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Obernbreit
Ein Jahr nach dem Maibaum-Unglück in Obernbreit: Maximilian Leßmann freut sich auf die Feier am 30. April
Vor einem Jahr wurde Maximilian Leßmann von einem umstürzenden Maibaum schwer verletzt. Warum seine Heilung erstaunte und wie er heute auf die Traditionsveranstaltung blickt.
Vor einem Jahr wurde Maximilian Leßmann an dieser Stelle von einem beim Aufstellen umstürzenden Maibaum schwer verletzt.
Foto: Daniela Röllinger | Vor einem Jahr wurde Maximilian Leßmann an dieser Stelle von einem beim Aufstellen umstürzenden Maibaum schwer verletzt.
Daniela Röllinger
 |  aktualisiert: 01.05.2024 02:47 Uhr

Maximilian Leßmann freut sich auf Dienstagabend. Er will auf jeden Fall mitfeiern, wenn am 30. April in Obernbreit, wie in so vielen anderen Orten auch, der Maibaum aufgestellt wird, obwohl er doch vor einem Jahr bei genau dieser Veranstaltung schwer verletzt wurde.

Wenn Maximilian bei seinem Vater Stefan Kolb im Café sitzt und aus dem Fenster blickt, hat er den Unglücksort genau vor Augen. Die Stelle, an der er vom umstürzenden Maibaum getroffen wurde, ist nur wenige Schritte entfernt, er kommt fast täglich daran vorbei. Vielleicht liegt es daran, dass der 23-Jährige das Wort "Unglücksort" selbst nie wählen würde. Der Platz vor dem Rathaus. Punkt. Mehr nicht. 

Der umstürzende Baum hat den jungen Mann im Kreuz getroffen

"Ein Jahr schon. Wahnsinn", sagt Maximilian. Der Satz zeigt, wie fern und doch nah der verhängnisvolle Abend ist. Der Obernbreiter erinnert sich noch genau an das, was passierte: Wie der Baum umstürzte, wie die Leute schrien und wegrannten. Wie er vom Baum im Kreuz getroffen wurde. "Es ist noch komplett im Gedächtnis. Aber immer noch nicht schlecht."

Die Ermittlungen der Polizei wurden eingestellt, das Unglück in Obernbreit war ein Unfall, an dem keiner Schuld trug.
Foto: Heiko Becker | Die Ermittlungen der Polizei wurden eingestellt, das Unglück in Obernbreit war ein Unfall, an dem keiner Schuld trug.

Manchen mag diese Sicht verwundern. Schließlich waren die Verletzungen schwer. Beide Schulterblätter gebrochen, mehrfacher Kieferbruch, erste Rippe rechts und Lendenwirbel gebrochen, ein Lungentrauma. Maximilian wurde für mehrere Tage ins künstliche Koma versetzt. Zwar konnte er nach zwei Wochen wieder nach Hause, aber an ein normales Leben war erst mal nicht zu denken. Obwohl der junge Mann bei der Heilung ein Tempo vorlegte, das die Ärzte heute noch erstaunt.

"Nach fünf Wochen fuhr er Auto, nach 10 Wochen Moped, nach 15 Wochen hatte er das Messer wieder in der Hand", sagt sein Vater über den Sohn, der von Beruf Metzger ist. "Lendenwirbel und Schultern merke ich nur noch, wenn ich ein bisschen übertreibe", berichtet der 23-Jährige. Beim Kiefer dagegen ist die Behandlung noch nicht ganz abgeschlossen. "Die Platte muss noch raus", sagt er und klopft auf sein Kinn. Auch die Implantate der durch den Kieferbruch zerstörten Zähne sind noch nicht alle eingebaut. Noch hat er alle zwei Wochen Termine in der Mund-Kiefer-Gesichtschirurgie. 

Auch heute sagt Maximilian immer noch: "Schuld war nur der scheiß Baum."

