Die Pflegeeinrichtung in Gleusdorf (Lkr. Haßberge) beschäftigt inzwischen auch den Landtag in München. Das zeigt eine schriftliche Anfrage der Grünen-Fraktion an die Staatsregierung, die nun weitere Hintergründe in diesem Fall offengelegt hat.
In seiner Antwort vom 4. Oktober, die dieser Redaktion vorliegt, geht Gesundheitsminister Klaus Holetschek (CSU) auch auf die Ursache für die aktuelle Situation in dem inzwischen leerstehenden Heim ein. So habe sich die Rückkehr der ehemaligen Geschäftsführerin im August dieses Jahres "innerhalb kürzester Zeit auf die Zuverlässigkeit des Trägers" ausgewirkt. Die "zwingend nötige" Verlegung aller 42 Bewohnerinnen und Bewohner der Einrichtung sei die Folge gewesen.
"Positive Entwicklung" nach Übernahme durch einen neuen Betreiber
Die Geschäftsführerin, die erneut alle Anfragen dieser Redaktion unbeantwortet lässt, hatte das Haus schon von 2002 bis 2019 geleitet. In dieser Zeit war sie unter anderem wegen Totschlags durch Unterlassung vor dem Landgericht Bamberg gestanden, im März 2020 jedoch von allen Vorwürfen freigesprochen worden. Im Dezember 2018 hatte die Aufsichtsbehörde im Landratsamt - die Fachstelle für Pflege- und Behinderteneinrichtungen, Qualitätsentwicklung und Aufsicht (FQA) - versucht, eine Betriebsuntersagung gegen die Einrichtung zu erwirken, war damit aber vor dem Verwaltungsgerichtshof in München gescheitert.
Die Verwaltungsrichter sprachen sich im Januar 2019 jedoch nachdrücklich für einen Wechsel an der Spitze des Hauses aus. Ende 2019 ging die in der Kritik stehende Geschäftsführerin, ein neuer Betreiber übernahm. Ab diesem Zeitpunkt, so heißt es in der Antwort des Gesundheitsministeriums auf die Anfrage der Grünen, "war eine positive Qualitätsentwicklung erkennbar und die Einrichtung machte sowohl fachlich als auch personell erkennbare Fortschritte". Anfang August 2021 stieg dieser Träger jedoch überraschend wieder aus – und die ehemalige Geschäftsführerin kehrte zurück. In der Folge fiel in Kürze beinah die gesamte Belegschaft aus. Krankheitsbedingt, wie es bis heute heißt.
Eigene Mitarbeiter meldeten Missstände an die Aufsichtsbehörde
Recherchen dieser Redaktion legen nahe, dass mit der unvermittelten Rückkehr der Geschäftsführerin die Vergangenheit das Haus eingeholt haben könnte. Auch Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Einrichtung hatten schon 2018 Meldungen über massive Missstände in der Pflege gemacht - und damit für einen Aufschrei in der Öffentlichkeit gesorgt. Das bestätigt die Antwort des Ministeriums. Mindestens 15 Beschwerden von Betreuern und Pflegepersonal waren demnach allein im Jahr 2018 bei der zuständigen Aufsichtsbehörde im Landratsamt Haßberge eingegangen.
Inzwischen scheint die Einrichtung in Gleusdorf endgültig vor dem Ende zu stehen. Wegen des anhaltenden Personalnotstandes sprach sich die Arbeitsgemeinschaft der Pflegekassen, kurz ARGE, jetzt für die Kündigung des Versorgungsvertrags aus. Dem Träger sei dies schriftlich mitgeteilt worden. Am Donnerstag hieß es von Seiten der ARGE: "Nach erfolgter Rückmeldung des Einrichtungsträgers zeichnet sich nun die von der ARGE angestrebte einvernehmliche Auflösung des Versorgungsvertrags ab." Faktisch würde dies das wirtschaftliche Ende des Hauses bedeuten.
Grüne im Landtag fordern politische Aufarbeitung im Fall Gleusdorf
Die Causa Gleusdorf könnte so schon bald bei den Akten liegen. Doch in München werden Töne laut, die eine politische Aufarbeitung dieses Falles fordern. Kerstin Celina, sozialpolitische Sprecherin der Grünen-Fraktion im Landtag, sieht vor allem die Staatsregierung in der Pflicht. Diese sei "oberste Aufsichtsbehörde" und dürfe sich nicht "weiter vor ihrer Verantwortung drücken", so die unterfränkische Landtagsabgeordnete in einem Schreiben an diese Redaktion.
