Es ist die Nacht des 12. November 2013. Um kurz vor 23 Uhr geht bei der Kitzinger Feuerwehr der Notruf ein. Dichter Qualm zieht über den Marktplatz. Großalarm – wie immer, wenn es in der eng bebauten Altstadt brennt. Dutzende von Hilfskräften eilen an den Brandort. Ein Schaufenster des alten Haushaltswarenladens Dietz steht in Flammen.
In der Wohnung darüber wohnt Mathilde Dietz. Über die Drehleiter wird sie aus dem ersten Stock gerettet. Die Kripo ermittelt – und geht einem beängstigenden Verdacht nach: War es Brandstiftung? Ein Anschlag gar? Und wenn ja, wem galt er? "Ich fragte damals den ermittelnden Kommissar: Wieso wird das nicht als versuchter Mord behandelt?", sagt Volker Schmidt.
Wenn Schmidt heute durch das Haus führt, kommt er an dieser Geschichte nicht vorbei. Für die Eigentümerfamilie Dietz verwaltet Schmidt das Gebäude am Marktplatz, 1a-Geschäftslage, ein frequentierter Ort, und vielleicht wäre in das Gebäude längst wieder Leben eingekehrt, hätte sich die Geschichte von damals anders entwickelt. Als die Feuerwehr in jener Nacht abgezogen war, ging es für die Familie daran, den Schaden abzuwickeln. Wofür war man schließlich versichert?
Die Brandexperten der Kripo ermittelten damals gegen Unbekannt. Vor dem Schaufenster stand in jener Novembernacht das ausrangierte Sofa eines Nachbarn, es sollte tags darauf als Sperrmüll abgeholt werden. Doch bevor es dazu kam, zündete es jemand an. Von dem Möbelstück griffen die Flammen auf das Gebäude über.
Nach dem Brandschaden zahlte die Versicherung: nullkommanull
Was auf den ersten Blick nach einem klassischen Versicherungsfall aussah, entwickelte sich zur unendlichen Geschichte. Schreiben gingen hin und her, Schadensmeldungen hier, Protokolle da, viel Papierkram – und am Ende zahlte die Versicherung: nichts. "Nullkommanull Euro", wie Schmidt sagt. Die Familie hatte Fristen versäumt – wie und wieso, ist heute nicht mehr nachzuvollziehen. Mit Sicherheit lässt sich nur eines sagen: Der Entwicklung des Hauses hat die Sache nicht gutgetan. Das geborstene Schaufenster wurde notdürftig mit Sperrholz vernagelt, mehr geschah nicht an der verkohlten Fassade. Bis heute haben sich die Spuren der Brandnacht tief ins Gemäuer eingebrannt.
An einem sonnigen Oktobertag empfängt Volker Schmidt in der Wohnung im ersten Stock, kleine Räume, schlichte Möblierung, auf einem Wandbord kleine Porzellanfiguren, die einmal zur Ladenausstattung gehörten. Draußen vor dem Fenster der Marktplatz, der noch immer das pulsierende Herz dieser Stadt ist. Menschen sitzen in der Herbstsonne und genießen ihren Kaffee, manche mit direktem Blick auf das Dietz-Haus. Noch bevor man Schmidt fragen kann, warum sich an dem Haus so lange nichts getan hat, zieht er einen Zeitungsartikel aus der Schublade. In der Überschrift das Wort "Schandfleck", darunter ein Foto des Hauses, in dem er gerade sitzt.
Die Schlagzeile hat ihn getroffen – weil vieles sehr viel komplizierter sei, als es auf den ersten Blick scheint. Die Schließung des Ladens, der Brand, der Kampf mit der Versicherung, der Tod von Heinrich Dietz, die bisweilen schwierige Familienbande, geplatzte Gespräche, gescheiterte Verhandlungen.
Schmidt hätte allen Grund, verbittert zu sein, aber wenn er es ist, lässt er sich davon nichts anmerken. In manchem, was er sagt, klingt er eher unbedarft und arglos. Das Projekt, das hier wartet, überfordert schon manchen Experten. Wie soll er da, als promovierter Biologe, erst den Überblick behalten?
Ein Raum mit Kartons bis zur Decke, dahinter kroch Heiner Dietz hervor
Über Jahrzehnte war das Geschäft am Kitzinger Marktplatz eine Institution gewesen. Wer "zum Dietz" ging, wusste, was ihn erwartete. Ein enger, teils chaotischer Laden, prall gefüllt mit Regalen, dazu Kartons, die mitten im Raum standen und bis unter die Decke reichten. Dahinter kroch unvermittelt Heiner Dietz hervor, ein kleingewachsener, geschäftstüchtiger Mann im blauen Kittel, der einen aus seinen dicken Brillengläsern staunend anschaute und dann triumphierend wie ein Entdecker rief: "Haben wir! Muss bloß schauen, wo."
Anschließend verschwand er wieder in der Tiefe des Raumes hinter unzähligen Paketen und kam nach einigen Minuten mit dem gewünschten Artikel zurück. Bei Dietz hieß "auf Lager", dass er die Dinge griffbereit vorrätig hatte – auch wenn nur er und seine Frau Mathilde das System bis ins Letzte durchblickten.
