Meine Enkelkinder haben solche Angst, sie schlafen nachts im Schutzraum unseres Hauses." Lea Ganor ringt am Telefon um Worte. Die 63-Jährige lebt im Norden von Israel, einem traumatisierten Land, das sich seit dem 7. Oktober im Krieg mit der palästinensischen Hamas befindet. Wieder einmal. Und trotzdem scheint diesmal vieles anders angesichts der Gräueltaten, welche die Terrorristen im Süden rund um den Gazastreifen verübt haben. Sie, sagt Ganor, könne seither nicht schlafen, kaum essen. "Seit dem Holocaust haben wir Juden keine solche Katastrophe erlebt."
Dr. Lea Ganor kennt die Geschichte ihres Volkes. Die Historikerin ist Leiterin des Holocaust-Gedenkzentrums in Kiryat Motzkin, der israelischen Partnerstadt des Landkreis Haßberge. Der Küstenort mit seinen knapp 43.000 Einwohnerinnen und Einwohnern liegt nicht einmal 30 Kilometer entfernt von der Grenze zum Libanon. Von dort aus feuert die islamistische Hisbollah-Miliz inzwischen vermehrt Raketen auf Israel. Erste Orte im Grenzgebiet mussten bereits evakuiert werden.
Dem israelischen Staat droht ein Krieg an zwei Fronten, einer im Süden, einer im Norden. "Die Hisbollah hat deutlich mehr Waffen als die Hamas", sorgt sich Ganor um die Gefahr aus dem Libanon.
Lea Ganors Verbindungen nach Deutschland sind aufgrund der vielen Austauschprogramme zahlreich, besonders in den Landkreis Haßberge. Dort ist man, wie fast überall auf der Welt, erschüttert angesichts der Ereignisse in Israel. Seit 1992 pflegt der Landkreis die Partnerschaft mit Kyriat Motzkin. Inzwischen ist aus Partnerschaft auch Freundschaft geworden. Susanne Makowski ist Beauftragte für diesen historisch betrachtet besonderen interkulturellen Austausch. "Am 7. Oktober habe ich eine Nachricht aus Israel bekommen. Darin stand, dass Krieg ist", sagt sie. "Ich war entsetzt." Über die Jahre sei durch die zahlreichen Jugendbegegnungen "ein sehr enges Band entstanden", erzählt die 58-Jährige. Um all die gewonnenen Freundinnen und Freunde sorge sie sich nun.
Kein Besuch von Kyriat Motzkin im November
Erst im Juli hatten junge israelische Basketballer des Vereins Maccabi Motzkin den Landkreis besucht. Ein "unvergessliches Erlebnis für alle Beteiligten", hieß es damals in einer Pressemitteilung des Kreisjugendrings. Der Krieg hat den Austausch zwischen Deutschland und Israel nun vorerst stillgelegt. Eine geplante Reise des Bayerischen Jugendrings nach Kyriat Motzkin Anfang November, an der auch Susanne Makowski teilgenommen hätte, muss auf unbestimmte Zeit verschoben werden. Zu unvorhersehbar ist die Lage im Norden des Landes.
Was nicht stillgelegt ist, sind die Kommunikationskanäle zwischen Israel und Deutschland, zwischen Kyriat Motzkin und dem Landkreis Haßberge. Seit dem Ausbruch des Krieges nutzt Lea Ganor, die selber schon in Unterfranken zu Besuch war, ihre Kontakte, um Freundinnen und Freunde im Ausland in den sozialen Netzwerken über die Entwicklungen vor Ort zu informieren. Und um die Perspektive Israels in die Welt zu tragen, nicht ohne Grund: "Überall in Europa wechseln die Menschen die Seiten, niemand spricht mehr darüber, was am 7. Oktober geschehen ist." Nach offiziellen Angaben verloren durch den Terrorangriff der Hamas vor zwei Wochen mindestens 1400 Israelis ihr Leben. Unter ihnen Kinder, Frauen, Alte, Holocaustüberlebende. Mehr als 200 Menschen wurden verschleppt.
Zunahme antisemitischer Vorfälle in Deutschland
Ganors Sorge: Israel, das als Reaktion auf den Terror militärisch in die Offensive geht, werde nun die Schuld an der Eskalation des Konflikts gegeben. Die Hamas spricht inzwischen von 3500 toten Palästinenserinnen und Palästinensern im Gazastreifen, wo eine humanitäre Katastrophe droht. Während Bundeskanzler Scholz sich bekenne, dass die Sicherheit Israels Staatsräson sei, fehle es an deutlichen Zeichen der Solidarität aus der deutschen Zivilgesellschaft, so die Historikerin.