Hätte der Fall Gleusdorf verhindert werden können? Im Gesundheitsministerium stößt die Kritik der Grünen-Politikerin auf Unverständnis. Sie sei "sachlich nicht nachvollziehbar", heißt es auf Nachfrage aus München. Eigene Versäumnisse sieht das Staatsministerium nicht. Die Verantwortung liege beim Betreiber des Pflegeheims. Aber offenbar nicht nur: "Zugleich war es die Aufgabe der zuständigen FQA des Landratsamtes Haßberge, die Einrichtung engmaschig zu überprüfen und alle erforderlichen Maßnahmen zu ergreifen", teilt eine Sprecherin des Ministeriums mit.
Überarbeitung der Gesetzeslage verzögert sich - wegen Corona
Damit Fälle wie in Gleusdorf künftig konsequenter verhindert werden, fordert Celina das Staatsministerium zu einer raschen Überarbeitung des sogenannten Pflege- und Wohnqualitätsgesetzes (PfleWoqG) auf - auch um den Aufsichtsbehörden in den Landratsämtern künftig ein härteres Durchgreifen bei wiederholter Feststellung eines Mangels in Pflegeheimen zu ermöglichen. Aufgrund der Corona-Pandemie habe sich die Überarbeitung bislang "verzögert", heißt es im Gesundheitsministerium. Ein Entwurf sei aber noch "in der aktuellen Legislaturperiode" geplant, die 2023 endet.
Für Kerstin Celina reicht das allein nicht aus: Für anonyme Hinweisgeber zu Missständen in der Pflege brauche es künftig eine neue Anlaufstelle - außerhalb der Aufsichtsbehörden in den Landratsämtern. Diese, so die Grünen-Abgeordnete, seien teilweise "zu nah dran an den Pflegeeinrichtungen". Benachteiligungen für Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter seien dadurch nicht ausgeschlossen. "Aber es braucht diese Kultur des Hinsehens", sagt Celina.
Anlaufstelle für Hinweisgeber: Staatsministerium sieht keinen Handlungsbedarf
Auch im Fall Gleusdorf hatten sich Mitarbeiter im Jahr 2018 über die Pflege-Situation beschwert. Ob zwischen dem kurzfristigen Ausfall breiter Teile der Belegschaft in diesem August und den damaligen Meldungen gegen die Leitung der Einrichtung ein Zusammenhang besteht - und wenn ja, welcher -, bleibt offen. Die Antwort auf eine entsprechende Anfrage bei der neuen und gleichzeitig alten Geschäftsführung steht aus. Celina hält eine Verbindung zumindest nicht für ausgeschlossen.
Das Gesundheitsministerium sieht indes bislang keine Notwendigkeit, an dem bestehenden System etwas zu ändern. Hinweisgebern sicherten die zuständigen Fachstellen in den Landratsämtern auf Wunsch Vertraulichkeit zu, heißt es aus München. Zudem gebe es bereits andere übergeordnete Beschwerdestellen. Grundsätzlich, so eine Ministeriumssprecherin, "nehmen wir Hinweise auf mögliche Missstände in Einrichtungen der Pflege sehr ernst".
Wenn nach der Rückkehr der Geschäftsführerin (die ja offenbar nur haarscharf am Knast vorbeigekommen ist) fast die gesamte Belegschaft geschlossen in den Streik geht, mutmaße ich, dass es auch die Person der Geschäftsführerin ist, mit der eine Zusammenarbeit unzumutbar ist.
Ich nehme an, viele Arbeitnehmer kennen solche Chefs...
Auch in der Pflege hat sich längst ein strukturelles und um sich selbst kreisendes Geklüngel etabliert, ein wirkliches Korrektiv und Beschwerdemanagement für Pflegekräfte gibt es faktisch nicht - entsprechende Meldungen werden bagatellisiert und vertuscht, Beschwerdeführer werden diffamiert und mundtot zu machen versucht.
Wenn das Gesundheitsministerium hier die Notwendigkeit leugnet, lässt das tief blicken.