Wenn's gut werden muss und möglichst lange halten soll, dann ist früher wie heute Wertarbeit gefragt. Mitunter überdauert gute Qualität Jahrhunderte. So wie im Fall eines sogenannten Feierabendziegels. Einst gebrannt in Zeilitzheim, kehrte er jetzt – bald 330 Jahre später – an seinen Herstellungsort zurück. Wie es dazu kam und was es mit Feierabendziegeln auf sich hat, ist eine höchst spannende Geschichte.
Seniorchef Lorenz Englert von der gleichnamigen Ziegelei in Zeilitzheim kann sich noch gut erinnern, als im Spätsommer 2016 der Sommeracher Herbert Heinlein mit einem alten Dachziegel in der Hand in der Tür stand.
Bei näherer Betrachtung stellte der Ziegeleibesitzer fest, dass jemand in das gute Stück seinen Namen, sein Geburtsdatum und die Jahreszahl der Herstellung als Botschaft an die Nachwelt eingeritzt hatte.
Konkret lautet die Inschrift: „Johann Reuter in Zeilitzheim geboren am 25. Januar 1672.“ Das Jahr, an dem der Ziegel gebrannt wurde, wird mit 1689 angegeben.
Eine angesehene Familie im Dorf
In Zeilitzheimer Bürgerlisten und Geburtsbriefen taucht tatsächlich 1672 ein Johann Reuter auf, wie der örtliche Historiker und Kreisarchivpfleger Hilmar Spiegel herausgefunden hat. Er muss demnach 17 Jahre alt gewesen sein, als er sich offenbar voller Stolz auf dem nach Sommerach gelangten Dachziegel verewigte.
Aus alten Zeilitzheimer Hausregistern, Urkunden und Akten geht Hilmar Spiegels Nachforschungen zufolge hervor, dass die Reut(h)ers bis ins 20. Jahrhundert hinein lange eine tragende Rolle im Dorf gespielt hatten. So stellte die Familie ab 1650, aufgeteilt in mehrere Linien als Brüder und Vettern, sowohl Bürgermeister, Rechnungsführer und Kassiere als auch Mitglieder des Gemeinderates und einstigen Dorfgerichtes.
Urkundliche Erwähnungen bezeugen, dass in Zeilitzheim bereits seit 1578 Ziegelsteine gebrannt werden. Seit Juni 1948 ist die Ziegelei im Besitz der Familie Englert. Damals heiratete der aus Obervolkach stammende Müller Lorenz Englert senior in den Betrieb ein, der bis dahin von dem aus dem westfälischen Lippe stammenden Wanderziegler Fritz Strate geführt worden war.
Inzwischen betreiben die Englerts das Ziegelwerk unter dem Slogan „Frankens guter Ton“ in der dritten Generation. Das moderne, mittelständische Unternehmen ist heute auf die Herstellung von Mauerziegeln und Fertigwandelementen spezialisiert. Dachziegel werden hier schon seit geraumer Zeit nicht mehr geformt. Dass dies einmal anders war, beweist der Fund Herbert Heinleins beim Renovieren seines Hauses in Sommerach.
Früher war das Handwerk der Ziegler eine harte, körperliche Arbeit mit bis zu 17 Stunden langen Arbeitstagen. Dabei wurde der hiesige feuchte Lösslehm auch in Zeilitzheim zwischen 800 und 1000 Mal am Tag per Hand in die Formen für die Dachziegel gestrichen.
Häufig nutzten die Arbeiter die Feierabendstunden, um die letzten Formlinge zum Abschluss des Tagwerks mit Motiven, Sprüchen oder Symbolen zu verzieren – so entstand der Begriff Feierabendziegel.
Je nach Zweck der Herstellung und den entsprechend abgebildeten Motiven auf einem Feierabendziegel, erhielten diese weitere volkstümliche Bezeichnungen wie Sonnen-, Glücks- oder Floriansziegel.
Auch entstanden die Feierabendziegel nicht immer aus der Laune der Ziegler heraus. Es gab auch Ziegel, die im Auftrag verziert wurden, oder Anfang- und Endziegel, zum Zählen der Arbeitsleistung eines Tages.
Die mit dem Finger oder Hölzchen, verschiedentlich auch mit Gabel, Spachtel oder Kamm in das weiche Material eingeritzten Motive auf den Feierabendziegeln sind vielfältig. So sind neben Namen und Initialen der Ziegler häufig auch Zeichnungen und Ornamente auf den Ziegeloberflächen zu finden.
Der Brauch der Feierabendziegel lässt sich dabei bis zurück in die Antike verfolgen: Schon die alten Ägypter und die Römer, welche die Kunst des Ziegelbrennens nach Deutschland brachten, versahen ihre Dach- und Mauerziegel mit Symbolen zum Schutz des Hauses vor bösen Geistern oder um sich die Gunst guter Geister zu erwerben. Im Mittelalter lebte der Brauch wieder auf.
Die Tradition des Verzierens von Ziegeln, die Willi Bender in dem Buch „Vom Ziegelgott zum Industrieelektroniker“ einmal als „Graffiti der Ziegler" bezeichnet, ist hierzulande nicht überall verbreitet.
In Franken, Baden-Württemberg, Schwaben und der Schweiz war dieser Brauch aber sehr beliebt. Und auch im fränkischen Zeilitzheim wurden Feierabendziegel hergestellt, wie jenes aus Sommerach zurückgekehrte und einst von Johann Reuter 1689 gefertigte Exemplar belegt.
Der Ziegel kommt ins Rathausmuseum
Der von der Familie Englert dem örtlichen Historischen Arbeitskreis überlassene Feierabendziegel wird künftig in der Ausstellung im Rathausmuseum am Marktplatz zu bewundern sein, um als weiteres markantes Beispiel an die lange, bis ins 16. Jahrhundert zurückreichende Ziegeleigeschichte Zeilitzheims zu erinnern.