Es gibt dieses Bild, aufgenommen im Sommer 2019: drei lächelnde Männer vor dem Kitzinger Bahnhofsgebäude. Sie haben etwas zu verkünden, etwas, das nach den vielen Hiobsbotschaften um diesen einst so repräsentativen Bau endlich wieder nach Aufbruch und Zuversicht klingt. Als stolze neue Besitzer träumen sie von einer Renaissance des Kitzinger Bahnhofs. Träumen davon, ein altersschwaches Gebäude aus dem „Dornröschenschlaf“ zu reißen. So wird es später im Bericht dieser Redaktion stehen.
Das Trio will offenbar nachholen, was die Bahn all die Jahre hat schleifen lassen. Was den oft schwerfälligen Staatskonzern überfordert hat, packen nun mit Pionier- und Gründergeist drei private Investoren an – das ist die Botschaft, die von diesem Augusttag ausgeht.
Da ist Jens Faras, 40, Diplomingenieur und Geschäftsführer eines Projektbüros in Rottweil, der in Sulz am Neckar schon einen Bahnhof saniert hat.
Da ist Ulrich Siffert, 37, Diplomingenieur und Geschäftsführer eines Softwareentwicklers in Leonberg, der als Kind Wassereis am Kitzinger Bahnhof schleckte.
Und da ist Stefan Steinert, 57, ein ehemaliger Eisenbahner, der sich 2013 mit der Aedificia Infrastruktur- und Entwicklungsgesellschaft (AIEG) in Frankfurt am Main selbstständig machte und nach eigenen Worten 36 Bahnhöfe in ganz Deutschland gekauft hat.
Was ist ein Jahr später geblieben von der Verheißung des Sommers 2019? Aus der Hoffnung, dass der Bahnhof in Kitzingen nach Jahren des Stillstands endlich vom Abstellgleis geschoben und auf Sanierungskurs gebracht wird? Nicht viel, wenn man die großen Versprechen zum Maßstab nimmt. Der Bahnhof in Kitzingen döst weiter im Dornröschenschlaf. Wie der Bahnhof in Lohr am Main. Wie der Bahnhof im westfälischen Schwelm. Wie der Bahnhof im brandenburgischen Fürstenwalde. Wie viele andere Bahnhöfe im Eigentum der Aedificia GmbH, die darauf warten, erweckt zu werden.
Was ist das für ein Unternehmen, das reihenweise Bahnhöfe in ganz Deutschland aufkauft und dann offenbar in der Schublade verschwinden lässt? Was ist das für eine Gesellschaft, die nach Recherchen dieser Redaktion bisher überhaupt keinen ihrer Bahnhöfe ertüchtigt hat? Am Telefon sagt Geschäftsführer Steinert: „Ich mache etwas Privates und soll mich dafür rechtfertigen - in welcher Welt leben wir?“
Der Bahnhof in Kitzingen war immer mehr Funktions- als Prestigeobjekt. Stattlich, aber nicht protzig, erbaut in den 1860er Jahren. Gut fünf Minuten sind es zu Fuß in die Innenstadt. Mittlerweile hat den Bahnhof ein Schicksal ereilt wie Tausende andere Bahnhöfe, deren Betrieb sich für die Bahn nicht mehr rentierte.
Selbstbewusster Investor: "Wir verstehen Bahnhof"
Von mehr als 2300 Bahnhöfen hat sich der Konzern seit 1999 getrennt. Drei Dutzend davon hat sich Steinert mit seiner Aedificia in Frankfurt gesichert, viele zum Schnäppchenpreis. Steinert sucht sich in der Regel Investoren vor Ort, die mit ihm die Objekte erwerben, präsentiert Entwicklungs- und Sanierungspläne. Bei Ortsterminen mit Bürgermeistern und Presse gibt er sich selbstbewusst. Sein Lieblingsmotto: „Wir verstehen Bahnhof!“
Aber wie viel Bahnhof verstehen Steinert und die Aedificia wirklich? Ein Insider erklärt gegenüber dieser Redaktion, Steinert und seine Leute seien zwar versiert in Bahn- und Vertragsangelegenheiten. Aber vom Sanieren und Bauen hätten sie wenig Ahnung. Das deckt sich mit den Aussagen, die die Redaktion aus fast einem Dutzend Rathäusern erhalten hat.
