Einmal zwölf Millionen Euro in Händen halten und anschließend im Internet versilbern? Wow! Etwas dubios? Bestimmt! Etwas außergewöhnlich? Auf jeden Fall! Das gibt es nur in Film und Fernsehen? Eben nicht! Dieses wohl etwas zweifelhafte "Vergnügen" mit Bitcoins in diesem Wert war Michael Spies vergönnt. Der 46-Jährige aus dem Haßfurter Stadtteil Augsfeld ist Rechtspflegerat bei der Justiz in Bamberg. Aber Spies ist kein gewöhnlicher Rechtspfleger. Er ist Geschäftsleiter bei der Spezialeinheit Zentralstelle Cybercrime Bayern (ZCB).
Start mit zwei Staatsanwälten, bald sind es 18
Vor gut fünf Jahren wurde die Zentralstelle Cybercrime bei der Generalstaatsanwaltschaft in Bamberg eingerichtet. Zunächst ermittelten zwei Staatsanwälte. Zwei Jahre später stieß Rechtspfleger Spies dazu, als sich abzeichnete, dass die ZCB eine Größenordnung jenseits der üblichen Abteilungsgröße erreichen würde. "Um dies handhaben zu können", so der Haßfurter, "mussten auch verwaltungstechnische Strukturen geschaffen werden".
Es sei bald klar gewesen, so Oberstaatsanwalt Thomas Goger, stellvertretender Leiter der ZCB, Pressesprecher und von Anfang an dabei, dass die Zentralstelle schnell wachsen würde. Aus den zunächst zwei seien inzwischen 16 Staatsanwälte geworden. "Und Anfang 2021 ist die vorläufige Zielmarke 18 erreicht", sagt Goger. 17 Mitarbeiter im Servicebereich unterstützen die Staatsanwälte.
"Dem Geschäftsleiter kommt eine Schlüsselposition zu", sagt der Oberstaatsanwalt. "Damit alles passt, damit das Personal arbeiten kann." Möbelbestellung, technische Ausstattung der Arbeitsplätze, aber auch Verhandlungen mit dem Architekten gehören zum Aufgabengebiet von Michael Spies, denn die Generalstaatsanwaltschaft Bamberg ist zwischenzeitlich auf das Areal der ehemaligen Lagarde Kaserne umgezogen. Auch führt er Personalauswahl und Personalentwicklung in enger Abstimmung mit dem Behördenleiter.
Die Behörde wurde vor fünf Jahren neu aufgebaut
"Es gab keine Konsolidierungsphase", erläutert Spies, "keine ausgetretenen Pfade, keine Vorgänger." Die Pionierarbeit sei aber auch einer seiner Beweggründe gewesen, sich auf die Stelle zu bewerben. "Wann hat man denn mal die Chance, eine Behörde mit aufzubauen? Eher selten."
Die Zentralstelle der Justiz ist bayernweit zuständig für die Bearbeitung herausgehobener Ermittlungsverfahren im Bereich Cyberkriminalität , und Spies "nebenher", wie er augenzwinkernd sagt, mitverantwortlich für Teile der Strafvollstreckung und der Vermögensabschöpfung. Seit Juli 2017 gelten vereinfachte Regeln für die Vermögensabschöpfung aus Straftaten. Gerichte und Staatsanwaltschaften können seitdem leichter Vermögen unklarer Herkunft einziehen – und zwar auch ohne eine konkrete Straftat nachzuweisen.
Dafür genügt, dass das Gericht von der illegalen Herkunft des Vermögens überzeugt ist. Nach dieser Vorschrift ist es möglich, bereits vor einer rechtskräftigen Verurteilung sichergestellte Vermögenswerte zu verkaufen, wenn deren Verderb oder ein erheblicher Wertverlust droht. Das führt praktisch zu einer Beweislastumkehr: Der Betroffene muss nachweisen, dass er das Vermögen rechtmäßig erworben hat.
Gewaltige Menge virtuelles Geld
Eine solches Verfahren führte im eingangs erwähnten Fall eben dazu, dass Michael Spies Bitcoins im Gegenwert von rund zwölf Millionen Euro abschöpfen konnte. Bitcoin ist digitales Geld und die weltweit führende Kryptowährung, die häufig im Internet zur Abwicklungen von Käufen verwendet wird. In diesem Fall waren die Ermittler der Bamberger Behörde Wirtschaftskriminellen auf die Schliche gekommen. Diese hatten Urheberrechtsverletzungen in großem Stil begangen, so dass Michael Spies diese gewaltige Menge an virtuellem Geld abschöpfen konnte.
Da Bitcoins oft großen Kursschwankungen unterliegen, wurden diese im Wege der Notveräußerung verkauft. Dieses Verfahren, so der Oberstaatsanwalt, wurde zwischenzeitlich an die Generalstaatsanwaltschaft Frankfurt abgegeben. Zu einer Hauptverhandlung sei es noch nicht gekommen. Der Verkaufserlös wird deshalb bis zum Abschluss des Verfahrens verwahrt.
"Ich habe zunächst nicht gewusst, wie man mit einer so großen Menge Geld umgeht", erinnert sich Michael Spies. Er sah sich mit für ihn neuen Fragen konfrontiert: Wie groß dürfen die Pakete sein, die man über die Bitcoin-Marktplätze wieder an den Mann bringt? Beeinflusst man durch die Bewegung solch großer Summen gar den Kurs? Zusammen mit der Landesjustizkasse wurden alle gelöst. In einem personal- und zeitintensiven Verfahren, das sich über zwei Monate erstreckte, wurden die Bitcoins in mehr als 1600 Einzeltransaktionen über eine in Deutschland ansässige Handelsplattform verkauft.
