
Maximilian Leßmann greift zum Laptop, startet einen Film. Viele Male hat er die Szene schon angeschaut. Den Moment, der sein Leben hätte beenden können.
Am 30. April wurde in Obernbreit, wie es im Landkreis Kitzingen und anderswo Tradition ist, der Maibaum aufgestellt. Da passierte es: Der Stamm rutschte beim Aufstellen mit hölzernen Schwalben aus dem Loch, der Baum sprang aufgrund der Spannung mehrere Meter weit und stürzte um. Die meisten, die beim Aufstellen mit anpackten, konnten sich in Sicherheit bringen. Maximilian Leßmann und ein 61-jähriger Mann nicht. "Ich war nicht schnell genug", sagt Leßmann. "Der Baum hat mich im Kreuz erwischt."
Den Ton des Films hat der 22-Jährige abgeschaltet. "Ich kann das nicht hören", sagt sein Vater. Das Geräusch des umstürzenden Maibaums, die erschrockenen Schreie der Leute, die Schritte, wenn sie weglaufen. Er will nicht mehr sehen, wie sein Sohn unter dem Baum liegt. "Ich krieg' das nicht auf die Reihe." Ihm selbst würden die Bilder nichts ausmachen, sagt Maximilian Leßmann. Und spricht erstaunlich unerschrocken über jenen Abend, von dem er noch alles weiß bis zum Transport ins Krankenhaus.
Kiefer, Schultern, Rippe, Wirbel: Die Brüche und schweren Verletzungen heilten überraschend schnell
Was der 22-Jährige seit 30. April durchgemacht hat, ist ihm nicht mehr anzusehen. Während das zweite Unfallopfer die Klinik schnell wieder verlassen konnte, waren die Verletzungen bei Leßmann deutlich schwerer. Beide Schulterblätter gebrochen, mehrfacher Kieferbruch, erste Rippe rechts und Lendenwirbel gebrochen. "Dazu ein starkes Lungentrauma", sagt der Vater. Die Geräusche seines Sohnes beim Atmen, er hat sie noch im Kopf.

Maximilian Leßmann war in der Klinik ins künstliche Koma versetzt worden. Nach drei Tagen wurde er aufgeweckt, nach nicht mal 14 Tagen war er wieder zuhause in Obernbreit. Den Kiefer wegen der Brüche noch mit einer Schiene stillgelegt, konnte der Metzger erstmal nur Flüssignahrung zu sich nehmen.
Jetzt, knapp acht Wochen nach dem Unfall, hat er das hinter sich. Der junge Körper scheint erstaunlich schnell zu heilen. "Ich wundere mich jeden Tag, wenn er an mir vorbeiläuft", sagt der Vater. Vier Wochen Reha stehen nun an. Bis Leßmann wieder arbeiten kann, wird es allerdings dauern. Auch wenn ihm selbst das gar nicht recht ist. "Er will was schaff'", sagt der Vater.
"Am Schlimmsten war, dass so viele Kinder da waren", blickt der junge Metzger nachdenklich auf den Unfallabend zurück. Die Obernbreiter Kindergartenkinder sollten singen, die Vorschulkinder sich vorstellen. Stattdessen mussten sie zusehen, wie der Baum umstürzte und einen Menschen unter sich begrub. Trotz der ausbrechenden Hektik hätten alle besonnen reagiert, sagt der Vater, der wenige Meter entfernt gestanden hatte und sofort zu seinem Sohn eilte. Die Erwachsenen brachten die Kinder weg, die Unglücksstelle wurde schnell abgeschirmt.
Zu Besuch im Kindergarten bei den Kindern, die Augenzeugen wurden
Auch wenn sich Seelsorger unmittelbar am Abend und auch danach um die Menschen in Obernbreit kümmerten, wollte Maximilian Leßmann selbst dazu beitragen, dass die Kinder die Situation verarbeiten können. Denn er ist überzeugt: Für diejenigen, die zuschauen mussten, sei das alles noch viel schlimmer gewesen als für ihn selbst.
Zurück aus der Klinik, war er im Kindergarten zu Besuch. "Anfangs waren die Kinder recht still, aber schon nach kurzer Zeit haben sie gefragt, was genau passiert ist und wie es mir geht." Die Erleichterung darüber, dass es dem Mann, der vom Maibaum getroffen wurde, gut geht, sei zu spüren gewesen: "Ich habe gemerkt, dass ihnen ein Stein vom Herzen gefallen ist."
Hilfe und Unterstützung aus dem ganzen Dorf
Das Dorf sei an diesem Abend und in den Wochen danach zusammengerückt. Während des Unglücks, als alle sofort mit anpackten. Als mehrere Ärzte und Rettungskräfte, die privat da waren, sich sofort kümmerten. "Es lief, als hätte man es vorher einstudiert." Und in den Tagen danach, als viele fragten, ob und wie sie helfen könnten, sowohl dem Sohn als auch dem Vater, der ein Café betreibt.
Der örtliche Sportverein hat ein Spendenkonto eingerichtet, Privatleute haben Spendenboxen aufgestellt. "Das war alles sehr emotional und ergreifend", sagt der Vater über die große Unterstützung. "Ich bin sehr dankbar und möchte den Leuten meinen großen Respekt ausdrücken."

Was den Gastronom auch positiv überraschte: Die Zahl derer, die in den Sozialen Medien Gerüchte verbreitet hätten, sei gering gewesen. Vielleicht auch, weil er selbst regelmäßig darüber informierte, wie es seinem Sohn ging. Er spürte, dass hinter Nachfragen keine Sensationsgier steckte, sondern Mitgefühl. Mehrere hundert Nachrichten hätten ihn in kürzester Zeit erreicht. Bei seinem Sohn seien es noch deutlich mehr gewesen: "Als Maxi aus dem Koma aufgewacht ist, hat er sein Handy angemacht und es hörte gar nicht mehr auf zu bingen." Der Vater musste ihm erst mal erklären, was los war.
Das Opfer will nicht, dass jemand belangt wird: "Da kann keiner was dafür. Nur der scheiß Baum."
Wer ist schuld an diesem Unglück? Eine Frage, der nach Abschluss der Polizei-Ermittlungen jetzt die Staatsanwaltschaft nachgeht. Für Maximilian Leßmann und seinen Vater gibt es nur eine Antwort: "Keiner." Die Gemeinde als Veranstalter, den TSV als Ausrichter oder eine Privatperson dafür verantwortlich zu machen, sei völlig falsch und liege absolut nicht in ihrem Interesse.
"Da kann keiner was dafür", sagt der 22-Jährige. "Nur der scheiß Baum." Deshalb hatte der Obernbreiter auch nur einen Wunsch: Die Staatsanwaltschaft sollte den Baum rechtzeitig vor diesem Wochenende freigeben, damit er beim Sonnwendfeuer verbrannt werden kann. In dieser Woche erhielt Leßmann die Nachricht - es klappt: "Jetzt können wir und der ganze Ort mit dem Unfall abschließen."
Wenn die Obernbreiter keine bessere Fehleranalyse hinkriegen, sollten sie das Maibaum-Aufstellen zukünftig besser lassen.
Ich wünsche ihm alles gute.
👍🍀
Wenn ich mir einige Kommentare von dem damaligen Bericht durchlese, wird mir schlecht. Verbote von Maibaum Aufstellungen, Begrenzung von Maibaum Höhen usw.
In was für einer Welt Leben wir ??? Jeder Tag birgt Risiken. Aber es gibt so eine Verbotsgesellschaft heut zu Tage, da wird einem Schlecht.
Leider wird Diese von Generation zu Generation weniger.