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Lendershausen
Kurioser Dachbodenfund in Lendershausen: Dachziegel aus dem 18. und 19. Jahrhundert wiederentdeckt
Sechs alte Dachziegel samt Inschriften – sogenannte Feierabendziegel – geben aktuell ein Stück Lendershäuser Ortsgeschichte preis. Eine Spurensuche.
Rainer Elflein (links) hat vor Kurzem mehrere historische Dachziegel vom Dachboden seines Elternhauses in Lendershausen geholt. Rudolf Ludwig schaffte es, Teile der Inschriften zu entziffern.
Foto: Rebecca Vogt | Rainer Elflein (links) hat vor Kurzem mehrere historische Dachziegel vom Dachboden seines Elternhauses in Lendershausen geholt. Rudolf Ludwig schaffte es, Teile der Inschriften zu entziffern.
Rebecca Vogt
 |  aktualisiert: 08.02.2024 17:32 Uhr

Auf Flohmärkten sind sie mit etwas Glück ein ums andere Mal zwischen ausrangierten Kuscheltieren, Büchern, Kleidung und allerlei Krimskrams zu entdecken: Echte Dachbodenschätze, die jahre- oder gar jahrzehntelang ein unscheinbares Dasein geführt haben, ehe eine Entrümplungsaktion oder schlicht die Suche nach Verkaufsstücken für den Flohmarkt sie wieder ans Tageslicht befördert hat. So ähnlich geschehen zuletzt auch in Lendershausen: Auf dem Dachboden seines Elternhauses entdeckte der Lendershäuser Rainer Elflein sechs historische Dachziegel samt Inschriften. Sie erzählen ein Stück Ortsgeschichte.

Entdeckt ist dabei aber eigentlich nicht das richtige Wort, denn ganz vergessen hatte der heute 63-Jährige die Dachziegel nie. "Wo sie genau herkommen, weiß ich nicht", erzählt Elflein. Das Anwesen der Familie, früher eine Gaststätte mit Tanzsaal, habe einiges an Dachfläche. "Ich gehe davon aus, dass die Ziegel größtenteils von uns stammen." Sein Vater habe beim Abdecken wohl aufgepasst und die besonderen Dachziegel mit den Inschriften dann auf dem Dachboden verstaut. "Da waren sie die ganze Zeit", erklärt der Lendershäuser. "Dort waren sie am sichersten gelagert."

Dachziegel auf dem Dorfflohmarkt in Lendershausen ausgestellt

Anlässlich des Lendershäuser Dorfflohmarkts Ende Juli holte der 63-Jährige sie vom Dachboden hervor. Er spielte zunächst auch mit dem Gedanken, die Ziegel auf dem Flohmarkt zu verkaufen, entschied sich aber dann doch dafür, sie zu behalten. "Einige Leute haben gesagt, ich soll sie lieber nicht verkaufen", berichtet Elflein mit einem Schmunzeln. Und so waren die Dachziegel auf dem Dorfflohmarkt zwar zu sehen, aber nicht zu kaufen. Für interessante Gespräche sorgten sie dort allemal, wie der Lendershäuser berichtet.

Das Anwesen der Familie Elflein in Lendershausen war einst eine Gaststätte mit Tanzsaal. Früher waren auf dem Dach des Hauses vermutlich die jetzt wiederentdeckten Dachziegel verlegt.
Foto: Erika Bartuschat | Das Anwesen der Familie Elflein in Lendershausen war einst eine Gaststätte mit Tanzsaal. Früher waren auf dem Dach des Hauses vermutlich die jetzt wiederentdeckten Dachziegel verlegt.

Einiges mehr hat er inzwischen über die Dachziegel erfahren: Es handele sich wohl um sogenannte Feierabendziegel, erklärt Elflein. So seien diese zumindest immer wieder bezeichnet worden. Eine Recherche im Internet zeigt, dass der Name als Sammelbegriff für Dachziegel geläufig ist, die handgefertigt und -gestaltet sind. Die Rede ist hier zum Beispiel ebenso von Glücks- oder Schmuckziegeln. Sie tragen nicht immer nur Inschriften, sondern etwa auch Zeichnungen oder Symbole. Exemplare, die bereits aus dem 15. Jahrhundert stammen, sind bis heute erhalten.

Der Älteste der sechs historischen Dachziegel aus dem Besitz der Familie Elflein stammt aus dem Jahr 1721 und trägt als Inschrift unter anderem den Namen 'Hans Langgut'.
Foto: Rebecca Vogt | Der Älteste der sechs historischen Dachziegel aus dem Besitz der Familie Elflein stammt aus dem Jahr 1721 und trägt als Inschrift unter anderem den Namen "Hans Langgut".

Noch deutlich mehr Licht ins Dunkel bringen konnte indes ein weiterer Lendershäuser. Am Samstagnachmittag vor dem Dorfflohmarkt habe Rainer Elflein ihn angerufen, von den Ziegeln erzählt und gefragt: "Kannst du amal kommen?", erinnert sich Rudolf Ludwig. Der 74-Jährige setzt sich aus privatem Interesse seit einiger Zeit mit der Lendershäuser Ortsgeschichte auseinander und hat dazu unter anderem die im Stadtarchiv in Hofheim gelagerten und in Deutscher Schrift verfassten Gemeindebücher aus Lendershausen für sich übersetzt.

Deutsche Schrift macht die Lendershäuser Dachziegel schwer lesbar

"Viele können die Deutsche Schrift nicht lesen", erklärt Ludwig. Und da die Inschriften auf den Dachziegeln in eben jener Schrift verfasst sind, war er als Übersetzer gefragt. Er habe die Deutsche Schrift ein Jahr in der Schule als Schönschrift gelernt, berichtet der 74-Jährige, und sich dann mit den Gemeindebüchern nach und nach wieder eingelesen. Das Erste, was ihm beim Blick auf die Dachziegel aufgefallen sei, war ein Name. Der Anfangsbuchstabe: "Ein G oder ein H." Han Georg von Hausen ergibt die Ziegelinschrift schließlich. Darunter ein Wort, das Ludwig zunächst nicht entziffern kann.

