Mit dem Landkreis Haßberge hatte Robert Scholderer eigentlich nie etwas am Hut. Und die Gemeinde Ebelsbach war für ihn ein böhmisches Dorf – bis Anfang dieses Jahres. Im Januar ist der 55-Jährige aus Bruchsal, einer Stadt im Landkreis Karlsruhe in Baden-Württemberg, im Internet auf den Rätselstein gestoßen. Und der hat ihn seitdem nicht mehr losgelassen.
Scholderer selbst nennt sein Hobby "Artefact Hacking", zu Deutsch in etwa: Die Entschlüsslung von Artefakten. Er ist sich sicher, dass er die Inschriften des Steins Schritt für Schritt entschlüsselt hat. "Ohne den richtigen Ansatz wäre ich nicht ans Ende gelangt", erklärt er. Wie genau er den Rätselstein gelöst und auch, welche Ansätze der 55-Jährige dabei verfolgt hat, das lässt sich in einem Artikel nicht darstellen, so viel sei vorweggesagt.
Ein "Exit-Spiel im freien Raum"
Das mysteriöse Steinensemble ist im Besitz von Heinrich Albert, dem Betreiber des Ebelsbacher Eiscafés "Las Palmas". Beauftragt wurde das Denkmal laut Albert vom Bruder seines Großvaters – einem Mann namens Johann Baptist Andree, der von 1879 bis 1968 gelebt hat. Es stammt aus dem Jahr 1928 und ist die einzige Arbeit, die Andree je anfertigen ließ. Der dreiteilige Rätselstein selbst besteht aus Muschelkalk und setzt sich aus unterschiedlichen Elementen, Symbolen und Zahlen zusammen. Daneben sind auch Textpassagen in den Stein gemeißelt, teils auch auf unterschiedlichen Seiten.
Genau das fand Scholderer interessant. Der Rätselstein habe ihn an ein Exit-Spiel erinnert, berichtet der IT-Berater und Unternehmer im Gespräch mit der Redaktion. Nur eben im freien Raum. "Mich hat interessiert, was dahinter steckt." Scholderer fing an, den Stein anhand der Bilder aus dem Internet zu entschlüsseln. Aus dem anfänglichen Interesse wurde schnell eine Stunde Arbeit, dann zwei. "Und dann war der Sog da", berichtet Scholderer.
Fokus dank fehlender Fotos
"Ganz am Anfang habe ich mir die Frage gestellt: Mystik oder Mathematik?", berichtet der 55-Jährige. Relativ schnell habe er mathematische Annahmen aufgestellt, die sich auch belegen ließen, sagt Scholderer, der Mathematik und Informatik studiert hat. Tatsächlich fehlten ihm am Anfang seiner Überlegungen aber die Fotos von einigen der Inschriften.
"Zum Glück", sagt der Unternehmer mittlerweile. "Das hat mir geholfen, mich überhaupt mal zu orientieren, darin einzusteigen. Das gesamte Rätsel überlastet einen schon." Er nahm Kontakt zur Familie Albert auf, fragte nach weiteren Fotos. Und rätselte weiter. Der IT-Berater hat seitdem gut 100 Stunden Arbeit in die Lösung des Rätsels investiert.
Die Erklärung des Lösungsweges dauert fast zwei Stunden
Etwa 140 Folien umfasst die Powerpoint-Präsentation mittlerweile, in der Scholderer seine Gedankengänge Schritt für Schritt vorstellt. Wer wissen will, wie genau er vorgegangen ist, muss Zeit mitnehmen. Fast zwei Stunden dauern Scholderers Ausführungen. Was sich in diesem Artikel aber kurz beschreiben lässt, ist wohl das interessanteste: des Rätsels Anfang und des Rätsels Lösung.
Scholderer fasst seinen ersten Schritt kurz zusammen: Er skizzierte sich die Linien, die an der Wand hinter dem Stein verlaufen. Dann ordnete er die 20 Textzeilen, die unterhalb der Kopfsteinplatte eingemeißelt sind, darauf an. Im Grunde genommen habe er dadurch mehrere einzelne, verklausulierte Rätsel erhalten, die sich danach durch die Einarbeitung anderer Abschnitte des Steines haben lösen lassen, berichtet er.
Und das sei ganz schön fies gewesen. "Du hast nicht gewusst, wohin sich das ganze entwickelt", erklärt Scholderer. "Wo ist der Anfang? Wo ist das Ende? Und: was vergesse ich?" Er ist überzeugt, dass Andree das Rätsel als langen Gedankengang aufgebaut hat. Das mache es umso schwerer. "Das passt nicht mehr in die heutige, schnelllebige Zeit. Rätsel sind heutzutage ganz anders geartet."
Der Rätselstein sei interdisziplinär aufgebaut, erklärt Scholderer. Mehrmals habe er Worte nachschlagen müssen, die im heutigen Sprachgebrauch nicht mehr vorkommen. Er nennt ein Beispiel. "Gauch: Das bedeutet Narr, Dummkopf." Gerade aber die reine Mathematik habe geholfen, um Abschnitte zu lösen. Und auch, sich das Rätsel als System vorzustellen.
Anregungen und Ideen aus Ebelsbach
Aber nicht nur. In den vergangenen Monaten war Scholderer einige Male in Ebelsbach. Hat dort seine Ergebnisse der Familie Albert und auch dem Heimatgeschichtlichen Arbeitskreis der Gemeinde vorgestellt. Danach hatte er jedes Mal neue Anregungen, Hinweise und Ideen im Gepäck.
Scholderer ist dennoch ins Stocken geraten, relativ am Ende. Und zwar, als die Rätsel vom Mathematischen ins Musikalische übergegangen sind. "Ich habe Musiker gefragt. Die sagten, du brauchst einen Komponisten", berichtet Scholderer. Zusammen mit einem Komponisten aus Baden-Württemberg arbeitete er die letzten Lösungsschritte aus.
Das Rätsel endet mit einer Melodie, genauer gesagt mit zwölf Tönen, verrät er. "Die Reihenfolge der einzelnen Töne wird durch den Quintenzirkel festgelegt. Wie genau die Akkorde miteinander kombiniert werden, ist aber nicht klar", sagt der 55-Jährige. (Anmerkung der Redaktion: Vereinfacht erklärt ist der Quintenzirkel ein grafisches Instrument in der Musiktheorie.) Ebenso unklar ist, wie sich die Melodie letztendlich anhört. Das aber ist nur noch eine Frage der Zeit: Der Komponist soll die Melodie nun vertonen.
Am Ende bleibt eine Frage offen
Eines gibt es dennoch, das Scholderer bis heute nicht verstanden hat: die Anordnung und den Aufbau der Elemente. "Das war schon sehr waghalsig. Warum hat er nicht alles auf eine Tafel meißeln lassen?", fragt sich der 55-Jährige.
Wer weiß. Vielleicht wollte Johann Baptist Andree das Rätsel einfach noch ein Stückchen schwieriger gestalten. Oder er hat schlichtweg keine Steinplatte gefunden, die groß genug für all seine Ideen war. Das aber bleibt wohl sein Geheimnis.
Wer wissen möchte, wie Scholderer genau vorgegangen ist: Künftig plant der IT-Berater mehrmals im Jahr nach Ebelsbach zu kommen, um Interessierten die Lösung des Rätselsteins vorzustellen. Wann der erste Termin stattfindet, ist aktuell aber noch unklar.
Ich glaube, dass mir diese Lösung des Rätsels auf ewig rätselhaft bleiben wird.