
Das Motorrad hat Norbert Klement vor der Ritterkapelle in Haßfurt geparkt, dem katholischen Wahrzeichen der Stadt. Er selbst steht mit grimmigem Blick neben dem Gefährt. Der Kopf ist kahlgeschoren, im Gesicht wächst ein grau-schwarzer Mehrtagesbart. Über der Kluft trägt Klement die Kutte seines Motorradclubs. Er scheint ein Biker, wie er im Buche steht. Zumindest auf den ersten Blick.
Doch Klement ist kein Gesetzloser, kein Engel aus der Hölle. Er ist Mitglied der "Jesus-Biker", einer Bibelbande auf zwei Rädern, die dem Wort Gottes folgt. Die Kutte, das Heiligste eines jeden Bikers, in diesem Fall natürlich nach dem Herrn selbst, trägt den Namen seines Erlösers: "Jesus Christus". Was aber hat es mit dieser mobilen Glaubensgemeinschaft auf sich? Was bewegt Menschen wie Norbert Klement, sich ihr anzuschließen? Und wie ordnet die Beratungsstelle für Sekten- und Weltanschauungsfragen diese Gruppierung ein?
Vereinigung will keine neue Kirche sein
Die Schöpfungsgeschichte der "Jesus-Biker" besagt, dass die Geburtsstunde des Clubs ausgerechnet mit der Feier um die vermeintliche Auferstehung ihres Messias zusammenfiel. Am Ostersonntag vor genau zehn Jahren soll Gründer Thomas Draxler, der in Schaafheim im hessisch-bayerischen Grenzgebiet lebt, die Kutte mit all ihren Aufnähern entworfen haben. Natürlich nicht ohne dabei reichlich gebetet zu haben.
Seither sind die Jesus-Biker mit ihren Motorrädern "unterwegs im Auftrag des Herrn", wie es auf der Homepage des Clubs heißt. Und es werden mehr. Inzwischen zählt die Vereinigung, die "keine neue Kirche" sein will, sondern vor allem eine ökumenische Gemeinschaft für Christen, rund 90 Mitglieder. Norbert Klement ist einer von ihnen.
Den Glauben in der Jugend infrage gestellt
Der 50-Jährige ist das einzige Mitglied der "Jesus-Biker" im Landkreis Haßberge. Doch Klement, der im Haßfurter Stadtteil Sylbach auf die Welt kam und inzwischen in Wonfurt lebt, war nicht immer so spirituell wie heute. "Ich bin katholisch aufgewachsen, aber in der Jugend habe ich all das infrage gestellt und den Glauben verloren", erzählt er. Auch während des Studiums ändert sich das nicht. "Ich dachte, dass alles irgendwie erklärbar ist, aber irgendwann kam der Punkt, an dem es das nicht mehr war."

Heute ist Klement Sozialarbeiter in Haßfurt. Er hilft jungen Menschen, die kurz vor einer kriminellen Karriere stehen, nicht auf die falsche Bahn zu geraten. Und weil der 50-Jährige bei Wind und Wetter mit dem Motorrad unterwegs ist, trägt er seine Kutte auch auf dem Weg zur Arbeit. Das bringt Vorteile. "Viele Jugendlichen verbinden diese Kluft mit den einschlägigen Motorradclubs, das sorgt für Respekt", sagt Klement lachend. Gemeint sind Gruppen wie die "Bandidos", die "Hells Angels" oder "Gremium". Sie bekriegen sich mitunter gegenseitig.
Die Jesus-Biker hingegen werden geduldet. Auch, weil sie – anders als die Großen – keine Gebietsansprüche erheben. Zumindest keine irdischen. Mit den anderen Clubs habe er habe noch keine schlechten Erfahrungen gemacht, betont Norbert Klement. Man grüße und respektiere sich. Konflikten gehe er aber grundsätzlich aus dem Weg. "Ich habe ein gutes Gespür und Auge für Situationen, in denen es brenzlich werden könnte", sagt der 50-Jährige. Dabei könnte er durchaus austeilen, das zeigt ein Blick in seine Vergangenheit.
Norbert Klements Karriere im Kampfsport beginnt bereits in jungen Jahren: Als Kickboxer trainiert er hart, um mit seinen Gegnern in den Ring zu steigen. Irgendwann aber kommen ihm Zweifel: "Man geht auf eine Meisterschaft, dort verprügelt man dann jemanden – da hab ich mir gesagt: Das kann doch nicht alles sein!" Klement wird vom Kampfsportler zum Kampfkünstler, wechselt vom Kickboxen zum Kung-Fu, bis heute. "Beim Kung-Fu geht es nicht vorrangig darum, sich mit anderen zu messen. Es geht um Tugenden, um Beharrlichkeit und Selbstbeherrschungen. Darum, den eigenen Weg zu finden", sagt er.
Aufnahme in den Club während der Pandemie
Es sind diese Eigenschaften, die Norbert Klement vor drei Jahren schließlich zu den Jesus-Jüngern führen. Während der Corona-Pandemie stößt er im Internet auf einen Bericht über den Gründer Thomas Draxler. Es kommt zu einem Treffen, nach dem Klement Teil der Gemeinschaft wird. Heute trägt er die vier Kardinaltugenden auf seiner Kutte: Klugheit, Gerechtigkeit, Tapferkeit und Mäßigung.