In Bad Friedrichshall (Kreis Heilbronn) stand im Jahr 2014 das Bahnhofsgebäude zum Verkauf. Die Stadt bekundete Interesse, sah dann aber von einem Ankauf ab, nachdem die Aedificia ein Nutzungskonzept vorgestellt hatte. „Gut und schlüssig“ hätten sich die Pläne angehört, sagt Bürgermeister Timo Frey heute. Die Empfangshalle sollte hergerichtet, der Bahnhof mit Toiletten ausgestattet werden. Von Wohnungen, Büros und Läden war die Rede.
Kommunen kaufen Bahnhöfe zurück, weil sich nichts tut
2017 reichte die Aedificia einen Bauantrag an. Danach geschah lange Zeit nichts. „Die Aedificia hat uns immer wieder vertröstet“, sagt Frey. Bis Ende 2019 sollte sie mindestens die Hälfte des Konzepts umgesetzt haben, so war es laut Frey im Vertrag geregelt. Die Stadt selbst wurde im Umgriff des Bahnhofs aktiv und pochte in regelmäßigen Gesprächen mit der Aedificia darauf, ihren Teil des Versprechens zu erfüllen. „Je mehr wir nachfragten, um so spärlicher wurde der Kontakt“, sagt der Bad Friedrichshaller Bürgermeister.
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Im Dezember 2019 war die Geduld Freys erschöpft. Er überzeugte den Gemeinderat, von seinem vertraglich vereinbarten Ankaufsrecht für den Bahnhof Gebrauch zu machen. Bis zum Herbst soll das Objekt in städtischer Hand sein, sagt Frey. Er sei froh, wenn das Kapitel Aedificia endlich geschlossen ist.
Bad Friedrichshall ist kein Einzelfall. Auch im sächsischen Freiberg und im westfälischen Neubeckum haben die Gemeinden ihre Bahnhofsgebäude von der Aedificia zurückgekauft, nachdem sich die Hoffnungen auf Fortschritte am Bahnhof nicht erfüllten. Im niedersächsischen Brake ist Ende 2018 ein Sanierungskonzept geplatzt -Steinert hat sich mit den Investoren, unter anderem für ein Zwei-Sterne-Hotel, zerstritten.
Aedificia ist Lateinisch und steht für „Gebäude“. Steinert sagt, er habe schon mit dem Namen einen „intellektuellen Anspruch“ formulieren wollen. Seit März 2013 ist die Gesellschaft im Handelsregister eingetragen, gegründet zum „Ankauf von bundesweit disponiblen Empfangsgebäuden und Bahnflächen von der Deutschen Bahn AG“. Gewachsen ist daraus ein Geflecht aus GmbHs, KGs und GbRs, in dem man schon mal den Überblick verlieren kann. Noch nicht einmal die Zahl der genannten 36 Bahnhöfe lässt sich überprüfen. Im Handelsregister sind nur für etwa 20 Aedificia-Standorte KGs zu finden.
Investor Steinert "kann Leute nicht mehr ernst nehmen"
Steinert sagt, er habe in all den Jahren „viel darüber gelernt, wie Bahnhofsentwicklung funktioniert“. Wie kommt es dann, dass sich an seinen Bahnhöfen so wenig tut, Flächen auch nach Jahren nicht vermietet sind? „Ich will keine Ramschläden“, sagt er. „Ich will eine Nutzung, die nachhaltig und dauerhaft ist.“ Da könne es schon vorkommen, dass Gebäude über mehrere Jahre leer stehen. Fragt man ihn nach den Differenzen mit Kommunen, sagt Steinert: „Es gibt überhaupt keine Differenzen mit irgendwelchen Kommunen.“ Und er schiebt hinterher: „Vielleicht mit Politikern.“
Solange man seinen Thesen und Ideen folgt, ist Steinert ein jovialer Gesprächspartner. Konfrontiert man ihn mit der Kritik, die es an vielen Standorten mit Beteiligung der Aedificia gibt, wird er bräsig. „Ich kann Leute nicht mehr ernst nehmen, die sich hinstellen und fordern. Das sind alles Menschen, die im Leben noch nie etwas gemacht haben.“ Einen Bürgermeister aus dem Sächsischen, mit dem er über längere Zeit zu tun hatte, nennt er eine „linke Bazille“.
