zurück
Rottenstein
Pferd "Guinness" als Therapiepartner: Warum Reiten für Hannah (11) mehr als nur ein Hobby ist
Reittherapeutin Anna Drescher unterstützt mit ihrem Angebot in Rottenstein Kinder, die seelische oder körperliche Beeinträchtigungen haben. Wie das funktioniert.
Auf Irish Tinker 'Guinness' dreht die 11-jährige Hannah unter Anleitung von Reittherapeutin Anna Drescher ihre Runden auf dem Reitplatz in Rottenstein. Das Mädchen hat Trisomie 21.
Foto: Rebecca Vogt | Auf Irish Tinker "Guinness" dreht die 11-jährige Hannah unter Anleitung von Reittherapeutin Anna Drescher ihre Runden auf dem Reitplatz in Rottenstein. Das Mädchen hat Trisomie 21.
Rebecca Vogt
 |  aktualisiert: 08.02.2024 10:34 Uhr

Auf die Frage ihrer Mutter nach ihrem Lieblingspferd kann es bei Hannah nur eine Antwort geben und die kommt prompt: "Guinness". Gemeint ist der stattliche Irish Tinker von Reittherapeutin Anna Drescher aus Friesenhausen. Während besagter Guinness inzwischen wieder mit seinen Artgenossen auf der Weide grast, ist Hannah zum Pferdestall und ihren Eltern zurückgekehrt. Einige Minuten zuvor sah das noch anders aus:

Auf dem Rücken des Irish Tinkers sitzend dreht die 11-Jährige an der Longe – einer langen Leine, die als Verbindung zwischen Pferd und Reittherapeutin dient – ihre Runden auf dem Reitplatz oberhalb des Pferdestalls in Rottenstein. Anna Drescher gibt aus der Mitte Anweisungen. Und so trabt und galoppiert Hannah auf Guinness oder beugt sich nach unten, um mit der rechten Hand die linke Fußspitze zu berühren und umgekehrt.

Guinness ist ein verlässlicher Therapiepartner. Hannah traut sich unter anderem, auf ihm zu traben und zu galoppieren.
Foto: Rebecca Vogt | Guinness ist ein verlässlicher Therapiepartner. Hannah traut sich unter anderem, auf ihm zu traben und zu galoppieren.

Die 11-Jährige weiß auch, wie eine Mühle geht. Dazu schwingt sie ihr rechtes Bein über Guinness' Hals hinweg und sitzt plötzlich seitlich auf dem Pferd. "Wie eine Prinzessin sitzt du jetzt", ruft ihr Drescher zu. Dann geht es weiter: Hannah dreht sich erneut und befindet sich als Nächstes rücklings, schließlich zur anderen Seite und am Ende wieder nach vorne gerichtet auf dem Pferd. Das Mädchen traut sich auch, sich auf Guinness' Rücken zu knien. "Das macht sie wirklich gut", sagt Drescher.

Fünf Pferde, ein Hund und eine Katze als Therapiepartner

Anschließend geht es für Hannah und Guinness zusammen mit der Reittherapeutin und Labrador Nala – neben den fünf Pferden und Kater Balu Teil in Dreschers ganzheitlichem Therapieansatz – noch zu einem kurzen Spaziergang ins Gelände. "Wir sind wirklich baff", erklären unterdessen Hannahs Eltern, Tanja und Christian Schneider, mit Blick auf die Reitkünste ihrer Tochter. Normalerweise verabschieden sich die beiden bei der Reittherapie immer zu Beginn der Reitstunde, denn Kinder verhalten sich anders, wenn ihre Eltern dabei sind, wie Drescher erklärt. Für den Termin mit der Redaktion sind die Schneiders dieses Mal geblieben.

