Ein Plausch auf der Straße, eine Kurzdiagnose beim Essengehen oder ein ärztlicher Rat bei Ausritt – das ist keine Beschreibung einer Vorabendserie, sondern war bis vor kurzem Alltag von Dr. Roland Hardörfer. Der Dettelbacher ist Landarzt mit Leib und Seele. Das wird er auch bleiben, auch wenn er sich schon stark aus seiner Praxis zurückgezogen hat. Ende des Jahres will er ganz aufhören.
Angefangen hat die medizinische Karriere des 65-Jährigen, als er 1989 in die Praxis seines Vaters einstieg. Zeit für einen Blick auf "tote Praxismodelle", Ärztemangel auf dem Land und Luxus im Ruhestand.
Um 8 Uhr aufstehen. Diesen Luxus gönnt sich Hardörfer jeden Tag. Das erzählt er am Küchentisch und freut sich darüber. Aber konsequent, denn: "Ein bisschen Struktur braucht man schon." 35 Jahre lang war Hardörfer Hausarzt in Dettelbach. Wenn er keinen Urlaub hatte, klingelte der Wecker um 6.30 Uhr. Bis 2012 lag seine Praxis gleich neben seinem Haus bei der Dettelbacher Wallfahrtskirche, 2012 zogen er und Johannes Dienesch, seit 1992 Hardörfers Partner, in die deutlich größere Praxis im Dettelbacher Ärztehaus. Mit Hardörfer sind dort sechs Ärzte tätig.
Als ein junger Kollege anfragte, ob er einsteigen könne, nutzte Hardörfer diese Gelegenheit zum Absprung. "Ich hatte nicht die Schnauze voll, aber die Kollegen kommen halt dann, wann sie wollen", sagt der Mediziner. Und weist auf ein Problem hin, das besonders auf dem Land auffällt: das Praxissterben.
Dr. Hardörfer kritisiert die Krankenhausreform und die Kassenärztliche Vereinigung
"Das Modell Einzelpraxis ist tot", sagt Hardörfer. "Das funktioniert nicht mehr." Bürokratie, Buchhaltung, Dokumentation, Notdienste und Vertretung auf mehrere Schultern verteilen, das ist die Lösung. Er ist sich sicher, dass es mehr Ärzte auf dem Land gäbe, wenn den jungen Ärzten der Dienst erleichtert würde. Viele hätten Angst davor, die Verantwortung für ein Wirtschaftsunternehmen, nichts anderes ist eine Praxis, zu übernehmen.
Hier sieht er auch die Kassenärztliche Vereinigung in der Pflicht. "So wird das System kaputt gemacht", sagt Hardörfer. Natürlich sei der Anspruch an die Hausärzte anders als in seinen Anfängen. "Krankheiten werden heute anders und besser behandelt", sagt er. Da brauche es mehr Ärzte. Gleich ist er wieder bei den nicht passenden Rahmenbedingungen, betont aber auch: "Hausarzt ist immer noch ein schöner, abwechslungsreicher Beruf."
Kritik übt er auch an der Krankenhausreform. Er hatte Patienten mit einem akuten Herzinfarkt und musste vier, fünf Klinken anrufen, bis er einen Platz gefunden hatte. Wie das sein soll, wolle er sich lieber nicht vorstellen. Das Kitzinger Krankenhaus sieht er gut gerüstet. Sein Fachwissen und seinen internen Blick setzt er als Referent für die Klinik Kitzinger Land im Kreistag ein. Zum ersten Mal wurde er 2002 in das Gremium gewählt. Auch im Dettelbacher Stadtrat sagte er 33 Jahre lang seine Meinung. Doch Hardörfer wollte nicht nur beruflich, sondern auch ehrenamtlich kürzertreten. Im Januar trat er als Stadtrat zurück. Schon länger geplant, auch weil er wusste, dass er einen "guten Nachrücker" hatte.
Tochter Katrin setzt die Familientradition fort
Den hatte er auch in der Praxis. Seinen Sitz wird Hardöfer an seine jüngste Tochter Katrin übergeben. Auch die Erstgeborene hat Medizin studiert, hatte aber nie Interesse an der Praxis des Vaters. Denn, Landarzt ist nicht nur ein Beruf, es ist eine Berufung – vor allem dann, wenn man in dem Ort wohnt, in dem auch die Praxis ist. Eine Trennung von Beruf und Privatleben ist schwer. "Sie hätten mir sogar ihre Hämorriden gezeigt, während ich die Straße kehre", erzählt Hardörfer lachend.
Doch eigentlich zeigt genau das, warum Hardörfer Arzt in einer kleinen Stadt wurde: die persönliche Beziehung zu den Menschen. Viele Dettelbacher kennt er von klein auf, nicht wenige sind jetzt mit ihren Kindern Patienten in Hardörfers Praxis. Sie waren der Grund, warum er jeden Tag gerne in die Praxis gegangen ist.
An die Corona-Zeit denkt Hardörfer mit Schrecken zurück
Nur einmal in seiner langen Zeit als Arzt hatte er keine Lust mehr. "Da hatte ich keinen Spaß mehr", sagt er nachdenklich. Als Corona ausbrach und er in der Infektionssprechstunden nur noch mit Schutzanzug seine Patientinnen und Patienten behandeln konnte, das war ihm "echt ein Graus".
Die Zeiten sind vorbei. Jetzt kümmert sich Hardörfer um seinen Garten, geht oft ins Dettelbacher Hallenbad und jeden Tag spazieren oder Radfahren. Mit dem Reiten hat er vor zwei Jahren aufgehört. Auch während seiner aktiven Zeit als Arzt, war er jeden Tag mindestens eine halbe Stunde an der Luft, oft mit dem Hund. "Zum Abschalten", wie er sagt.
Einen Hund hat er jetzt nicht mehr. Er möchte spontan sein und mit seiner Frau Corinne verreisen. Oder sich um die Enkel kümmern. Und mit ihnen den Kindergeburtstag feiern. Denn davor hatte er sich bei seinen zwei Töchtern gedrückt. "Da hatte ich immer extra viele Hausbesuche", gesteht er und lacht.