Spielt Steinert auf Zeit? Wartet er mit einer Sanierung so lange, bis Kommunen die Geduld verlieren und nicht mehr anders können, als die Gebäude anzukaufen - zu einem deutlich höheren Preis als die Aedificia bezahlt hat?
Es ist ein Verdacht. Bestätigen möchte das im Zuge unserer Recherchen keiner.
Steinert verweist gerne auf den Bahnhof im brandenburgischen Fürstenwalde. Nachdem die Aedificia das Gebäude vor fünf Jahren gekauft hat, sind dort heute neben einem Ticketschalter ein Imbiss, ein Zeitungskiosk und ein Fahrradladen untergebracht. Aus dem Rathaus Fürstenwalde heißt es vom Fachbereichsleiter Stadtentwicklung auf Nachfrage: „Das Gebäude ist erhalten und nicht verwahrlost, aber investiert wurde schon lange nicht mehr.“ Unter dem Titel „Mobilitätsdrehscheibe Bahnhof“ hat die Stadt ein 80-seitiges Entwicklungskonzept entwerfen lassen – ohne die Aedificia und das Bahnhofsgebäude.
Das Fremdkapital bleibt die große Unbekannte
Das Finanzierungsmodell der Aedificia basiert im Wesentlichen auf Eigenkapital und dem Geld von Partnern. Damit werden die Bahnhofsgebäude und dazugehörige Grundstücke gekauft. Mit Fremdkapital soll die Sanierung der erworbenen Gebäude finanziert werden. Das ist in dieser Gleichung die große Unbekannte: Um ein Projekt starten zu können, müssen für 70 bis 80 Prozent der Nutzfläche Mieter gefunden sein. Erst dann sind Banken laut Steinert bereit, Kredite zu gewähren.
Die Sparkasse Mainfranken in Würzburg widerspricht dieser Darstellung nicht. Hilfreich seien in solchen Fällen ein „Businessplan“ und „nachweisbare Mietanfragen“, heißt es auf Anfrage der Redaktion. Das Institut weist aber darauf hin: „In der Regel lässt sich für die Besicherung des Fremdkapitals eine Grundschuld eintragen.“
Im westfälischen Schwelm kaufte die Aedificia der Bahn im Jahr 2014 den Bahnhof ab – mit dem Ziel, ihn bis Ende 2015 zu sanieren. Einen gemeinsamen Gesprächstermin mit Stadt und Bahn, bei dem es um grundsätzliche Fragen zur Zukunft des Gebäudes gehen sollte, ließ die Aedificia im April 2019 kurzfristig platzen. Carsten Kirchhoff von der Bahnflächen-Entwicklungs-Gesellschaft NRW teilt auf Nachfrage mit: „Wir bemühen uns gemeinsam mit der Stadt und Dritten, eine Lösung ohne die Aedificia herbeizuführen.“
Die in Schwelm von Steinert gegründete KG ist laut Handelsregister im Dezember 2019 erloschen. Ein neuer, örtlicher Komplementär und Geschäftsführer hat den Bahnhof übernommen.
