Davon können Eltern nur träumen: Kein Schimpfen, kein flehentliches Bitten, kein Appell an die Vernunft und keine Androhung von Fernsehverbot sind nötig. Es reichen kleine Körperbewegungen aus – ein leichtes Drehen der Schulter, ein kurzer Schritt zurück – und Guiness versteht sofort, was Anna Drescher von ihm will. Und er gehorcht auf der Stelle – nicht aufs Wort, aber auf die Signale.
Guiness ist ein Irish Tinker, ein kräftiges, gedrungenes Pferd, mit langen Haaren an den Fesselgelenken. Seine in Friesenhausen lebende Besitzerin Anna Drescher bietet mit ihm „Heilpädagogisches Begleiten mit dem Pferd (HBP)“ für Kinder, Jugendliche oder auch Erwachsene mit Beeinträchtigungen an.
„Ich war schon immer absolut pferdenärrisch. Mit Postern an der Wand und allem drum und dran“, schildert die in Lendershausen Aufgewachsene ihre Liebe. Zum 18. Geburtstag sponserte ihr die Oma die Hälfte ihres ersten Pferdes „Lucy“, „die andere Hälfte habe ich selbst irgendwie zusammengekratzt“.
Nach der Ausbildung zur Kinderpflegerin – „das war mir nicht genug“ – lernte Anna Drescher noch den Beruf der Tierarzthelferin. Anschließend kehrte sie zu der Arbeit mit Kindern zurück. Im Kinderheim Oberlauringen hat sie inzwischen ihr Hobby zum Beruf gemacht und die Arbeit mit Kindern und Pferden vereint. Vier Jahre dauerte die berufsbegleitende Zusatzausbildung „Heilpädagogisches Begleiten mit dem Pferd“. Um teilnehmen zu können, braucht man neben einer abgeschlossenen pädagogischen oder therapeutischen Ausbildung eine mindestens zweijährige Praxis im Umgang mit Menschen mit Behinderung oder mit psychischer Beeinträchtigung.
„Die Kinder und Jugendlichen erleben mit dem Pferd, dass sie unabhängig von ihren Defiziten, so angenommen werden, wie sie sind“, beschreibt Drescher die Erfahrungen. Das Zusammensein mit dem großen, warmen Tier wirkt sich wohltuend auf den Reiter aus. Der 15-jährige Guiness ist ausgeglichen und einfühlsam und daher vom Charakter her bestens für HBP geeignet. Anna Drescher hat mit ihrem Pferd die nonverbale Kommunikation geübt. „Er reagiert super auf meine Körpersprache“, lobt sie ihn. „Ich muss mich beim Reiten auf das Kind konzentrieren und mit diesem reden können. Da würde es extrem stören, wenn ich auch noch dem Pferd Kommandos zurufen müsste.“
Je nach der Beeinträchtigung oder den Bedürfnissen des Kindes wird mit verschiedenen Methoden gearbeitet. „Ist das Kind sehr ängstlich und unsicher, beginnen wir erst mal mit Bodenarbeit“, beschreibt Drescher ihr Vorgehen. „Führt das Kind das Pferd, kann es langsam Kontakt knüpfen und merkt, wie das Tier reagiert.“
Bei manchen Kindern wird das Pferd nur geführt, bei anderen wird longiert, wobei das Pferd auf einer kreisförmigen Bahn an einer Leine läuft. Beim Voltigieren führen ein Kind oder mehrere Kinder zusammen turnerische Übungen auf dem Pferd aus, während dieses im Kreis läuft. „Diese Methode ist wunderbar geeignet, um soziale Kompetenzen zu erlernen“, erklärt Drescher. „Die Kinder halten sich dabei gegenseitig und sie werden gehalten“, das schweiße zusammen.
Oft verhalten sich Kinder im Umgang mit dem Pferd vollkommen anders, als sie dies in der Gruppe tun, stellt Drescher bei ihrer Arbeit im Kinderheim häufig fest. Zum Beispiel Kinder mit der Diagnose ADHS (Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung): Sie sind meist sehr unruhig und zappelig und werden als permanente Störer in der Gruppe erlebt. „Kaum sitzen sie auf dem Pferd, sind diese Kinder wie verwandelt.“ Die Kinder werden ruhig, lassen sich tragen und das Pferd den Rhythmus bestimmen. „Das Kind erlebt, dass es endlich einmal nicht stört und nimmt sich positiv wahr.“
Ein Pferd reagiere ohne Vorurteile auf einen Menschen. Der müsse keine Rolle mehr spielen, sondern könne einfach so sein, wie er ist. Eindrücklich erlebte das Anna Drescher bei den Begegnungen eines als verhaltensauffällig geltenden Jugendlichen. „Der hat Guiness jedes mal eine Stunde lang hingebungsvoll geputzt und ihm kunstvolle Zöpfe geflochten.“
„Die Begegnung mit dem Pferd stärkt das Kind“, nennt die Pferdeliebhaberin den wichtigsten Aspekt beim HBP. Allein schon sich auf dieses große Tier zu trauen, brauche Mut. Den hat die sechsjährige Lina bereits vor Monaten aufgebracht. Seit April fährt sie ihre Mutter Anja Schumm einmal wöchentlich zu der Koppel nach Rottenstein. „Ein bisschen Angst hatte ich am Anfang schon beim Striegeln“ gesteht Lina, „aber jetzt schon lange nicht mehr.“ Guiness genießt sichtlich die Pflege seines Felles. „Die Kinder entwickeln dabei Fürsorge“, begründet Drescher, „sie kümmern sich darum, dass es dem Pferd gut geht.“
Linas Mutter gab mit ihrer Nachfrage den Anstoß dafür, dass Anna Drescher nun neben ihrer Arbeit im Kinderheim auch privat Einzelförderung anbietet. „Sobald Lina auf einem Pferd sitzt, hat sie einen absolut entspannten Gesichtsausdruck“, beschreibt Anja Schumm die Wirkung. „Bei dem heutigen Stress der Kinder, ist es total wertvoll, etwas zu haben, bei dem sie sich so richtig entspannen können.“
Auch bei Kindern ohne Beeinträchtigungen entfalte HBP durchaus positive Wirkungen. Es spreche den Menschen ganzheitlich mit allen Sinnen an, sagt Drescher. „Die Wahrnehmung wird auf vielfältige Weise geschult, die Kinder werden selbstbewusster und mutiger. Es werden im motorischen, sozialen und emotionalen Bereich Veränderungen bewirkt.“