Auf und davon. Den drögen Alltag hinter sich lassen und ferne Länder entdecken – viele träumen davon, die wenigsten machen es. Sabine Bauer (51) und Jochen Krüger (54) aus Willanzheim haben es getan. Im August 2023 brachen die Buchhalterin und der Maschinenbauer in Hamburg zu ihrer Weltumsegelung auf.
2020 kauften sich die beiden in Griechenland ein 13 Meter langes, gut 40 Jahre altes Segelboot. Sie segelten bis Kiel, ließen die "Josa" als Schwertransport nach Franken transportieren und möbelten sie in Willanzheim auf. Drei bis vier Jahre wollen sie unterwegs sein. Aktuell sind sie in Brasilien und schwitzen. Sogar das Meerwasser hat 32 Grad Celsius. Was sie an Deutschland vermissen, was Elon Musk mit ihrer Weltumsegelung zu tun hat und wie sie auf dem Atlantik einer brenzligen Situation entkommen sind, erzählen sie via WhatsApp.
Jochen Krüger: Die Liebe zum Wasser war schon immer da. Wir haben uns durch die Wasserwacht kennengelernt, waren weltweit tauchen. Dazu kamen große Motorradtouren in Rumänien, Norwegen, Pyrenäen. Reiselustig waren wir schon immer.
Krüger: Wir lernten ein Pärchen kennen, das als Weltumsegler unterwegs ist. Ihr Rat: Wenn es finanziell zu stemmen ist, macht's jetzt. Man weiß nicht, wie fit man in der Rente ist.
Krüger: Oft ist es rechtlich schwierig, offiziell im Ausland Geld zu verdienen. Der durchschnittliche Monatsverdienst liegt in Brasilien bei etwa 500 Euro. Rentiert sich das? In Industrieländern wie Australien oder Neuseeland sieht das anders aus.
Krüger: Selbst Sabine hätte sich schwergetan, denn sie braucht als Buchhalterin permanent Unterlagen.
Sabine Bauer: Ich bin noch Beleg-Arbeiter... Old school (lacht). Ich wollte mir den Termindruck nicht mehr antun. Möchte man bei 30 Grad am Computer Belege bearbeiten? Ich weiß nicht.
Krüger: 24 Stunden sieben Tage zu schwitzen ist auch nicht unbedingt angenehm.
Krüger: 90 Prozent der Weltumsegler nehmen die sogenannte Barfußroute. Das ist am Äquator entlang. Dort gibt es Winde, die in Richtung und Stärke relativ konstant sind. Karibik, Panamakanal, Südsee…
Bauer: Immer Richtung Westen.
Krüger: Auf dieser Route sind der Wind und das Wasser so warm, dass man barfuß auf dem Schiff leben kann; daher wahrscheinlich der Name. Aber die wollen wir ja nicht fahren. Wir gehören zu den zehn Prozent, die mal links oder rechts abbiegen.
Krüger: Wir haben drei bis vier Jahre geplant: 2023 los und 2026/27 zurück. Entlang der Barfußroute brauchst du allein für die Strecke ein Jahr.
Bauer: Unser Ziel ist, die Welt zu sehen und nicht nur vorbeizufahren.
Krüger: Die Atlantik-Überquerung kommt nicht von heute auf morgen. Erst waren es Tagesetappen, dann zwei, drei Tage. Wir sind in einer Woche von Lissabon auf die Kanaren. So steigert sich das langsam.
Bauer: Man freut man sich, wenn man einen Tanker am Horizont sieht. Juhu, ein Schiff! Viele stellen es sich spannend vor, aber es ist todlangweilig.
Krüger (lacht): Das bleibt nicht aus, wenn man auf engem Raum 24 Stunden zusammen ist. Wobei man gerade bei der Atlantik-Überquerung wenig Zeit gemeinsam verbringt. Einer fährt Wache, und einer schläft. Tagsüber eine gemeinsame Mahlzeit, dann Wachwechsel. Nachts übergibt man schnell, und man ist wieder allein.
Krüger: Ein Frachter ist uns sehr nahegekommen. Dazu muss ich etwas erklären. Es gibt ein Automatic Identification System (AIS). Das zeigt einem Schiffe im Umkreis an. Für die Berufsschifffahrt ist das Pflicht. Ein Frachter kann reagieren, wenn es ein Boot auf dem System sieht. Denn Segelboote sind vorfahrtsberechtigt. Viele Blauwassersegler wie wir haben AIS freiwillig, weil es der Sicherheit dient. Das System funktioniert zu 99 Prozent. Das eine Prozent war auf dem Atlantik mitten in der Nacht. Wir sahen auf unserem System, dass der Frachter kommt und dass es knapp wird. Ein anderes Segelboot in der Nähe funkte den Frachter an, aber der reagierte erst nach dem fünften oder sechsten Funkspruch. Am Ende wichen wir dem Frachter aus. Der hätte uns voll aufgeladen.