Nach der Einheit auf dem Reitplatz geht es für Hannah und Guinness zusammen mit Reittherapeutin Anna Drescher und Labrador Nala noch zu einem kurzen Spaziergang ins Gelände.
Foto: Rebecca Vogt | Nach der Einheit auf dem Reitplatz geht es für Hannah und Guinness zusammen mit Reittherapeutin Anna Drescher und Labrador Nala noch zu einem kurzen Spaziergang ins Gelände.

Einmal in der Woche geht Hannah zur Reittherapie in Rottenstein. Das Mädchen hat Trisomie 21, auch Down-Syndrom genannt. Dass ihre Tochter mit einer Behinderung zur Welt kommt, wussten die Schneiders nicht. "Auf so etwas kann man sich nicht vorbereiten", sagt Vater Christian. "Wir haben gelernt, damit umzugehen", erklärt Mutter Tanja. Offen geben sie einen Einblick in ihren Alltag mit einem behinderten Kind: "Wir werden immer angeguckt." Anders verhält es sich auf dem Reiterhof: "Die Pferde fragen nicht. Wenn man sie gut behandelt, sind sie zufrieden."

Auch Reittherapeutin Anna Drescher habe gleich einen sympathischen Eindruck gemacht, berichten die Schneiders. "Man merkt, dass sie das Ganze lebt", fügt Hannahs Vater an. 2010 hat Drescher ihr Hobby zum Beruf gemacht, wie sie selbst sagt. "Heilpädagogisches Begleiten mit dem Pferd (HBP)" lautet die offizielle Bezeichnung ihres Angebots in Rottenstein. Die 41-Jährige ist selbstständig und zudem in Teilzeit als angestellte Reittherapeutin in der Jugend- und Behindertenhilfe (JuBe) Oberlauringen (Lkr. Schweinfurt) tätig.

Krankenkassen übernehmen Kosten für Reittherapie nicht

Zwischen 40 und 50 Kinder aus dem dortigen Kinderheim der JuBe besuchen – aufgeteilt in sechs Gruppen – regelmäßig den Reiterhof in Rottenstein. Hinzu kommen private Therapiekinder wie Hannah. Die Kosten für eine Therapiestunde variieren je nach Förderbedarf. Sie werden nicht von den Krankenkassen übernommen, wie Drescher erklärt. Manche Jugendämter würden die Reittherapie finanzieren. Die "Aktion Kindertraum" aus Hannover unterstütze zudem in ihrem Kundenstamm einzelne Familien, die sich die Therapie mit Pferd für ihr Kind sonst nicht leisten könnten. Die aktuell stark gestiegenen Kosten, etwa für Hufschmied und Tierarzt, seien ein echtes Problem, berichtet Drescher. Sie möchte diese nicht in den Preisen für die Therapiestunden an die Eltern weitergeben.

Hannah kommt seit knapp zwei Jahren regelmäßig zur Reittherapie bei Anna Drescher. Guinness ist dabei ihr erklärtes Lieblingspferd.
Foto: Rebecca Vogt | Hannah kommt seit knapp zwei Jahren regelmäßig zur Reittherapie bei Anna Drescher. Guinness ist dabei ihr erklärtes Lieblingspferd.

Die Kinder, die in die Reittherapie kommen, haben unterschiedliche Beeinträchtigungen, wie die 41-Jährige berichtet. Es sind Kinder ohne Selbstvertrauen, mit sozialen und emotionalen Defiziten oder Konzentrationsschwierigkeiten. Kinder, die in der Schule gemobbt werden. Kinder mit körperlichen Beeinträchtigungen. Die Liste ließe sich fortsetzen und "ist völlig breit gefächert", sagt Drescher. Auch kleine Kinder in Vorbereitung auf den klassischen Reitunterricht kommen zu ihr nach Rottenstein. Manche bleiben aus Spaß und Interesse bis ins Jugendalter.

