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Kitzingen
Eine USA-Auswanderin auf Heimatbesuch: So erinnert sich Susan Lundeen an die wilden Zeiten in Kitzingen
Vor 50 Jahren zog sie der Liebe wegen nach Amerika, doch den Kontakt nach Kitzingen hat Susan Lundeen nie verloren. Jetzt, bei ihrer Rückkehr, erinnert sie sich an tolle Tage.
Rund 65 Jahre liegen zwischen den beiden Fotos. Links: Die kleine Susan läuft mit ihrer Mama Nora und einem Leiterwagen am Tor entlang, das zu ihrem Wohnhaus in der Wörthstraße 32 führt. Rechts: Susan Lundeen und ihr Mann Roy vor dem Tor, das sich in all den Jahren kaum verändert hat. Das Haus im Hintergrund gehört Familie Arauner. 
Foto: Diana Fuchs | Rund 65 Jahre liegen zwischen den beiden Fotos. Links: Die kleine Susan läuft mit ihrer Mama Nora und einem Leiterwagen am Tor entlang, das zu ihrem Wohnhaus in der Wörthstraße 32 führt.
Diana Fuchs
 |  aktualisiert: 30.08.2024 02:38 Uhr

Wissen Sie, wo das Spinnengässle ist? Wie viel Geld man 1960 für Nudeln mit Soße bezahlen musste? Und wo das Brathähnchen heute noch genauso schmeckt wie vor 55 Jahren? Bei einem Rundgang mit der "Kitzinger Amerikanerin" Susan Lundeen durch die Kitzinger Altstadt und das Mühlberggebiet  kommen selbst alteingesessene Kitzinger ins Schwitzen. Und ins Staunen.  

Susan Lundeen, Jahrgang 1954, ist zwar – als Susan Graves – in New York geboren, kam aber schon als Kindergartenkind nach Kitzingen und wuchs hier auf. Mit Anfang 20 fand sie beim Studium in den USA den Mann fürs Leben und zog zu ihrem Roy nach New Jersey. Doch Kitzingen blieb im Herzen ihre "Home Town", Heimatstadt, wie sie sagt. Immer wieder zieht es sie hierher.

50 Jahre nach ihrem Wegzug schlendert sie mit Roy aktuell wieder einmal durch die Straßen und Gassen. Und lässt ihr phänomenales Gedächtnis aufblitzen. Die Mathematiklehrerin im Ruhestand, deren Vater bei der Air Force arbeitete, erinnert sich sehr gut an Gerüche, Farben, Gebäude und Menschen, die das Leben in der Weinhandelsstadt prägten.

Aus Versehen eine Eisschale beim Dietz zerdeppert: 2,20 Mark

Früher, als der Kitzinger Marktplatz noch keine autofreie Zone war, kaufte Alt und Jung Haushaltswaren beim 'Dietz am Kiliansbrunnen'.
Foto: Archiv Kurt Höcht | Früher, als der Kitzinger Marktplatz noch keine autofreie Zone war, kaufte Alt und Jung Haushaltswaren beim "Dietz am Kiliansbrunnen".

Vor dem leerstehenden Dietz am Marktplatz – früher ein gefragtes Haushaltswarengeschäft direkt am Kiliansbrunnen – klatscht Susan Lundeen in die Hände. "Dort hat es alles gegeben, was man sich nur vorstellen kann, vom Milchtopf bis zum Einmachglas", erzählt sie in amerikanisch angehauchtem Deutsch, und ihre blau-grünen Augen blitzen. "Die Waren stapelten sich bis zur Decke", es sei fast kein Durchkommen gewesen. "Einmal ist mir eine Eisschale runtergefallen und zerbrochen. Das hat 2,20 D-Mark gekostet." Danach sei sie lange Zeit nicht mehr in den Laden gegangen.

Für deutlich weniger Geld, nämlich 50 Pfennig, gab es im Hotel Deutsches Haus eine Kinderportion Nudeln mit Soße. "Die habe ich geliebt!" Die Soße wurde immer in einer Extra-Terrine serviert, das weiß Susan Lundeen noch genau. "Mit sechs, sieben Jahren war es das Größte für mich, die Soße selber über die Nudeln zu gießen."

