Gelegenheit.
Mittag: Laster im Halbminuten-Takt. Es ist immer Bewegung an der Ausfahrt 76. Einer fährt garantiert immer. Und genauso garantiert kommt wer. Laster auf Laster. Sie tragen Schriftzüge wie "Life in motion". Oder "The world of Transport". Gerne auch "All the way". Euro-Türk steht neben Euro-Truck und European Logistics. Transportiert wird alles: Laster, die andere Laster transportieren. Laster, die Autos transportieren. Baustoffe, Baustoffe, Baustoffe. Häuserteile. Es gibt Hebebühnentransporte, Thermotransporte und Gefahrguttransporte. Der WDR fährt mit zwei Riesen-Trucks davon. Dabei wäre hier die Geschichte gewesen.
12.44 Uhr: An Ruth Strohofer ist schwer ranzukommen. Der Vormittag war komplett mit Terminen zu. Im Büro, wo ihre Mutter Herlinde auch mit 80 Jahren noch jeden Tag vorbeikommt und nach dem Rechten schaut, war sie bisher kaum. Und gleich geht es zu einem Architekten, die Zukunft planen: Die Laster-Stellplätze sollen neu konzipiert werden. Dafür ist gerade Zeit, weil ein Großteil des Geschäfts seit Corona brachliegt: der Eventbereich. Weshalb das Treffen mit der Mitinhaberin in der Music-Hall fast schon ein wenig gespenstisch wirkt: Strohofer ohne Feste – eigentlich undenkbar.
13.30 Uhr: "Umsatzstärkste Shell-Tankstelle Europas" – viele Jahre trug der Autohof diesen Titel stolz vor sich her. Bis 2005 die Spritpreise in Deutschland mal wieder explodierten und die Fernfahrer möglichst im Ausland tankten. Dennoch ist Geiselwind weiterhin ein Tank-Gigant: 22 Tankspuren gibt es, verteilt auf inzwischen vier Tankstellen. Shell begrüßt täglich 1200 Kunden, Total um die 800. Dreischichtbetrieb mit 24 Angestellten. Dazu kommt eine Tankstelle nur mit Automaten und eine für E-Autos. Und was Mengen anbelangt, ist immer noch großes Kino angesagt: Ein Laster kann bis zu 800 Liter fassen. Weshalb bis zu zweimal am Tag für Sprit-Nachschub gesorgt werden muss.
15.14 Uhr: Manuela Strohofer kommt über den Hof gefahren – und wird beim Erzählen ein bisschen melancholisch, wenn sie an die Anfänge hier denkt, an jene Zeiten, als die Trucker mit Lust und Laune ihr üppiges Spesengeld verjubelten. Sie steckte mitten im Abitur, als es auf dem Autohof der Eltern "volle Kanne" losging. "Wir wurden überrollt. Ich kam aus der Spülküche gar nicht mehr heraus." Ihr Bruder Anton jr. verunglückte in jungen Jahren tödlich. Die Idee des Vaters überlebte: Standzeit ist Nutzzeit. Den Truckern und Reisenden wurde geboten, was sie brauchten, um Körper und Seele zu stärken. Ihr Vater habe "immer auf den Zeitgeist geschaut und überlegt: Was braucht der Reisende?"
16.23 Uhr: Eine Werkhalle, Stimmengewirr, es riecht nach Öl und Gummi. Seit zehn Jahren das Reich von Gerry Gläsmann. Man hat Glück, um diese Uhrzeit noch jemanden anzutreffen. Halb fünf ist hier in der Regel "Schicht im Schacht", wie einer der Männer sagt, die am Rande eines großen Reifenstapels ihr Feierabendbier trinken. Eine Nachtschicht gibt es in der Mercedes-Benz-Werkstatt nicht. Das Geschäft läuft hier am Tag, von 8 Uhr bis 16.30 Uhr. Gebrochene Bremsscheiben, Reifenpannen, solche Sachen. "Man hat hier die Autobahn", sagt Gläsmann. "Da kann jeden Tag was anderes passieren." Aber auch die Autobahn ist nicht mehr das, was sie mal war. Vor zehn Jahren hat Gläsmann hier angefangen, "meine Frau hat mich beworben", da lebte die Werkstatt noch zur Hälfte von der Autobahn. "Heute sind es vielleicht noch 20 Prozent." Warum? Gläsmann setzt ein verschmitztes Lächeln auf. "Wahrscheinlich weil die Autos besser werden."