Dann kam das Jahr 2006. Bei Dietz begann der Ausverkauf. Ein Reporter schrieb: "Am Marktplatz geht nach 179 Jahren eine Ära zu Ende." Mathilde Dietz sagte: "Das macht heute keiner mehr." Doch auch nach Monaten war der Laden noch nicht leergeräumt, der Abverkauf ging einfach weiter, vermutlich auch, weil sich eine so gut wie sichere Nachfolgelösung zerschlagen hatte.
Lange, zu lange blieb die Familie, die den Laden Mitte der 1970er-Jahre übernommen hatte, in der Vergangenheit stecken – und verpasste darüber den Aufbruch in die Zukunft. An Ideen fehlte es nicht. Aber immer scheiterten sie aus Gründen, die heute nicht mehr aufzuklären sind.
Volker Schmidt geht die knarzende Holztreppe hinab, stößt eine Tür auf, und schon steht man mitten im einstigen Lebenswerk von Heiner und Mathilde Dietz, die heute wieder über dem Laden wohnt. 100 Quadratmeter, die noch den Geist von damals atmen. Zwischen kahlen Backsteinwänden und abgehängten Schaufenstern lagern auf grauem Estrich Dutzende Habseligkeiten. Plastikblumen, Weinkrüge, Porzellanschüsseln. Eine Puppe streckt ungelenk die Arme von sich, am Fuß ein Preisschild "245 Euro"; und an der Wand steht, leicht erhöht, ein Schaukelpferd aus braunem Plüsch. Schmidt sagt, er habe zwischendurch schon mal aufgeräumt und ausgeräumt – dann aber wanderte der ganze Kram doch wieder zurück in den Laden.
Anfang 2017 bekam Schmidt Besuch von einer Innenarchitektin. Sie sollte im Auftrag der GWF die Räumlichkeiten inspizieren, um – wie Schmidt sagt – die Möglichkeit einer Vinothek in der Kitzinger Innenstadt auszuloten. "Trotz der Unordnung brauchte man nicht viel Fantasie, um sich vorzustellen, wie es hier einmal aussehen könnte." Fragt man heute bei der GWF nach, heißt es von Geschäftsführer Cornelius Lauter: "Da war nie ernsthaftes Interesse von unserer Seite." Die Architektin sollte sich nur "unverbindlich" umschauen. Letztlich platzte das Projekt.
Zwei Jahre später kam der Stadtmarketingverein mit der gleichen Idee. Vorsitzender Frank Gimperlein lobte das "schöne Ambiente" und verkündete: "2020 wird ganz im Zeichen der Vinothek stehen." Spricht man Gimperlein heute auf diese Episode an, dann sagt er: "Wir konnten uns mit der Familie nicht einigen. Es gab unterschiedliche und einfach nicht reelle Vorstellungen."
Ein Verkauf des Gebäudes steht aktuell nicht zur Debatte
Schmidt kennt diese Erzählungen. Er weiß, dass es mit ihm als Verhandlungspartner nicht immer einfach war. Aber er sagt eben auch: "Man hat sich auf mich eingeschossen." Als die Sache vor ein paar Monaten im Kulturausschuss des Stadtrats landete und Schmidt die Idee einer Galerie für lokale Künstler vorstellte, sei er auf Skepsis und Argwohn gestoßen. "Sie versuchen, eine Schrottimmobilie auf Kosten der Stadt herzurichten, um sie dann teuer verkaufen zu können", das seien sinngemäß die Worte gewesen. "Dabei wollte ich gar nicht, dass man uns die Renovierung bezahlt. Es ging nur darum, mögliche Fördertöpfe anzuzapfen." Ein Verkauf des Gebäudes stehe aktuell sowieso nicht zur Debatte.
Bei der Stadt erinnert man sich ein wenig anders an die Gespräche. "Die Mitarbeiter der Stadtverwaltung und des Stadtmarketingvereins haben die unterschiedlichen Ideen und Vorschläge der Eigentümerfamilie in verschiedenen Gremien angehört und diskutiert und der Eigentümerfamilie wertvolle Anregungen für weiterführende Planungen gegeben", heißt es aus dem Rathaus. OB Stefan Güntner wird mit den Worten zitiert: "Wir sind nach wie vor gesprächsbereit."
In einem ersten Schritt soll jetzt die Fassade hergerichtet werden
Schmidt will nicht länger warten. Anfang des Jahres hat er im Auftrag der Familie einen Bauantrag für das denkmalgeschützte Haus gestellt. Er will zunächst die Fassade herrichten und im Erdgeschoss bodentiefe Fenster verbauen, wie es sie früher schon einmal gab. Die Pläne sind – wie die Stadt bestätigt – mit Bauamt und Denkmalschutz abgestimmt. Für den Laden gibt es zwar noch kein ausgefeiltes Nutzungskonzept, aber wenn erst einmal die Fassade hergerichtet ist, so glaubt Schmidt, werde sich der Rest schon ergeben. Bald soll es losgehen mit der Renovierung. Es ist ein lang erwarteter Anfang, dem für alle Beteiligten ein Zauber innewohnt. Der OB sagt: "Jede Aufwertung des Dietz-Gebäudes ist auch eine Aufwertung für unsere Innenstadt."
Ich kann mich noch gut daran erinnern, dass ich den Laden und vor allem Herrn Dietz als Kind sehr beeindruckend fand, eben weil er sich in dem für Außenstehende eher unorganisiert wirkenden Geschäft so gut auskannte.
Bin gespannt, wie es mit dem Gebäude weitergeht.