Diese alte Postkarte zeigt das Kitzinger Prinzregent-Luitpold-Bad um 1914. Bis in die 1970er-Jahre wurde es tatsächlich als Volksbad genutzt. Heute sind darin Volkshochschule und Stadtbücherei.
Foto: Stadtarchiv Kitzingen | Diese alte Postkarte zeigt das Kitzinger Prinzregent-Luitpold-Bad um 1914. Bis in die 1970er-Jahre wurde es tatsächlich als Volksbad genutzt. Heute sind darin Volkshochschule und Stadtbücherei.

Samstag war Badetag, und die Oma ging ins Luitpoldbad

In fast direkter Nachbarschaft des Deutschen Hauses steht der Luitpoldbau, früher Prinz-Luitpold-Bad oder schlicht Volksbad genannt. "Samstags ging meine Oma Jutta Kreppel immer dorthin zum Baden", erinnert sich Susan Lundeen. "Ich selbst musste daheim in einem Metallwännchen auf dem Küchenboden baden."

Ende der 1960er-Jahre in Kitzingen: Die junge Susan und ihre Tante Erna sitzen auf den Stufen ihres Wohnhauses in der Wörthstraße 32.
Foto: Susan Lundeen | Ende der 1960er-Jahre in Kitzingen: Die junge Susan und ihre Tante Erna sitzen auf den Stufen ihres Wohnhauses in der Wörthstraße 32.
Im August 2024 in Kitzingen: Susan Lundeen, inzwischen 70, sitzt auf den Steinstufen, die sie als Kind so oft hinauf- und hinuntersprang.
Foto: Diana Fuchs | Im August 2024 in Kitzingen: Susan Lundeen, inzwischen 70, sitzt auf den Steinstufen, die sie als Kind so oft hinauf- und hinuntersprang.
Ein frühes Werbeplakat für den Kitzinger Kunsthonig.
Foto: Archiv Firma Paul Arauner | Ein frühes Werbeplakat für den Kitzinger Kunsthonig.

Daheim – das war für die kleine Susan bis 1974 das Steinhaus in der Wörthstraße 32. Beim spontanen Besuch nimmt sie erneut Platz auf den vier Steinstufen vor dem Portal, die genauso aussehen wie damals, als sie ein Kind war. Rund 60 Jahre zuvor gab es dieses Motiv schon einmal. Damals saß Tante Erna Kreppel neben dem Mädchen, dessen Eltern sich nach dem Krieg auf dem Kitzinger Flugplatz kennengelernt hatten.

"Mein Vater Charlie Graves stammte aus Massachusetts, meine Mama Nora Kreppel – Tante Ernas Zwillingsschwester – war Kitzingerin." Nachbarn in der Wörthstraße waren die Unternehmerfamilie Arauner. "Ich weiß noch genau, wie cremig Arauners Kunsthonig geschmeckt hat", schwärmt Susan Lundeen. 

Als Kind nicht verstanden, was mit den muhenden Kühen passierte

Gegenüber des Hauses befand sich ihren Angaben zufolge die Molkerei Walther. "Große Milchwägen sind da ein- und ausgefahren." Und an der Stelle des heutigen Edeka sei früher das Kaufhaus "Schöpflin/Haagen" gewesen. "Dort haben wir oft eingekauft. Ich besitze noch eine blaue und eine grüne Decke von dort, beste Qualität!" Kaum 200 Meter weiter lag der Kitzinger Schlachthof. "Als Kind habe ich mich immer über das Muhen der Kühe gefreut, aber gar nicht begriffen, was da mit denen passierte."

Im Kaufhaus Schöpflin – dort, wo sich heute Edeka Weigand befindet – kaufte Susan als Kind mit ihrer Mutter Nora Kreppel ein. Zwei Kuscheldecken von dort nutzt sie heute noch, daheim in den USA.
Foto: Stadtarchiv Kitzingen | Im Kaufhaus Schöpflin – dort, wo sich heute Edeka Weigand befindet – kaufte Susan als Kind mit ihrer Mutter Nora Kreppel ein. Zwei Kuscheldecken von dort nutzt sie heute noch, daheim in den USA.

Doch es gab auch andere tierische Begegnungen in der Wörthstraße. "Im Geschäft von Samen Fetzer kauften mir meine Eltern ab 1960 meine Wellensittiche Whitey und Fiffi. Die haben mich lange begleitet." 