"Es geht um das Kennenlernen des Pferdes in seinem Wesen und um das Erleben des Pferdes in seinem Umfeld."
Anna Drescher, Reittherapeutin

Die Reittherapie umfasst dabei wesentlich mehr als nur das Reiten an sich, wie Drescher erklärt. "Es geht um das Kennenlernen des Pferdes in seinem Wesen und um das Erleben des Pferdes in seinem Umfeld." Die Kinder holen die Pferde mit von der Weide, sie putzen die Tiere vor dem Reiten, sie füttern sie und auch das Ausmisten des Stalls gehört dazu. "Ein Rund-um-Paket", fasst die 41-Jährige schmunzelnd zusammen. Ihre Rolle dabei: "Ich bin im Prinzip Co-Therapeutin, eine Art Bindeglied zwischen Pferd und Kind."

Therapie mit Pferden hat mehrere positive Effekte

Pferde hätten eine sensible Wahrnehmung für die Stimmung ihres menschlichen Gegenübers und würden diese sofort spiegeln, erklärt Drescher. "Man erhält von ihnen immer eine direkte und ehrliche Reaktion." Wichtig für den Einsatz in der Reittherapie ist, dass die Tiere in ihrem Wesen ausgeglichen sind. Irish Tinker wie Guinness seien zum Beispiel relativ gelassen, beschreibt die 41-Jährige, und würden immer kurz überlegen, bevor sie reagieren – was bei einem Fluchttier wie dem Pferd keine Selbstverständlichkeit ist.

Die Reittherapie ist insgesamt ein Zusammenspiel zwischen drei Akteuren. Reittherapeutin Anna Drescher fungiert dabei als Bindeglied zwischen Pferd und Kind.
Foto: Rebecca Vogt | Die Reittherapie ist insgesamt ein Zusammenspiel zwischen drei Akteuren. Reittherapeutin Anna Drescher fungiert dabei als Bindeglied zwischen Pferd und Kind.

Die Reittherapie wirke sich in mehrfacher Hinsicht positiv auf die Kinder aus, berichtet Drescher. Unter anderem stärke sie das Selbstvertrauen. "Alleine, ein Pferd zu führen, das muss man sich erstmal trauen." Gleichzeitig werde die Konzentration gefördert und durch die gleichbleibenden Abläufe würden die Kinder auch in anderen Lebensbereichen strukturierter vorgehen. Nicht zuletzt verbessern sich durch das Reiten die Körperspannung, die Motorik oder auch die Hand-Auge-Koordination, wie die Reittherapeutin erklärt.

Von diesen Effekten berichten auch Tanja und Christian Schneider mit Blick auf ihre Tochter. Hannah sei zuvor immer eher hibbelig gewesen, jetzt deutlich geerdeter und ruhiger, erzählen die beiden etwa. "Sie hatte anfangs ein Problem, sich an Absprachen zu halten, sodass ich sie nie unbeobachtet lassen konnte", berichtet Drescher mit Blick auf die 11-Jährige. "Inzwischen ist das anders." In knapp zwei Jahren hat Hannah durch die Reittherapie vieles gelernt. Im Vordergrund steht jedoch immer der Spaß, wie die Schneiders und Drescher erklären. Und so kann es bei Hannah am Ende der Therapiestunde auch auf die Frage, ob ihr das Reiten denn Spaß gemacht habe, nur eine Antwort geben: Ein nachdrückliches und freudiges "Ja".

 
Themen & Autoren / Autorinnen
Rottenstein
Rebecca Vogt
Behindertenhilfe-Organisationen
Christian Schneider
Mädchen
Pferde
Töchter
Lädt

Damit Sie Schlagwörter zu "Meine Themen" hinzufügen können, müssen Sie sich anmelden.

Anmelden Jetzt registrieren

Das folgende Schlagwort zu „Meine Themen“ hinzufügen:

Sie haben bereits von 50 Themen gewählt

bearbeiten

Sie folgen diesem Thema bereits.

entfernen
Kommentare
Aktuellste
Älteste
Top