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Kitzingen
Bahnhof Kitzingen: Seltsame Geschäfte und die vertanen Chancen
Eine strahlende Zukunft wurde dem Kitzinger Bahnhof einst versprochen. Erfüllt hat sich nichts. Über geplatzte Hoffnungen und die Frage: Ist der Bahnhof noch zu retten?
Der Kitzinger Bahnhof ist seit Anfang 2019 in privater Hand. Seitdem hat sich an dem Gebäude nichts getan.  Für die Öffentlichkeit ist er geschlossen.
Foto: Daniel Biscan | Der Kitzinger Bahnhof ist seit Anfang 2019 in privater Hand. Seitdem hat sich an dem Gebäude nichts getan.  Für die Öffentlichkeit ist er geschlossen.
Eike Lenz
 |  aktualisiert: 10.05.2023 10:24 Uhr

Das Trauerspiel um den Kitzinger Bahnhof ist inzwischen ein Drama in mehreren Akten. Ein Drama, das – wie nun ersichtlich wird – auch abseits der großen Bühnen stattfand. Es spielte in Hinterzimmern und unter Ausschluss der Öffentlichkeit. In den Hauptrollen: die Deutsche Bahn, eine mittlerweile pleite gegangene Immobilienfirma aus Südhessen und die Stadt Kitzingen, die seit Jahren um ein Happy End am Bahnhof kämpft. Und die das ganze Theater vor allem eines kostet: jede Menge Nerven. Der Bahnhof ist dicht, das Publikum verärgert, und die Stadt sitzt machtlos zwischendrin.

Der Fall des Kitzinger Bahnhofs ist nicht nur die Geschichte geplatzter Hoffnungen und vertaner Chancen, sondern eine Parabel darauf, was in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten alles schief gelaufen ist im Zusammenspiel zwischen Bahn und Kommunen.

Anfang des neuen Jahrtausends hatte die Bahn in einem spektakulären Rahmenvertrag mit der Immobilienfirma First Rail Property (FRP) und der zugehörigen Managementholding First Rail Estate die Übergabe von bundesweit mehr als 1000 nicht mehr benötigten Bahnhofsgebäuden vereinbart. Das Projekt der 1019 Bahnhöfe war geboren. Diese sollten entwickelt und als Immobilienfonds platziert werden. Investoren lockte die Fondsgesellschaft mit Ausschüttungen von siebeneinhalb bis acht Prozent sowie einem Verkaufsgewinn von bis zu 100 Prozent nach zwölf Jahren.

Fast 500 Bahnhöfe sollten an einen Investor verkauft werden

In einer ersten Tranche wurden seinerzeit rund 500 Objekte, hauptsächlich in den östlichen Bundesländern, an die First Rail Property übertragen. Die Excel-Tabelle mit insgesamt 472 Standorten (einige weitere sollten später noch dazukommen), notariellen Beurkundungsterminen sowie dem tatsächlichen Besitzübergang an die FRP - bahnintern damals als Dokument höchster Geheimhaltung gehandelt - liegt der Redaktion vor. In der Tabelle finden sich die Namen von 32 Bahnhöfen aus Bayern, vier davon aus Unterfranken: Burgsinn und Mittelsinn (Lkr. Main-Spessart), Dettelbach (Lkr. Kitzingen) und Sulzbach am Main (Lkr. Miltenberg). Zwischen Februar 2002 und Mai 2003 gingen die 472 Bahnhöfe in den Bestand der First Rail über. Der Kaufpreis dieser ersten Tranche lag bei 14 Millionen Euro, keine 30 000 Euro pro Gebäude. Der gesamte Deal hatte ein Volumen von 46 Millionen Euro.

Das Schild am Eingang des geschlossenen Kitzinger Bahnhofsgebäudes vertröstet Bahnreisende nun schon mehr als anderthalb Jahre.
Foto: Eike Lenz | Das Schild am Eingang des geschlossenen Kitzinger Bahnhofsgebäudes vertröstet Bahnreisende nun schon mehr als anderthalb Jahre.

Der Kitzinger Bahnhof steht nicht auf dieser ersten Liste. Er kam vermutlich im ersten Halbjahr 2004 dazu, wie ein Insider gegenüber der Redaktion glaubhaft versichert. Dieser Insider, der um die Jahrtausendwende selbst eine Zeit lang für die Bahn gearbeitet hatte und sich auf die Berichterstattung der Redaktion über den Kitzinger Bahnhof nun meldete, hatte damals im Kitzinger Bahnhof ein Reisezentrum mit Kiosk und Bäckerei eröffnen wollen. Mit einem Architekten ging er durchs Gebäude und machte erste Planungen vor Ort.