Ins nahe Gasthaus am Mühlberg sei sie als Mädchen oft geschickt worden, "um eine Flasche Bier für die Oma zu holen". Susan Lundeen weiß noch genau: "Es ging ein paar Stufen rauf, dort musste man an ein Fensterchen klopfen, das sich dann öffnete. Man legte 60 Pfennig hin und sagte artig: 'Eine Flasche Bier bitte, für die Großmutter'."

In der Jukebox lief Elvis Presley in Dauerschleife

Viele lustige Abende verbrachte die ganze Familie Kreppel/Graves  im Wirtshaus der "Stockers" in der Moltkestraße 4 sowie im "Krautheimer Bierstüble" an der Kreuzung B8/Wörthstraße. "Dort gab es leckere Schnitzel, Pinball, also eine Art Flipper, und in der Juke-Box lief Elvis' Song 'Suspicious Minds' in Dauerschleife", versetzt Susan Lundeen ihre Zuhörer zurück an den Anfang der 70er-Jahre, während sie auf die frisch renovierte Fassade an der B8 blickt. 

Zentrum der wilden 60er und 70er Jahre war die Hillbilly-Bar. Hier bekam die Kitzinger Jugend erstmals Kontakt zur Beatmusik und den US-Amerikanern. Die legendäre Kneipe machte Kitzingen weit über die Grenzen Bayerns hinaus bekannt.
Foto: Renate Haass Archiv | Zentrum der wilden 60er und 70er Jahre war die Hillbilly-Bar. Hier bekam die Kitzinger Jugend erstmals Kontakt zur Beatmusik und den US-Amerikanern.

Überhaupt Musik: Ihre Kindheit und Jugend in Kitzingen war davon geprägt. Mit ihrer Freundin Renate Stier aus Rödelsee besuchte Susan sogar eine Tanzschule in Würzburg. "In Kitzingen haben wir im Felsenkeller und in der Hillbilly getanzt. Und manchmal über die GIs gelacht, die das Bier in Deutschland, das wesentlich stärker ist als in Amerika, falsch einschätzten. Sie zogen singend und schwankend durch die Straßen. Und leider ging auch so manche Bierflasche dabei zu Bruch."

Die knusprigen Hähnchen vom Esbach-Hof liebt Susan heute noch

Vom engen "Spinnengässle", das die Altstadt noch heute mit den Straßen im Mühlberggebiet verbindet, bis zum Falterturm: Viele weitere Anekdoten machen die Runde, während Susan und Roy Lundeen aufmerksam durch Kitzingen schlendern. Die Eheleute haben ihre Rituale, die jeden Kitzinger Besuch krönen.

Mit dem Leiterwagen auf Tour: Dieses Bild der kleinen Susan und ihrer Mutter aus den 1950er-Jahren entstand vor dem Tor der Wörthstraße 32, im Hintergrund ist das Gebäude der Firma Arauner zu sehen.
Foto: Diana Fuchs | Mit dem Leiterwagen auf Tour: Dieses Bild der kleinen Susan und ihrer Mutter aus den 1950er-Jahren entstand vor dem Tor der Wörthstraße 32, im Hintergrund ist das Gebäude der Firma Arauner zu sehen.
65 Jahre nach dem Schnappschuss mit dem Leiterwagen steht Susan Lundeen mit ihrem Mann Roy an genau der gleichen Stelle in Kitzingen. Hinter dem schmiedeeisernen Tor befand sich einst ihr Wohnhaus.
Foto: Diana Fuchs | 65 Jahre nach dem Schnappschuss mit dem Leiterwagen steht Susan Lundeen mit ihrem Mann Roy an genau der gleichen Stelle in Kitzingen. Hinter dem schmiedeeisernen Tor befand sich einst ihr Wohnhaus.

"Wir gehen zum Beispiel immer einmal unter der Neuen Mainbrücke durch und rufen laut 'Echo' - so wie ich das schon als Kind gemacht habe", verrät Susan Lundeen lachend. Nicht fehlen darf auch ein Besuch im Esbach-Hof: "Die Hähnchen von dort liebe ich seit meiner Jugend. Und die schmecken immer noch ganz genauso gut wie damals."

 
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