"Motorradfahren macht den Kopf frei", sagt Norbert Klement. "Besonders, wenn man viel mit Menschen arbeitet." Ein paar tausend Kilometer ist der 50-Jährige im Jahr unterwegs. Nicht selten zieht die braune Kutte mit ihren weißen Aufnähern dabei die Blicke auf und kritische Fragen nach sich.
"Die meisten Gespräche beginnen mit den Themen Kirchensteuer oder sexueller Missbrauch", sagt Klement. Er könne verstehen, dass Menschen mitunter keinen Zugang mehr zur Kirche als Institution finden, bei all den Verfehlungen der Vergangenheit. Auch er sei nicht ohne Zweifel, sein Glaube nicht gebunden an ein Gotteshaus. Eine neue Kirche wollen die Jesus-Jünger aber nicht sein, "und auch keine Sekte", wie die Gruppierung auf ihrer Homepage betont.
Expertin: evangelikaler Anstrich erkennbar
Das bestätigt auch die Beratungsstelle für Sekten- und Weltanschauungsfragen der evangelischen Kirche in Bayern. Bislang sei die Gemeinschaft nicht als konfliktträchtig aufgefallen, erklärt die Theologin Eva-Maria Kreitschmann. Ein Zeichen dafür, dass es sich nicht um eine fundamentalistische Organisation handle, sieht sie in deren ökumenischer Ausrichtung und der damit verbundenen Offenheit: "Fundamentalistische Gruppen zeichnen sich dadurch aus, dass sie sich stark abkapseln. Sie glauben, dass nur sie der wahren Lehre folgen", so Kreitschmann. In solchen Fällen werde nicht selten die Kirche als Institution für ihre Offenheit kritisiert und die Bibel als irrtumslos gesehen.
Gleichwohl erkennt die Expertin vor allem auf den Kutten der Biker eine starke Jesus-Frömmigkeit ("Weg, Wahrheit, Leben"). "Hier lässt sich durchaus ein evangelikaler Anstrich erkennen", erklärt die Theologin, betont jedoch gleichzeitig: "Evangelikal ist nicht zwingend fundamentalistisch." Ein problematisches Missionsverständnis erkennt Kreitschmann auch nicht.
Harley-Davidson für Papst Franziskus in Rom
Religiöse Fanatiker, das betont auch Norbert Klement, seien weder er noch seine Mitstreiterinnen und Mitstreiter. "Unsere Fahrten sind eine friedliche Art, die frohe Botschaft zu verbreiten", sagt er. Ihm gehe es darum, Spaß zu haben und Gutes zu tun. Auch karitative Aktionen sollen dabei helfen.

Im Jahr 2019 war der Bibelbande in dieser Hinsicht ein besonderer PR-Coup gelungen. Damals machten die Jesus-Biker Papst Franziskus bei einem Besuch in Rom ein besonderes Geschenk: Eine schwarz-weißen Harley-Davidson mit vergoldeten Felgen, die aus Hettstadt bei Würzburg stammte. Der Pontifex signierte das Gefährt. Am Ende wurde es für 56.000 Euro für den guten Zweck versteigert.
"Die Menschen kümmern sich immer mehr um sich selber, weniger um andere", sagt Norbert Klement. Das sei bei den Jesus-Bikern anders. "Wenn jemand Hilfe braucht, dann wird einfach geholfen. Egal, ob etwas für mich dabei herausspringt oder nicht. Diese Selbstverständlichkeit ist das, was mir gefällt."