Anfang 2004 gehörte das Gebäude nach seinen Angaben schon der First Rail. "Der Bahnhof Kitzingen war Bestandteil des Kaufvertrags für die erste Tranche. Das habe ich selbst gesehen." Die Übergabe aber habe sich verzögert, weil die Gesellschaft bei der Vielzahl an Objekten offenbar nicht hinterherkam, Schlüssel und Gebäude zu übernehmen.

Immer weiter zog sich die Sache hin – bis der Staatsanwalt sich für die Machenschaften der First Rail zu interessieren begann und deren illustrer Geschäftsführer mit seinem Privatflugzeug in der Schweiz zu Tode stürzte. 2005/06 gingen beide Gesellschaften Konkurs, die übrigen 519 Bahnhöfe wurden nicht mehr übergeben. Bereits geschlossene Verträge, auch der des Kitzinger Bahnhofs, wurden rückabgewickelt. Die Bahn saß wieder auf ihren Gebäuden. Anleger, die im guten Glauben auf eine rosige Zukunft der First Rail gewettet hatten, waren ihr Geld los, andere ihren Job. Und die Stadt Kitzingen war um die Hoffnung ärmer, dass am Bahnhof in nächster Zeit etwas vorangehen könnte.

Was aber wusste die Stadt von den Geschäften zwischen Bahn und First Rail? War sie in die Pläne eingeweiht? Oder wurde sie übergangen? 

Hat die Bahn die Stadt Kitzingen seinerzeit übergangen?

Ein Sprecher der Deutschen Bahn in München erklärt auf Nachfrage: "Bitte haben Sie Verständnis dafür, dass wir uns zu Immobilienangelegenheiten grundsätzlich nicht öffentlich äußern." Er verweist auf eine Mitteilung vom März dieses Jahres, in der die Zentrale in Berlin stolz auf den Verkauf von Bahnhofsgebäuden an Kommunen und deren Nachnutzung verweist: "Zahlreiche Beispiele belegen, dass die Gebäude dann oft eine Wiedergeburt als repräsentative Visitenkarte von Eisenbahn und Stadt erleben." Vor jedem Verkauf, so heißt es, werde die Kommune auf ihr Kaufinteresse angesprochen. Und: "Ferner steht ihr das gesetzliche Vorkaufsrecht zu." Genau darum geht es im Falle Kitzingens.

Anders als viele Bahnhöfe auf der Liste galt Kitzingen als Standort mit Potenzial. Die kursierenden Zahlen mit täglich 5000 Kontakten und 1000 potenziellen Kunden im Bahnhofsgebäude schienen zwar deutlich übertrieben. Doch aus Kitzingen, so auch die Meinung des Insiders, hätte sich etwas machen lassen.  Was aber wusste die Stadt von den Plänen der Bahn zwischen im relevanten Zeitraum von 2001 bis 2004? Wie es aussieht, nichts.

Leer und verlassen präsentiert sich die Kitzinger Bahnhofshalle im August 2020. Reisende müssen um das Gebäude herumlaufen, um zum Bahnsteig zu gelangen.
Foto: Daniel Biscan | Leer und verlassen präsentiert sich die Kitzinger Bahnhofshalle im August 2020. Reisende müssen um das Gebäude herumlaufen, um zum Bahnsteig zu gelangen.

Alt-Oberbürgermeister Bernd Moser (SPD), von 1997 bis 2008 im Amt, sagt auf Nachfrage: "Zu meiner Zeit wurde der Stadt von der Bahn kein Vorkaufsrecht angeboten." Dass die Bahn seinerzeit mit der First Rail über den Verkauf des Bahnhofs verhandelte und der Deal offenbar mindestens vertragsreif war, habe er nie erfahren. Kitzingens Polit-Urgestein Klaus Heisel (SPD), seit Jahrzehnten im Stadtrat vertreten, bestätigt diese Version. "Ich wüsste nicht, dass der Stadt damals der Bahnhof angeboten wurde."

Erst 2017 bekam die Stadt den Bahnhof angeboten 

Legt man die durchschnittlichen Preise zu Grunde, zu denen die First Rail die Bahnhofsgebäude erwerben konnte, kann man davon ausgehen, dass die Stadt den Bahnhof seinerzeit zu einer Art Schnäppchenpreis bekommen hätte. Wie es aussieht, war sie über die Verkaufsabsicht der Bahn aber gar nicht informiert. 2017 schließlich, lange nach dem geplatzten Deal mit First Rail, gab der damalige Oberbürgermeister Siegfried Müller (UsW) bei der Bahn ein Angebot für den Kauf des Bahnhofs samt Umfeld ab. Wie es aus dem Rathaus heißt, schickte die Bahn daraufhin einen Vertragsentwurf. Zu einem Abschluss aber kam es nie, weil zu viele Punkte strittige waren - etwa die Frage, welche Flächen und Wege die Bahn im Umgriff benötigt.

Letztlich ging es wohl auch darum, wieviel die Stadt bereit gewesen wäre für das in die Jahre gekommene Bahnhofsgebäude zu bezahlen. Im Raum stand - wie aus Kreisen des Rathauses verlautete - eine Summe von etwa 350 000 Euro. 