In Lohr ist die Aedificia seit 2016 Eigentümerin des Bahnhofs und des umliegenden Geländes. Als sich im Winter 2019 dort allerhand Müll ansammelte, sagt Steinert gegenüber dieser Redaktion: „Das ist mein Gebäude; das geht niemanden etwas an.“ Er sei rechtlich nicht verpflichtet, das Gelände sauber zu halten. Das Empfangsgebäude hat zwar einen frischen Anstrich erhalten, aber für Bahnreisende in Lohr ist es geschlossen. Ein Zettel in der Tür wirbt um Mieter und verspricht „provisionsfreie Gewerbeflächen“.
Seit Anfang dieses Jahres ist die ehemalige Gaststätte an einen Motorradclub verpachtet. Ein Nachbar sagt: „Versprochen wurde immer viel – passiert ist wenig.“ Gerade hat die Stadt mit finanzieller Hilfe örtlicher Sponsoren einen kleinen Platz vor dem Bahnhof neu gestaltet: Blumenbeete, Kiesfläche, Sitzbänke. Auch Steinert war bei der Eröffnung im Juli dabei. Vielsagend heißt es bei der Stadt Lohr: „Wir gehen damit in Vorleistung und wollen andere Parteien aktivieren, nachzuziehen.“
Aus dem Bahnhof laufen angeblich die Ratten
Und in Kitzingen? Die Stadt wartet auf Entscheidungen, sagt Oberbürgermeister Stefan Güntner. „Der Bahnhof ist ein wichtiges Einfallstor zur Stadt. Das kann nicht so bleiben, wie es ist. Es gab Ideen wie ein Ärztehaus, aber leider müssen wir feststellen, dass sich gar nichts tut.“
Ulrich Siffert, einer der drei Investoren des Bahnhofs, stammt aus Markt Einersheim und wohnt in Würzburg. Den Bahnhof hätte er gerne selbst gekauft, sagt er, habe sich aber von Steinert und dessen Aedificia überreden lassen, gemeinsame Sache zu machen.
Siffert würde sich am liebsten gar nicht äußern, um das Projekt, das er ohnehin ein halbes Jahr in Verzug sieht, nicht zu gefährden. Was er schließlich sagt, ist: „Es gibt Gespräche und Vorverträge. Jetzt müssen wir langsam schauen, dass wir in die Gänge kommen.“
Für Reisende ist der Bahnhof in Kitzingen weiter geschlossen. Im Stadtrat hieß es neulich, dass aus dem Gebäude die Ratten liefen.
Geld verdienen.
Und wenn das nicht geht, macht er - (gefühlt) garnix.
Der "Bahnhof" - in der Eisenbahnsprache "Empfangsgebäude" - war früher mal oft genug der Stolz der betreffenden Gemeinde/ Stadt und auch des Eisenbahnunternehmens. Davon ist halt im Zeitalter des motorisierten Individualverkehrs nicht viel übriggeblieben - außer mancherorts langsam verrottender Hochbauten.
Eigentlich jeweils eine Schande für Kommune und Bahnunternehmen, wenn das Portal zum Ort bzw. zum Zug dazu "einlädt", dass man da so schnell wie möglich wieder wegkommen will (wobei sich oft genug fragt, ob nicht auch selber schuld ist, wer in den Zug einsteigt...).
Kundendienst ist heute offenbar ziemlich out - und alle wundern sich, wenn die fiesen Kunden dann ausbleiben. Aber im Fall der Bahn ist das mMn auch noch gewollt - denn hätten wir eine gute Bahn so wie z. B. die Schweiz, ginge es sicher der Autoindustrie und ihrer Lobby ziemlich dreckig...
Nur weiter so!(?)
Wenn von KT ein 50 km langer Bahnstrang nach SW führte, wäre das nördliche KTer Hinterland viel besser an KT angebunden und die Stadt (Einzelhandel, Dienstleistungen, Gastronomie etc.) würde aufgewertet.
Kurzsichtigkeit und wenig Verständnis für entscheidende und wegweisende Stadtentwicklung bestimmt die heutigen Kommunalpolitiker in KT, GEO & SW! Bei diesem konkreten Projekt zeigt sich, dass "Verkehrswende" bei ihnen höchstens nur aus ökologischen Geplappere und Worthülsen besteht.