
Am 9. Juli 2021, einem Freitag, fängt es tagsüber in Unterfranken an zu regnen. Gärtner und Landwirte freuen sich. Nach drei extrem trockenen Jahren endlich das ersehnte Nass für Böden und Grundwasser. Einige Stunden später melden erste Gemeinden im Landkreis Kitzingen überflutete Straßen und vollgelaufene Keller. Es regnet nun immer stärker, und es will einfach nicht aufhören. Aus dem anfangs willkommenen Landregen wird ein Jahrhunderthochwasser. Die elementare Flut hält Hunderte Hilfskräfte in Atem, ihre Folgen spüren manche bis heute, und die Frage ist nicht, ob die nächste Katastrophe kommen wird, sondern nur wann. Und: Werden die Einsatzkräfte ihr gewachsen sein?
Der Landkreis, der damals in der Kritik stand, nicht angemessen auf die Katastrophe reagiert zu haben, ist gut ein Jahr später bereit, groß zu denken. Ein "richtungsweisendes Strategiepapier" stellt Kreisbrandrat Dirk Albrecht dem Kreistag am Dienstag in der Dettelbacher Maintalhalle vor. Von der mobilen Sirenenanlage über eine Sandsackfüllmaschine bis zu einem neuen Feuerwehrzentrum enthält es alles, was sich die Feuerwehrführung in den nächsten Jahren vom Landkreis wünscht, um ihren Job bestmöglich zu erfüllen.
Viele Bürgermeisterinnen und Bürgermeister sind gekommen, Albrecht und Landrätin Tamara Bischof wollen, ja müssen sie mit ins Boot holen, weil es ohne die Gemeinden nicht gehen wird. Vor allem auf dem Land steht das föderale Feuerwehrsystem unter Druck: Während in größeren Städten wie Würzburg die Berufsfeuerwehren mit verbeamteten Mitgliedern ausgestattet sind, sind es im Landkreis Kitzingen rund 3600 Freiwillige in 103 Feuerwehren; und die haben mit vielfältigen Herausforderungen zu kämpfen.
Autobahn, Schiene und der Main bergen ein stetes Gefahrenpotenzial
Ein Netz von 65 Kilometer Autobahnen, 47 Kilometer Bahnschienen und 23 Kilometer Bundeswasserstraßen zieht sich durch den Landkreis, es gibt den Flugplatz in Kitzingen, große Industriebetriebe und eine wachsende Zahl von Biogasanlagen, hinzu kommen 15.200 Hektar Wald. Eine gewaltige Infrastruktur – und aus Sicht der Feuerwehren alles potenzielle Gefahrenstellen. Neuerdings sollen die Wehren am besten auch noch die Energieversorgung aufrechterhalten und den Klimawandel abfedern. Dabei haben sie mit den extremen Wetterphänomenen schon genug zu schaffen. Kaum noch zu zählen sind die Einsätze der Brandschützer bei Starkregen, Sturzflut, Sturm, Hochwasser oder Waldbrand. Sie sind in der Regel die ersten, die im Notfall gerufen werden. Und es dürften mehr Einsätze werden.

Dirk Albrecht war gerade sechs Wochen im Amt, als ihn im Juli 2021 die Wucht der Ereignisse traf. Eine Jahrhundertflut als Feuertaufe. Der neue Kreisbrandrat steht auch ein gut ein Jahr später immer noch unter dem Eindruck dieser Katastrophe. Sie hat gezeigt, was möglich ist im Landkreis – und was nötig ist, um ihr zu begegnen. Mensch und Material sind am Anschlag. Um die Grenzen nach oben zu verschieben, braucht es gut ausgebildetes Personal und die beste Ausrüstung. Für beides ist Albrecht gewillt zu kämpfen. Er weiß, dass die Feuerwehren zuallererst eine Pflichtaufgabe der Kommunen sind, der Landkreis sich jedoch nicht aus seiner überörtlichen Verantwortung stehlen kann.
Bund und Länder haben den Katastrophenschutz in den 1990er-Jahren mehr und mehr ausgedünnt, jetzt soll zügig nachgerüstet werden, um besser auf die sich häufenden "überörtlichen Schadenslagen" reagieren zu können. Im Papier des Kreisbrandrats geht es um die Beschaffung von Mehrzweckbooten, Tanklöschfahrzeugen, Einsatzleitwagen oder Notstromaggregaten. Der Landkreis kauft sie und stationiert sie dezentral in der Region, auch kleinere Wehren kommen so zum Zug.
Nicht nur Material, auch neue Stellen sollen geschaffen werden
Mobile Sirenen- und Lautsprecheranlagen sollen künftig dazu beitragen, die Bevölkerung im Katastrophenfall besser zu warnen, eine Maschine soll helfen, 30.000 bereitliegende Sandsäcke zu füllen. Gleichzeitig gewährt der Landkreis jährlich insgesamt 400.000 Euro Zuschüsse beim Kauf von Ausrüstungsgegenständen – wenn kommunale Feuerwehren bereit sind, sich an überörtlichen Einsätzen zu beteiligen. Es geht aber nicht nur um Material, sondern auch um neue Posten, etwa einen Kreisbrandmeister, der sich um die zentrale Ausbildung kümmert, und einen Fachberater für die Einsatzleitung.

Und dann ist die Rede noch von einem neuen Feuerwehrzentrum, groß genug, um darin vier Fahrzeuge, die Kreis-Einsatzzentrale und – in einem zweiten Bauabschnitt – eine eigene Übungsstrecke für die etwa 400 Atemschutzgeräteträger des Landkreises unterzubringen. Ein rund sechs Millionen Euro teurer Traum. Ob das Zentrum kommt und wo es entstehen soll, ist noch völlig unklar. Wie überhaupt alles, was Albrecht vorgestellt hat, nur als Vorschlag zu verstehen sei. "Ein Diskussionspapier", so die Landrätin. Für die Freien Wähler signalisierte Fraktionsvorsitzender Josef Mend schon einmal Zustimmung. Auch Barbara Becker (CSU) sagte, am Katastrophenschutz dürfe nicht gespart werden.
Den Gemeinden droht womöglich eine höhere Kreisumlage
Mend, schon als Iphöfer Bürgermeister Verfechter einer schlagkräftigen Feuerwehr, sieht beim stetig wachsenden Gefahrenpotenzial "keine Alternative" zu einer umfangreichen Nachrüstung der Wehren. Weil der Landkreis künftig aber auch verstärkt in Bildung, Soziales und ÖPNV investieren müsse, dürfe man finanziell den Bogen nicht überspannen. Schwarzachs Bürgermeister Volker Schmitt (Freie Wähler) deutete an, den Gemeinden müsse klar sein, dass mit Verwirklichung des Konzepts eine höhere Kreisumlage einhergehe. Das Papier soll in den nächsten Monaten innerhalb der Fraktionen diskutiert werden. Albrecht sagt, es gehe auch darum, einen "Ersatzbeschaffungsstau zu vermeiden".