"Es ist wichtig, in der heutigen Zeit ein Zeichen der Solidarität zu setzen", sind sich Kreisheimatpflegerin Christiane Tangermann aus Ebern und ihr Haßfurter Kollege Wolfgang Jäger einig. Ihre Haltung der Verbundenheit bekundeten an die 100 Gäste, darunter Vertreter aus Politik, Kirche, Schule und Gesellschaft und nahmen am Samstag früh an der zweiten Verlegung von Stolpersteinen in der Haßfurter Innenstadt teil.
Vor dem Haus Anstaltsgäßchen 2 erinnern zwei Steine an die Geschwister Babette und Löb Lonnerstädter und vor dem Haus in der Zwerchmaingasse 11 an die Geschwister Babette und Julius Goldmann. Aktuell sind in Haßfurt neun Stolpersteine verlegt. Im nächsten Jahr sollen noch weitere dazu kommen. Die Veranstaltung, die Klaus Neubert und Alexander Stöhr musikalisch umrahmten, initiierte der Verein "Stolpersteine Haßberge" in Kooperation mit dem P-Seminar am Regiomontanus-Gymnasium (RMG) Haßfurt.
Der Verein fördert und unterstützt das Gedenkprojekt "Stolpersteine" zur Erinnerung an die von den Nationalsozialisten verfolgten jüdischen Bürgerinnen und Bürger in Haßfurt und Umgebung. "85 Jahre und zwei Tage ist es jetzt her, dass der Pogrom stattfand", sagte Vereinsvorsitzender Alex Klubertanz. Und 81 Jahre ist es her, dass die Geschwisterpaare Lonnerstädter und Goldmann ermordet wurden.
Polizei war bei Veranstaltung in Haßfurt präsent
Laut Vorsitzendem geschehe das Gedenken in einer Zeit, in der in Deutschland jüdisches Leben aktuell durch die Lage in Israel und Gaza bedroht sei. In einer Zeit, in der immer mehr Polizei – die auch in Haßfurt bei der Veranstaltung präsent war – aufgeboten werden müsse, um Synagogen und jüdische Kindergärten zu schützen. Deshalb sollte die Gedenkfeier auch ein Beitrag sein, um die Demokratie mit Leben zu füllen. Laut Klubertanz könne die Initiative Stolpersteine in den Haßbergen einen lebendigen gesellschaftlichen Konsens schaffen.
Stolpersteine sind ein Projekt des Künstlers Gunter Demnig. Den ersten Prototyp verlegte der aus Berlin gebürtige Bildhauer am 16. Dezember 1992. Mit im Boden verlegten kleinen Gedenktafeln, den sogenannten Stolpersteinen, will er an das Schicksal der Menschen erinnern, die in der Zeit des Nationalsozialismus verfolgt, ermordet, deportiert und vertrieben wurden. Eine Gruppe von Künstlern erarbeitet die Steine, die als quadratische Tafeln mit abgerundeten Ecken und Kanten in Beton gegossen und mit einem Messingoberteil versehen sind. Mittels Hammer werden darauf die Namen mit Hand eingeschlagen.
Die Stolpersteine werden meist vor den letzten frei gewählten Wohnhäusern der NS-Opfer niveaugleich in das Pflaster des jeweiligen Gehwegs auf öffentlichem Boden eingelassen. Demnig hat bis jetzt symbolisch 105.000 Stolpersteine verlegt. Dabei lässt er sich von dem Grundgedanken leiten: "Die Namen dahin bringen, wo die Menschen eine Heimat hatten".
Erinnerung an jüdische Bewohnerinnen und Bewohner Haßfurts
Haßfurts zweiter Bürgermeister Norbert Geier (WG) betonte, wie wichtig es sei, ein Zeichen zu setzen, innezuhalten und auf die Steine zu gucken, die an die jüdischen Bewohnerinnen und Bewohner Haßfurts erinnern. Denn es gab Zeiten, da war jüdisches Leben in Haßfurt ganz normal. Daran erinnerte Kim Davey, Stadträtin (Grüne) und zweite Vereinsvorsitzende. Sie erzählte von Unterdrückung, Verfolgung und Ermordung unschuldiger Menschen. Das Entzünden einer Kerze verglich Davey mit einem kleinen Fünkchen Hoffnung, gehegt von den Bewohnerinnen und Bewohnern, dass es bei der Umsiedlung irgendwo in den Osten vielleicht nicht ganz so schlimm sei wie hier. Das Fünkchen Hoffnung gaukelte jedoch ein Trugbild vor, denn die Reise für die Geschwister Lonnerstädter und Goldmann endete im Konzentrationslager.
Was über das Leben beider Geschwisterpaare bekannt ist, erzählten Anabel Diehm und Niklas Heusinger aus der Q12 am RMG. Löb Lonnerstädter wurde 1866 in Haßfurt geboren und betrieb in der Hauptstraße einen Gemischtwarenladen mit Leihbücherei. Seine elf Jahre jüngere Schwester Babette führte ihm den Haushalt und half im Geschäft. Im Juni 1941 werden beide ins Ghetto nach Westheim verbracht, da in Haßfurt in der Brückenstraße 3 kein Platz mehr war. Im April 1942 wurden beide nach Würzburg geschafft. Babette wurde am 25. April ins Durchgangslager Krasniczyn deportiert und in einem der umliegenden Vernichtungslager ermordet. Löb kam am 23. September ins Konzentrationslager Theresienstadt, wo er einen Monat später ermordet wurde.
Julius Goldmann wurde 1882 in Zeil geboren. Er studierte an der tierärztlichen Hochschule in München und praktizierte als Tierarzt in Haßfurt. Nach 1933 wurde die Existenz von Julius und seiner sechs Jahre jüngeren Schwester Babette vernichtet, es folgten Schutzhaft, Entzug der Approbation und die Beschlagnahmung von Eigentum. Am 25. April 1942 wurden beide von Würzburg aus ins Durchgangsghetto Krasniczyn deportiert und in einem umliegenden Vernichtungslager ermordet. Nur zwei Monate vorher war die von den Geschwistern jahrelang betreute Mutter Lina Goldmann gestorben.