17.07 Uhr: Zwei Männer auf einer massiven Holzbank, eine kleine grüne Oase am Rande eines großen Lkw-Parkplatzes, auf dem Tisch vier Flaschen "Sternquell", die weißen Zugmaschinen in Sichtweite. Für heute ist Schluss bei Icke und Marcel. Icke, Cowboyhut, blaue Sportschuhe – keine Ahnung, ob er wirklich so heißt – will eigentlich gar nicht mit der Presse reden, aber dann wird es doch ein längeres Gespräch. Früher, erzählt Icke aus Berlin, sei er bis nach Glasgow oder Manchester gefahren, mit der Fähre über den Kanal, zweieinhalb Tage hin, zweieinhalb Tage zurück. Heute ist Schlüsselfeld sein Glasgow, Waren liefern ins große Logistikcenter eines Sportartikelherstellers. In Delmenhorst sitzt ihr "großer Meister", aber Delmenhorst ist weit weg, wa? Und das beantwortet auch schon fast die Frage, warum Icke seit nunmehr 32 Jahren auf dem Bock sitzt. "Sehen Sie einen Chef auf dem Auto?" Wenn der Chef mal nervt, krächzt Icke ins Handy: "Schlechte Funkverbindung!" Schon ist er wieder allein. Seit sechs Jahren ist ihm Hund Kalle ein treuer Begleiter. Familie? "Hab ich abgeschafft." Marcel hat zu Hause in Sachsen immerhin Frau und Kind, am Wochenende sieht er sie für ein paar Stunden, "wenigstens etwas". Zwei Einsame in Zeiten der Vereinzelung.
17.57 Uhr: Stille. Nur wenige Schritte liegen zwischen dem ständigen Grundrauschen dieses Autohofs und absoluter Ruhe. In der Autobahnkirche findet der Gast Weihwasser zum Mitnehmen – die große Flasche zu 4,50 Euro, die kleine für 3,50 Euro – und einen Moment der Einkehr. Von den 45 Autobahnkirchen in Deutschland war Geiselwind eine der ersten. Anton Strohofer, dessen Geist über allem hier schwebt, hat sie vor 20 Jahren in Auftrag gegeben, inklusive 30 Meter hohem Kirchturm. "Er stellte den Rohbau hin und sagte zu mir: Mach mal fertig", erzählt Tochter Manuela, die dreimal täglich, nun ja, hierher pilgert. Es ist ein Ort zum Beten, "ein Platz für Gott und sein Wort".
Aber nicht nur das. Trucker feiern hier Hochzeit oder die Taufe ihrer Kinder. Es gibt keine Statistiken, wie viele Menschen im Jahr das ökumenisch geweihte Gotteshaus besuchen, aber es gibt den "Durchschnittsgast", wie Manuela Strohofer sagt. "Männlich zwischen 40 und 50, verheiratet, katholisch, Kinder." Jetzt gibt es noch einen Engelsweg mit zwölf Stationen, er beginnt am Fuß des großen Parkplatzes und führt hinauf zur Mariengrotte, einen magischen Ort inmitten der Natur. "Viele Menschen", sagt Manuela Strohofer, "haben überhaupt keinen Bezug zur Kirche, aber zu Engeln".
18.58 Uhr: Siegfried Giernat, "überzeugter E-Autofahrer", wie er sagt, braucht Nachschub. Sein Hyundai Ionique verfügt über 220 Kilometer Reichweite. Das könnte knapp werden für die 150 Kilometer, die er noch vor sich hat bis Gelnhausen. Also öffnet er die Tankklappe, hängt das grüne Kabel mit dem Stecker in die Buchse seines Wagens und zapft schnell eine Ladung Strom. Von 71 Prozent Kapazität steigt die Anzeige auf 90 Prozent. Nach zehn Minuten ist er wieder weg.