Ganor spricht damit indirekt auch die zahlreichen judenfeindlichen Vor- und Ausfälle an, die sich in den vergangenen Tagen in Deutschland ereignet haben. Ein aktueller Bericht der Recherche- und Informationsstelle Antisemitismus (RIAS) zählt alleine in den ersten neun Tagen seit Kriegsbeginn 202 davon. "Es gilt auch bei uns im Landkreis Antisemitismus und Israelfeindlichkeit entgegenzuwirken. Der Hass darf nicht in unsere Häuser, auf unsere Straßen, in unsere Schulen getragen werden", erklärte auch Landrat Wilhelm Schneider (CSU) jüngst in einer Pressemitteilung.
"Partnerschaften wie in den Landkreis Haßberge sind deshalb wichtiger als je zuvor", sagt Ganor. Nun plane sie eine Videoschalte, um so mit den Menschen aus der Region über die Massaker der Hamas zu sprechen – und um Verständnis für die Position Israels zu werben: "Wir verehren das Leben, die Islamisten den Tod", so die Historikerin.
Mitglieder der Familie als Reservisten an der Front
"Um Israel und seine Menschen noch besser zu verstehen, muss man dort gewesen sein", sagt Susanne Makowski. Die 58-Jährige reiste bereits acht Mal in das Land mit seinen rund 9,4 Millionen Einwohnerinnen und Einwohnern, gelegen am östlichen Mittelmeer. Die Spuren der vergangenen, aber nie gelösten Konflikte waren schon bei ihrem ersten Besuch sichtbar, sagt Makowski. Und gehörten zum Alltag der Menschen. "Wir sind immer bei Gastfamilien untergebracht. In unserem Haus habe ich mich gewundert, wie dick eine der Türen ist." Dann habe sie erfahren, dass es sich um einen Schutzraum für die Familie handle, "im Falle von Angriffen".
Makowski erinnert sich an die große Präsenz der Polizei und des Militärs auf den Straßen des Landes. Nicht versteckt, sondern gut sichtbar. "Mir hat das ein Gefühl der Sicherheit gegeben", sagt die 58-Jährige. "Ich war bei meinem ersten Besuch aber auch hier überrascht, es waren Männer und Frauen, die Uniform und Waffe trugen." In Israel, das umzingelt ist von Feinden, gehört auch das zur Normalität. Doch diese Gefahr schaffe auch ein Gefühl der Einigkeit: "Der gesellschaftliche Zusammenhalt der Israelis ist enorm, wenn es um ihr Land geht", erklärt Makowski.
"Einige Mitglieder meiner Familie sind nun an der Front", sagt Lea Ganor. Als Reservisten hätten sie das Haus noch am Tag des Terrors in Richtung ihrer Stützpunkte verlassen. Der Angriff der Hamas vom 7. Oktober habe in Israel ein nationales Trauma ausgelöst, erzählt sie. Gleichzeitig habe er das Land wieder zusammengeschweißt. Ein Stadtbewohner, Holocaust-Überlebender, wasche und bügle gemeinsam mit seiner Frau die Uniformen der Soldatinnen und Soldaten, damit sie am nächsten Tag wieder getragen werden können.
Friedliches Zusammenleben Seite an Seite
Für die Israelis ist der Dienst an der Waffe Pflicht. "Auch ich habe zwei Jahre gedient", erzählt Ganor. Sie habe in ihrem Leben viele Kriege erlebt. "Einmal schlugen Raketen neben meinem Haus ein." Das war 2006 im Libanonkrieg. Doch diesmal sei es anders. "Der 7. Oktober hat mein Verständnis davon, dass sich so etwas grausames wie der Holocaust nicht wiederholen kann, über den Haufen geworfen."
So wie Lea Ganor dürfte es ganz Israel gehen. Auch deshalb ist die Antwort der wohl größten Militärmacht im Nahen Ostens so verheerend. Eine Antwort aber auf die Frage, welche Zukunft die Millionen staatenlosen Palästinenserinnen und Palästinenser haben, gibt es bislang nicht. "Die Juden sind schon immer vertrieben worden, sie waren nirgendwo erwünscht", sagt Susanne Makowski. "Ich habe Verständnis für die israelische Seite." Die Bilder aus Gaza lassen die 58-Jährige dennoch nicht kalt. "Ich wäre kein Mensch, wenn einen das nicht berührt. Das Schönste wäre, wenn alle friedlich Seite an Seite leben könnten."
War ich doch schon 2 mal in Israel und habe viele dieser denkwürdigen Stätten besucht,
so muß ich mich fragen: gibt es dort keine Ruhe? Die beste Lösung wäre Jerusalem teilen,
dann stünde vielleicht ein dauerhafter Friede in naher Zukunft für beide Kriegsparteien in
Reichweite. "Shalom caverim, shalom caverim,..."