Krankenhaus, Behandlungen, Reha, Physiotherapie, Zahn-Operationen... das alles kostet viel Geld. Wer übernimmt die Kosten dafür? Falls die Krankenkasse und die kommunale Unfallversicherung sich nicht einig waren, hat die Familie davon wenig mitbekommen. "Das lief alles problemlos. Es ging immer darum, dass es Maxi möglichst bald wieder gut geht", berichtet der Vater. "Die haben uns nicht bedrängt."

Auch eine Zivilklage sei für die Familie nie Thema gewesen. "Da konnte keiner was dafür", sagte der junge Mann schon kurz nach dem Unfall. "Schuld war nur der scheiß Baum." Auch heute, mit einem zeitlichen Abstand von zwölf Monaten, sieht er es noch so.

Ende Oktober/Anfang November bekam die Familie die Mitteilung, dass der Unfall als offizieller Fall der Berufsgenossenschaft (BG) anerkannt ist. "Das ist natürlich eine Erleichterung", so Stefan Kolb. "Damit sind mögliche Folgeschäden bis ans Lebensende abgesichert." Bei regelmäßigen Besuchen beim Gutachterarzt werde kontrolliert und dokumentiert, wie sich die damaligen Verletzungen entwickeln und welche Folgen, die später eintreten, womöglich darauf zurückzuführen sind. 

Die Obernbreiter haben den Unglücksbaum gemeinsam beim Sonnwendfeuer verbrannt

Mental, sagt Maximilian Leßmann, habe er durch das Unglück keinerlei Probleme. Er schaute von Beginn an die Bilder und Filme von dem Abend an, sprach mit anderen über den Unfall, signalisierte denen, die hilflos zuschauen mussten, so früh wie möglich, dass es ihm wieder gut geht.

'Geh weiter!' Maximilian hat seine Gedanken auf das Shirt geschrieben, das er beim Maibaum-Unfall trug, und es beim Sonnwendfeuer mit dem Baum verbrannt.
Foto: Maximilian Leßmann | "Geh weiter!" Maximilian hat seine Gedanken auf das Shirt geschrieben, das er beim Maibaum-Unfall trug, und es beim Sonnwendfeuer mit dem Baum verbrannt.

Vielleicht spielten aber auch Rituale eine Rolle: Gemeinsam verbrannten die Obernbreiter den Unglücksbaum am Sonnwendfeuer und mittendrin auch das Shirt, dass Maxi beim Unfall trug. "Blätter um. Geh weiter!" hatte er als Zeichen an alle darauf geschrieben. Aus der Vergangenheit lernen, nach vorn blicken und nicht erschrocken oder bedauernd zurück. Auch in der Kirchweihpredigt war der Unfall und der folgende Zusammenhalt im Ort nochmal Thema.

Beim Maibaum-Fest gelten in diesem Jahr in Obernbreit neue Regeln

Am Dienstag wird der Maibaum in Obernbreit von den Schützen aufgestellt. Maximilian packt beim Aufstellen diesmal nicht mit an. "Aber nur, weil ich kein Schütze bin. Nächstes Jahr mach' ich wieder mit."

Beim Fest werden heuer andere Regeln gelten. Der Baum ist auf zehn Meter Höhe begrenzt. Er wird nicht mehr mit Schwalben hochgehievt, sondern maschinell. Und die Öffentlichkeit wird erst dazukommen, wenn der Baum schon steht.

"Vernünftig", findet das der Vater, auch für andere Orte. "Ich habe ja gesehen, was passieren kann, auch wenn man sich an die Vorschriften und Abstände hält." Zumal ja mancherorts noch eins dazukomme: Die jungen Leute wollen beim Aufstellen ihre Kraft beweisen, der Baum soll jedes Jahr noch dicker und noch höher sein. "Die zehn Minuten sind es doch nicht wert, dass was passiert."

Maximilian widerspricht seinem Vater vom Verstand her nicht. Aber vom Herzen her trauert er dem "Showelement" des Aufstellens mit den Schwalben schon ein bisschen hinterher. "Irgendwie gehört das doch zur Tradition dazu."

 
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  • Ute Schlichting
    Schön das es Maxi wieder gut geht. Viel Spaß beim Maibaum aufstellen.
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