Ziegler Han Georg von Hausen hat sich im Jahr 1858 auf diesem Dachziegel verewigt. Der Name war Rudolf Ludwig bereits aus den Lendershäuser Gemeindebüchern bekannt.
Foto: Rebecca Vogt | Ziegler Han Georg von Hausen hat sich im Jahr 1858 auf diesem Dachziegel verewigt. Der Name war Rudolf Ludwig bereits aus den Lendershäuser Gemeindebüchern bekannt.

Aber er erinnert sich an den Namen und daran, dass er ihn in den Gemeindebüchern bereits gelesen hat. Tatsächlich fördern diese einiges über den Mann zu Tage, der in den Jahren 1858 und 1859 seinen Namen auf zwei der Dachziegel hinterlassen hat. Geboren wurde Johann Georg von Hausen – so der vollständige Name – demnach am 15. Dezember 1787 in der Kolbenmühle, deren Überreste bis heute bei Lendershausen in Richtung Happertshausen zu finden sind, wie Ludwig und Elflein erzählen.

Die Gemeindebücher geben auch Aufschluss über von Hausens Beruf. Mit diesem Wissen erschließt sich für Rudolf Ludwig plötzlich der Sinn des zunächst nicht entzifferbaren Wortes unter dem Namen auf einem der Dachziegel: "Ziegler". Besonders erfolgreich war der Lendershäuser von Hausen als solcher jedoch offenbar nicht. Er verstehe seine Profession nicht und habe so sein Hauswesen gänzlich zu Grunde gerichtet, heißt es in den Gemeindebüchern zu dessen Person unter anderem.

Drei Mal versuchte der Lendershäuser Ziegler einst neu zu heiraten

So genau festgehalten sind mehrere Einzelheiten aus dem Leben von Hausens, weil dieser – nach dem Tod seiner ersten Ehefrau – gleich mehrfach, insgesamt drei Mal und mit drei unterschiedlichen Frauen, den Versuch unternahm, wieder zu heiraten, wofür es damals noch der Erlaubnis der Gemeinde beziehungsweise des Gemeindeausschusses bedurfte. Zweimal lehnte dieser den Antrag des Zieglers ab, da die Ausschussmitglieder der Ansicht waren, dass von Hausen seine Familie nicht ernähren könne und diese am Ende der Gemeinde zur Last fallen würde.

Eine Ansicht aus dem 'BayernAtlas': Die Ziegelhütte war in Lendershausen ehemals unter der Nummer 94 zu finden, wie Rudolf Ludwig berichtet. Über die Ziegelei ist insgesamt jedoch wenig bekannt.
Foto: Screenshot BayernAtlas | Eine Ansicht aus dem "BayernAtlas": Die Ziegelhütte war in Lendershausen ehemals unter der Nummer 94 zu finden, wie Rudolf Ludwig berichtet. Über die Ziegelei ist insgesamt jedoch wenig bekannt.

"Dass die Heirat abgelehnt wird, habe ich nur bei ihm gefunden", sagt Rudolf Ludwig auf die Frage, ob solche Anträge damals des Öfteren nicht bewilligt wurden. Beim dritten Anlauf allerdings hatte von Hausen Erfolg. Zwar war der Gemeindeausschuss sich uneins, aber das Landgericht entschied schließlich, dass er heiraten darf, wie Ludwig mit Verweis auf die Gemeindebücher erklärt. 1863 starb Johann Georg von Hausen, wenige Jahre also nachdem er seine Inschriften auf den Ziegeln hinterlassen hatte.

Einer der Lendershäuser Dachziegel stammt aus dem Jahr 1721

Der älteste Dachziegel indes, den die Familie Elflein auf ihrem Dachboden gelagert hatte, stammt nicht aus dem 19., sondern aus dem 18. Jahrhundert. 1721 ist als Jahreszahl auf ihm vermerkt. Gleichzeitig ist die Schrift auf diesem Ziegel am filigransten. Ein "Hans Langgut in Lendershausen" hat sich darauf verewigt. Über ihn ist im Gegensatz zur Person von Hausens bislang nichts weiter bekannt. Die Aufzeichnungen aus dieser Zeit seien auf Latein verfasst, bisher habe sie noch niemand übersetzt und er sei kein Lateiner, erklärt Ludwig.

Die Inschriften auf den Dachziegeln sind in Deutscher Schrift verfasst, welche für die meisten heutzutage nicht mehr zu entziffern ist. Dieser Spruch lautet wohl: 'Stets in Träumen muss ich liegen'.
Foto: Rebecca Vogt | Die Inschriften auf den Dachziegeln sind in Deutscher Schrift verfasst, welche für die meisten heutzutage nicht mehr zu entziffern ist. Dieser Spruch lautet wohl: "Stets in Träumen muss ich liegen".

Die übrigen drei Dachziegel schließlich sind nicht mit Namen oder Jahreszahlen, sondern mit Sprüchen beschriftet. "'Stets in Träumen muss ich liegen' dürfte das heißen", sagt Ludwig mit Blick auf eines der Exemplare, das sich grob entziffern lässt. Was nun mit den Dachziegeln passiert? Sie werden erst einmal wieder sicher gelagert, wie Rainer Elflein verrät, und vielleicht beim nächsten Dorfflohmarkt in Lendershausen wieder für alle Interessierten zur Schau gestellt.

 
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