"Auch wir als Landkreis sind gefordert, den Geflüchteten, vor allen den vielen Frauen und Kindern, zu helfen." Das hat Landrat Wilhelm Schneider (CSU) am Montag in der Kreistagssitzung in einer Stellungnahme zu den Auswirkungen des Kriegs in der Ukraine auf die Region herausgestellt. Schneider weiß die Kommunen, die Hilfsorganisationen wie THW und Rotes Kreuz und viele private Initiativen auf seiner Seite, dafür dankte er ausdrücklich. Auch den vielen Bürgerinnen und Bürgern für ihre Sach- und Geldspenden.
"Und wir sind natürlich für jede weitere Unterstützung dankbar", war sich Schneider bewusst, dass der Landkreis erst am Anfang der Bewältigung der Flüchtlingskrise steht. Vor dem Kreistag sprachen dann Christian Mottl, Leiter der Abteilung Kommunal-, Ordnungsrecht und Verbraucherschutz am Landratsamt, und Dieter Sauer, Leiter des Amtes für Soziales und Senioren, darüber, was der Landkreis unternimmt, um die Geflüchteten zu unterstützen. Und was auf alle Beteiligten noch zu kommen können. Dabei kristallisierten sich folgende zentrale Punkte heraus:
Wie viele Geflüchtete befinden sich aktuell im Landkreis Haßberge?
Laut Christian Mottl sollen es etwa 320 Vertriebene sein, die Dunkelziffer sei aber hoch: Denn viele Ukrainerinnen und Ukrainer sind privat in die Haßberge gekommen. Nicht jeder hat sich aber registrieren lassen.
Wie viele Vertriebene könnten es im Landkreis Haßberge insgesamt werden?
Dazu kann das Landratsamt derzeit keine sicheren Aussagen machen. Es hängt von der Dauer des Krieges, der Gesamtzahl der Ukrainerinnen und Ukrainer, die im Ausland Schutz suchen, und der Aufnahmebereitschaft anderer Länder ab. Für den Freistaat Bayern gebe es verschiedene Szenarien, die von 50.000 bis 100.000 hier zu betreuenden Menschen ausgingen, hieß es im Kreistag. Schon jetzt sehe es danach aus, dass es in Richtung 100.000 gehe, sagte Dieter Sauer.
Nach dem Königsteiner Schlüssel, der festlegt, wie Asylbewerberinnen und Asylbewerber auf die einzelnen Bundesländer, Landkreise und kreisfreien Städte aufgeteilt werden, müsste sich der Landkreis Haßberge nach den obigen Szenarien um 330 bis 660 Personen kümmern. Noch findet der Königsteiner Schlüssel in der Ukraine-Krise aber keine offizielle Anwendung.
Wie sieht es derzeit mit den Unterbringungsmöglichkeiten für die Vertriebenen aus?
Insgesamt gut, was auch daran liegt, dass viele Ukrainerinnen und Ukrainer Unterschlupf bei Verwandten und Freunden gefunden haben. Seine zentrale Notunterkunft hat der Landkreis in einer der drei Turnhallen des Schulzentrums am Dürerweg in Haßfurt eingerichtet. Sie ist mit 50 Personen ausgelastet. Die zweite Halle dient als Corona-Quarantäne-Station, sie hat ebenfalls mit rund 50 Betroffenen ihre Kapazitätsgrenze erreicht.
Inzwischen stehen in dezentralen Notunterkünften wie in Stettfeld, Hainert, Sand, Breitbrunn und Ebern über 100 weitere Plätze zur Verfügung oder werden gerade eingerichtet. Alle Kommunen sind aufgefordert, diese Unterbringungsmöglichkeiten zu schaffen. In Ebern wird die Turnhalle der ehemaligen Bundeswehrkaserne mit über 100 Plätzen als Reserve zurückgehalten, sollte ein "Riesenschwung" an Flüchtlingen auf einmal in den Landkreis kommen.
Ziel aller Bemühungen des Landkreises und der Kommunen ist es, die Notleidenden dezentral in regulären Wohnraum einzuquartieren. Sozialamtsleiter Sauer ist hier sehr zuversichtlich: "Wir kommen hier an die stillen Wohnraumreserven heran", sagte er am Montag. Das bedeutet: Wo immer ein Platz frei ist, zeigen sich die Eigentümerinnen und Eigentümer hilfsbereit. Derzeit erarbeiten die Behörden eine Musternutzungsvereinbarung, damit Gastgeber und Gäste rechtlich auf der sicheren Seite sind.
Müssen Frauen und Kinder Angst vor Verschleppung und Zwang in die Prostitution haben?
Dass Krieg die schlimmsten Eigenschaften des Menschen zutage treten lässt, zeigt sich auch in den Randerscheinungen des Ukraine-Konflikts: Geflüchtete geraten in die Hände von Menschenhändlerinnen und Menschenhändlern. Frauen und Kinder aus der Ukraine leben diesbezüglich im Landkreis Haßberge aber wohl sehr sicher. Schon bei den Flüchtlingswellen 2015 bis 2017 "haben wir hier keine negativen Erfahrungen gemacht", erklärte Dieter Sauer. Der Grund: Der ländliche Raum ist hier offenbar viel weniger gefährdet als größere Städte oder Ballungsgebiete mit Ankerzentren, großen Bahnhöfen und dergleichen.
Was sind jetzt die weiteren großen Herausforderungen, vor denen die Haßberge stehen?
Der Landkreis tut sich schwer mit der Registrierung der Geflüchteten, sprich mit ihrer erkennungsdienstlichen Behandlung mit Foto und Fingerabdrücken. Dafür reichen die Kapazitäten kaum aus - sodass die Behörde eventuell die Polizei um Unterstützung bitten will.
Es fehlen Dolmetscherinnen und Dolmetscher, um die Geflüchteten zum Beispiel auch über Corona-Impfungen aufklären oder ihnen die Reglements für die Quarantäne erklären zu können.
Noch haben der Landkreis und die Schulbehörden kein Konzept entwickelt, um Kindern aus der Ukraine einen Unterricht zu ermöglichen. Angedacht sind jahrgangsübergreifende "Willkommensklassen", in denen die Buben und Mädchen erste Deutschkenntnisse erwerben können. Auch suchen der Kreis und seine Kommunen nach den Wegen, den kleinsten und oft traumatisierten Flüchtlingen den Kindergartenbesuch zu ermöglichen - eventuell zusammen mit ihren Müttern.
Wird es im Landkreis eine Ukraine-Konferenz geben?
"Der Krieg in der Ukraine wird wohl noch lange dauern. Und viele Flüchtlinge werden lange bei uns bleiben", stellte Knetzgaus Bürgermeister Stefan Paulus fest. Er schlug deshalb in Anlehnung an die Impfkonferenz des Landkreises Ende Januar eine "Ukraine-Konferenz" vor, die in absehbarer Zeit allen Akteuren die Möglichkeit des Erfahrungsaustauschs und der Abstimmung alle Initiativen und Projekte bieten könnte. Der Kreistag nahm diesen Vorschlag zur Kenntnis, ohne ihn zu befürworten oder abzulehnen.