Krüger: Als Segler musst du spontan sein. Es gibt ein Sprichwort: Die Pläne eines Seglers sind bei Ebbe in den Sand geschrieben. Was du heute beschließt, kann morgen schon wieder anders sein.
Bauer: Ich hatte 30 Jahre lang einen festen Ablauf. Jetzt mache ich's anders. Das ist schön. Privat und im Urlaub war ich schon immer spontan.
Krüger: Wir haben noch keine Reise gemacht, auch mit dem Motorrad nicht, bei der fest etwas geplant war.
Krüger: Wie willst du über die Ozeane kommen? Es ist ein Riesenaufwand, die Motorräder zu verschiffen. Da kann ich gleich ein Boot nehmen.
Bauer: Deutsches Essen. Brot, Backwaren generell. Brasilien ist sehr fleischlastig, sehr viel Kurzgebratenes. Mal wieder eine Soße oder einen richtig guten Salat.
Bauer: In Deutschland geht es uns echt gut. Wenn man sieht, wie arme Brasilianer leben und wie arme Deutsche leben – das sind Welten. Es ist Jammern auf hohem Niveau.
Krüger: Auf höchstem Niveau. Auch die deutsche Bürokratie ist gegen andere Länder Peanuts.
Bauer: Wir jammern immer, aber es geht schlimmer. Ein Beispiel: Um bestimmte Sachen einkaufen zu können, brauchten wir eine brasilianische Steuernummer.
Krüger: Spontaneität, Offenheit und Google Translator.
Krüger: Auf jeden Fall. Wir haben Starlink an Bord, die Satellitenkommunikation von Elon Musk. Auf hoher See kamst du früher über das Satellitentelefon an Wetterdaten. Dabei werden in Kilobytes Daten langsam übertragen, und so wird das Ganze richtig teuer. Mit Herrn Musk könnte ich mitten auf dem Atlantik einen Film in HD streamen. Gut, die Geschichte ist nicht billig…
Bauer: …aber es ist ein fest planbarer Betrag. Die Eltern sind auch froh, wenn sie uns jederzeit erreichen können.
Krüger: Geplant war, dass wir jetzt die Südsee im Blick haben. Auf den Kanaren stellten wir fest: So kann es nicht weitergehen. Vor dem Start hatten wir technische Probleme und Ärger mit Handwerkern. Wir sind zu spät weggekommen und waren nur damit beschäftigt, schnell vorwärtszukommen. Auf den Kanaren beschlossen wir, unter anderem im Gespräch mit anderen Seglern, dass wir so ja eigentlich nicht unterwegs sein wollen, nicht nur um Strecke zu machen.
Krüger: Wir sind ein Jahr hintendran. Wenn du den Absprung verpasst, musst du alles nach hinten schieben. Wir machen jetzt gemütlich Südamerika bis wir im Süd-Sommer um Cap Hoorn segeln. Der Beagle-Kanal im Süden Feuerlands würde zwar auch im Winter gehen, aber da ist es verdammt kalt.
Bauer: Man muss für sich festlegen: Ich mach' das. Und das offen kommunizieren, gerade Familie und Freunden gegenüber. Das setzt dich selbst unter Druck.
Krüger: Und die Konsequenzen bedenken. Unsere Eltern sind nicht mehr die Jüngsten. Wir mussten uns im Klaren sein, dass wir sie vielleicht nicht mehr lebend sehen.
Bauer: Dann ist noch das typische Deutsche. Was ist mit meiner Versicherung, mit meiner Rente? Ich war auch so. Ich bin Buchhalterin. Ich sagte zu mir: Scheiß drauf! Viele nehmen sich eine Auszeit nach der Schule, wir machen’s jetzt.
Krüger: Wieder ins Berufsleben einzusteigen wird definitiv schwer werden. Auf dem Boot lebt man in seinem eigenen Rhythmus. In das Regelmäßige wieder hereinzukommen wird nicht einfach.
Bauer: Ob’s wieder derselbe Beruf wird? Das lassen wir auf uns zukommen. Wir haben Jobs, in denen wir jederzeit Arbeit finden.
Krüger: Vielleicht kommen wir auch nur noch einmal nach Hause, sagen Tschüss und sind für immer verschwunden.
Krüger: Immer eine Handbreit Wasser unterm Kiel oder Mast- und Schotbruch.
Bauer: Fair wind wäre international.
Das mit der Bürokratie, wie von dem Seglerpaar treffend festgestellt, war schon vor 40 Jahren so: Die gibt es bei uns in D, jedoch woanders, bspw. Lateinamerika und Nah Ost, um ein Vielfaches höher.
Und wer mal die Welt gesehen hat und auf D von außen schaute, weiß, was er an unserem Land hat.
Nur: Wie lange noch?
Danke für das Entführen ins Abenteuer..