Wie der heutige OB Stefan Güntner (CSU) gegenüber der Redaktion sagt, hatte die Stadt auch im Jahr 2017 nie ein exklusives Zugriffsrecht auf den Bahnhof, sondern war nur Beteiligte eines Bieterverfahrens. Auch hierzu lehnt die Bahn eine Stellungnahme ab. Dass die Stadt nach mehreren Gesprächen und einem Ortstermin des Stadtrats im Bahnhofsgebäude damals aus dem Bieterverfahren ausstieg, bezeichnet Güntner heute als "Fehler, den wir hoffentlich heilen können". Die Stadt habe darauf vertraut, dass die Interessenten, die es gab, den Bahnhof entwickeln würden. Ein Trugschluss. Seit Anfang 2019 ist der Bahnhof in privater Hand, das  Gebäude verschlossen. Wie es dort weitergeht, ist offen.

Auch der Bahnhof in Lohr wartet auf die versprochene Sanierung

Gekauft hat den Kitzinger Bahnhof die Aedificia Infrastruktur- und Entwicklungsgesellschaft (AIEG) in Frankfurt am Main. Der AIEG gehört unter anderem auch das Bahnhofsgebäude in Lohr (Lkr. Main-Spessart), das ebenfalls seit Längerem geschlossen ist und auf die versprochene Sanierung wartet.

Im März 2013 war die Aedificia mit Stefan Steinert als Co-Geschäftsführer und Co-Gesellschafter an den Start gegangen, derzeit hält sie 36 Bahnhöfe in ganz Deutschland. Einige wenige stammen noch aus dem Bestand der First Rail wie in Osterholz-Scharmbeck oder Stadthagen in Niedersachsen. Bis heute hat die Aedificia nicht einen der erworbenen Bahnhöfe ertüchtigt.

Stefan Steinert saß zur Jahrtausendwende, als die Bahn nicht mehr benötigte, vorwiegend kleinere Objekte an die First Rail verkaufte, mit im Vorstand der DB Immobilien. Später wechselte er ins Management der First Rail Estate. Während Steinert sich als Aedificia-Geschäftsführer bei öffentlichen Auftritten gerne inszeniert ("Wir verstehen Bahnhof!") und aus seiner Bahn-Biografie keinen Hehl macht, verliert er über das Kapitel bei der First Rail nicht viele Worte. Auch im Netz finden sich nur Spuren dieser Tätigkeit.

Zum Umfeld des Kitzinger Bahnhofs gehört ein unbefestigter Pendlerparkplatz. Mal steht dort das Wasser, mal weht einem der Staub ins Gesicht.
Foto: Eike Lenz | Zum Umfeld des Kitzinger Bahnhofs gehört ein unbefestigter Pendlerparkplatz. Mal steht dort das Wasser, mal weht einem der Staub ins Gesicht.

So berichtete die Nordwestzeitung im niedersächsischen Oldenburg im Februar 2005 über einen Termin im Ratssaal von Wildeshausen, bei dem es um die Entwicklung des Bahnhofs in der 20 000-Einwohner-Gemeinde ging. Steinert wird im Bericht als "Leiter Vertrieb, Konzept und Produktentwicklung von First Rail Estate" genannt und mit den Worten zitiert: "Wir sind keine Makler, wir wollen selbst langfristig in Bahnhöfe investieren." Schon damals verwies er auf seine langjährige Berufserfahrung als Führungskraft bei der Bahn und der Immobilienwirtschaft. Zwei Jahre später gründete Steinert dann Opus Est, eine "Kommunalberatung und Umsetzung rund um immobilienspezifische Bahnthemen".

Hinweise auf weitere Wendung - und ein glückliches Ende für die Stadt?

Den Bahnhof in Kitzingen hat Steinert Anfang 2019 mit Eigenmitteln und dem Geld zweier Partner erworben, die als Kommanditisten mit in der Aedificia Kitzingen KG sitzen. Auf die Frage, warum sich auch mehr als anderthalb Jahre nach dem Kauf nicht das Geringste am Gebäude getan habe, sagt Steinert gegenüber der Redaktion: "Ich könnte den Bahnhof in Kitzingen auf Teufel-komm-raus vermieten, aber das würde der Historie und dem Anspruch des Gebäudes nicht gerecht werden."

OB Stefan Güntner sagt: "Wenn ich als Stadt die Möglichkeit hätte, würde ich den Bahnhof sofort kaufen." Tatsächlich mehren sich inzwischen die Hinweise darauf, dass die Aedificia den Bahnhof verkaufen möchte, wenn auch nicht an die Stadt. So oder so käme dann Bewegung in die Sache. Vielleicht gibt es in diesem jahrelangen Trauerspiel doch noch so etwas wie eine glückliche Wendung.

 
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