19.37 Uhr: Der Parkplatz füllt sich, ein Truck nach dem anderen biegt um die Ecke auf den großen Hof. "Heeey!", ruft Branislav Pruzek, den hier alle Branni nennen. Ein Fahrer aus Russland hat es besonders eilig, weil in wenigen Augenblicken seine Lenkzeit endet. Branni behält die Ruhe, er spricht acht Sprachen, was von Vorteil ist, wenn man bedenkt, dass inzwischen mehr als die Hälfte der Fahrer aus dem Ausland kommt. An ihm müssen sie alle vorbei, um ihre Parkplatzgebühr zu bezahlen. Zwölf Euro, kein Pappenstiel. Sieben Euro können als Verzehrbon für "Tonis Rasthaus" genutzt werden. Brannis Schicht beginnt um 19 Uhr und endet gegen 3.30 Uhr. Der Tag heute? "Ein bisschen ruhiger als sonst." Vergangene Woche waren alle Parkplätze, und das sind fast 400 übers ganze Gelände verteilt, um 22 Uhr voll.
20.47 Uhr: Blaue Stunde, im Biergarten von Tonis Restaurant sitzt ein bunt gemischtes Völkchen. Fernfahrer, Monteure, Handelsreisende. Auf der Speisekarte Klassiker wie der Fernfahrerteller zu 9,99 Euro, drei kleine Schnitzel an Paprikasoße mit Gemüse und Bratkartoffeln oder sechs Stück Tonis Bratwürstchen aus der hauseigenen Metzgerei mit Sauerkraut zu 8,89 Euro.
21.14 Uhr: Isabell Strohofer ist auf den Hof gefahren, um noch einmal nach dem Rechten zu sehen, und das Erste, was man von dieser quirligen jungen Frau wahrnimmt, ist ein weißer Knopf im Ohr. Damit kann sie all die Anrufe entgegennehmen, die sie auf dem Handy erreichen. Auf dem Papier ist sie "Geschäftsführerin", in der Praxis Powerfrau, die Enkelin des Autohofgründers und Tochter von Juniorchefin Manuela. Isabell verantwortet Hotel, Restaurant und Marketing. Zu Hause warten ihr Mann und ihr zweijähriger Sohn. Wie oft sie im Laufe der Nacht noch raus muss, weiß sie nicht. Immer dann, wenn sich ein vergesslicher Hotelgast mal wieder aus seinem Zimmer ausgesperrt hat und sie die Tür mit der Generalkarte öffnen muss.
"Ich schaue, dass alles läuft", sagt sie lapidar. Sie will nicht jammern, verweist auf ihr "tolles Team". Was sie antreibt? Die Leidenschaft für ihren Job. Wenn andere feiern, ist sie am Organisieren. "Ich brauche nicht viel Schlaf", sagt sie. "Vier Stunden reichen." Sie hat studiert, ein paar Jahre war sie weg, im Ausland, was anderes ausprobieren, 2017 kam sie wieder. Wo sie Ausgleich findet für all den Stress? "Da bin ich ein bisschen überfragt."
23.23 Uhr: Vor anderthalb Stunden hat die Nachtschicht von Günter Höhn begonnen. Jetzt steht er an seinem Kassenplatz in der gelb und rot illuminierten Shell-Tankstelle – wie mindestens 20 Mal im Monat; wie die vergangenen 40 Jahre. Höhn ist ein Mann der ersten Stunde, am 23. März 1981 war sein erster Arbeitstag. Aber los ging es schon früher. Mit Toni Strohofer, dem "Chef", baute er selbst die Tankstelle auf. Ein halbes Jahr hatten sie erst einmal den Acker planiert. Zu Hause hat Höhn noch eine kleine Landwirtschaft, aber der Job an der Tankstelle hat ihn nie losgelassen. Seit 20 Jahren arbeitet er nur noch nachts, 20 bis 22 Mal im Monat. Die Nacht ist seine Zeit, die Nacht gebiert besondere Menschen. "Es gibt Leute", sagt Höhn, "die sieht man einmal, und sie erzählen dir ihr ganzes Leben." Echte Probleme habe es in all den Jahren nie gegeben. "Ich bin noch nie mit Angst gekommen und nie mit Angst gegangen."