Am 10. November 1938 zeigten die in der Nacht zuvor ergangenen Befehle des Reichsministeriums für Volksaufklärung und Propaganda auch im unterfränkischen Memmelsdorf Wirkung: Die SA (Sturmabteilung) erzwang die Räumung der dortigen Synagoge, alle beweglichen Gegenstände mussten heraus geschafft und verbrannt werden. Das Gebäude selbst wurde nicht in Brand gesetzt, um die angrenzende Bebauung nicht zu gefährden.
Fast auf den Tag genau 85 Jahre später fand am vergangenen Sonntag auf Einladung des Träger- und Fördervereins Synagoge Memmelsdorf e.V. eine Gedenkveranstaltung zur Reichspogromnacht statt. Rund 100 Vertreterinnen und Vertreter aus Politik und Gesellschaft, vor allem aus dem Landkreis Haßberge, nahmen daran teil.
Zur thematischen Einstimmung las der zweite Vorsitzende des Vereins, Herbert Becker, Verse aus Psalm 74, in dem die Eroberung Jerusalems durch Nebukadnezar vor 2600 Jahren und die Vertreibung des Volkes Juda ins Exil beklagt wird. Das Zentrum des jüdischen Glaubens und der jüdischen Identität ging verloren, der einst prächtige Tempel lag in Trümmern, wurde geplündert und ausgeraubt – vergleichbar mit den Ereignissen des 9. November 1938.
Landrat Wilhelm Schneider (CSU) war es wichtig, "ganz bewusst an diesen traurigen Jahrestag zu erinnern und ein deutliches Zeichen zu setzen, damit sich solche Gräueltaten nie wiederholen". Es reiche nicht aus, die Vergangenheit wieder aufleben zu lassen, sondern man müsse sich darüber im Klaren sein, wie man heute "mit den Nachbarn, den sozial Schwachen, den Flüchtlingen in unserem Land, den Andersgläubigen, den anders Aussehenden" umgehen solle.
Angesichts der aktuellen Entwicklungen in Israel und der Zunahme antisemitischer Beschimpfungen und Anfeindungen stelle sich die Frage, ob die Menschen aus der Geschichte gelernt hätten. Durch die engen Kontakte zur Partnerstadt Kiryat Motzkin erlebe man in den Haßbergen den Krieg in Israel hautnah mit, durch Videogespräche erhalte man Informationen über Tod und Leid aus erster Hand.
Umso mehr gelte der klare Appell des Landrats: Der Landkreis Haßberge sei tolerant, weltoffen, aber wenn nötig wehrhaft gegen alle, die Hass und Intoleranz säen wollen. Möge der Ruf "Nie wieder" laut nach außen dringen und Wirkung entfalten.
Bezirksheimatpfleger Prof. Dr. Klaus Reder aus Würzburg ging in seinem Festvortrag der Frage nach, wie in Unter- und Oberfranken mit dem Gedenken und Erinnern umgegangen werden soll, wenn keine Zeitzeugen mehr zur Verfügung stehen. "Es macht etwas mit einem, wenn man einem Zeitzeugen zuhört, der alles selbst erlebt hat." Gibt es dafür einen Ersatz?
Das Bewusstsein für frühere Zeiten schwinde
Erinnert werden müsse nicht nur an die über 1500 Jahre jüdischen Lebens in Unterfranken, sondern auch an Sinti, Roma, Zwangsarbeiter und ähnliche Gruppierungen. Gerade bei jungen Menschen schwinde das Bewusstsein für frühere Zeiten, für die heute 20-Jährigen liegt die deutsche Wiedervereinigung schon sehr weit in der Vergangenheit, so Reder.
Umso wichtiger sei es, eine zukunftsfähige und nachhaltige Erinnerungskultur zu entwickeln, zum Beispiel in Form von Gedenkstätten wie dem Projekt "GedenkOrt" in Würzburg, wie den "Stolpersteinen" vielerorts oder auch durch Bildungsinitiativen wie in der Synagoge Memmelsdorf.
Zum Abschluss erhob sich die Festgemeinde und wandte sich dem "Aron" zu, den steinernen Überresten des heiligen Schreins an der Stirnwand der Synagoge. Der zweite Bürgermeister der Gemeinde Untermerzbach, Dieter Reisenweber (CSU), verlas die Namen der Memmelsdorfer Opfer des Pogroms, für jeden Genannten wurde eine Gedenkkerze entzündet.
Die erste Vorsitzende des Fördervereins, Iris Wild, sprach das Totengebet "El Male Rachamim" und Ina Karg das "Kaddisch", ein Gebet zum Lob Gottes, dessen Bitten die Anwesenden immer wieder mit einem lauten "Amen" bekräftigten.