Für Michael Spies gelten zwei Grundsätze: "Nummer eins: Verbrechen darf sich nicht auszahlen. Nummer zwei: Geschädigten soll soweit möglich der Schaden ersetzt werden."
10 349 Verfahren gegen bekannte Täter erfasst
Die Zentralstelle Cybercrime Bayern ist nicht für jedes Vergehen im Internet zuständig, so Oberstaatsanwalt Thomas Goger. "Es muss schon besonders schwierig und komplex sein, sonst wird es von den Staatsanwälten vor Ort abgehandelt." Bei der ZCB wurden in den Jahren 2015 bis 2019 "insgesamt 10 349 Verfahren gegen bekannte Täter erfasst. Hinzu kommen 13 357 Verfahren, die bei der ZCB gegen unbekannte Täter eingegangen sind". Darüber, in wie vielen Fällen es dann zu einer Täterermittlung gekommen ist, werde von der ZCB keine Statistik geführt, so der Oberstaatsanwalt auf Anfrage.
Die Bamberger Spezialeinheit ermittelt in drei großen Bereichen: Erster ist schwerer sexueller Missbrauch und Kinderpornographie. Speziell zur Bekämpfung von Kinderpornographie und sexuellem Missbrauch im Internet nahm am 1. Oktober Bayerns neue Cyber-Spezialeinheit ZKI ihre Arbeit auf. Auch das ZKI ist unter dem Dach der "Zentralstelle Cybercrime Bayern" in Bayern angesiedelt. Das dort in diesem Bereich bereits tätige Team wird von vier auf acht Spezial-Staatsanwälte verdoppelt. Die Spezialeinheit wird angeführt von Oberstaatsanwalt Thomas Goger.
Den zweiten großen Bereich stellen Wirtschaftsstraftaten dar. "Hier geht es manchmal um Summen im dreistelligen Millionenbereich." Nummer drei bilden Drogen-, Falschgeld-, Waffengeschäfte im Darknet.
Oft ermitteln die Staatsanwälte im Darknet
Das Darknet ist die anonyme Seite des Internets, das gerne von Kriminellen für ihre Zwecke missbraucht wird "Man benötigt schon eine spezielle Software und eine bestimmte Browser-Konfiguration", erklärt Michael Spies, sonst verberge sich das Darknet vor den Blicken normaler Internetnutzer. Und während eine Kommunikation im normalen, also "offenen" Internet relativ leicht zurückverfolgbar ist, sorgen entsprechende Anwendungen dafür, dass man im Darknet anonym bleibt. Der Datenverkehr wird verschlüsselt und über mehrere Rechner umgeleitet. Um eine Seite im Darknet zu finden, müsse der Nutzer spezielle Suchmaschinen verwenden, da Google und Co. hier nicht funktionieren.
Sollte das Darknet verboten oder gar vernichtet werden? Mitnichten, betonen die Bamberger Juristen. Aber wie so oft, macht sich die dunkle Seite jede Errungenschaft zunutze, die sie brauchen kann. Die Anonymität des Darknets ist vor allem für zwei Gruppen interessant: Auf der einen Seite stehen Menschen, die den Schutz des Darknets für ihre Kommunikation benötigen, erklärt Thomas Goger. Sie müssen zum Teil um ihr eigenes Leben oder das ihrer Informanten fürchten, wenn sie sich nicht im Schutz des Darknets austauschen könnten. Zu dieser Gruppe gehören politisch Unterdrückte oder Dissidenten, Oppositionelle aus diktaturgeführten Ländern sowie Journalisten und Whistleblower. In die Schlagzeilen kommen durch die Nutzung des Darknets aber eher die Mitglieder der zweiten Gruppe, die dessen Anonymität nutzen, um negativen Konsequenzen zu entgehen: Straftäter.
Beim Zugriff muss es oft sehr schnell gehen
Diesen Nutzern sitzt die Zentralstelle Cybercrime im Nacken. Jede Polizeidienststelle könne die Bamberger informieren, beispielsweise wenn der Verdacht auf Kindesmissbrauch vorliegt, so Oberstaatsanwalt Goger. Dann laufe die Maschinerie der Ermittlungen an. Sollte der Verdacht sich immer mehr verstärken und der Richter schließlich eine Hausdurchsuchung anordnen, werde bisweilen auch ein SEK (Spezialeinsatzkommando der Polizei) eingesetzt. Schließlich komme es häufig darauf an, so Goger, "die Leute am laufenden Computer zu erwischen". Die Täter sollten nicht einmal mehr "den Stecker ziehen können".
Die Zentralstelle Cybercrime verlangt von ihren Mitarbeitern räumliche und zeitliche Flexibilität, eine durchaus etwas unkonventionelle Arbeitsweise – zumindest wenn man ein Klischee für staatliche Stellen zu Grunde legt. "Wenn nötig, kommen auch die Servicekräfte am Wochenende rein", sagt Michael Spies. "Die klassische Amtsstube gibt es bei uns nicht. Aber auch Kinderschänder machen ja nicht Feierabend." Im Ermittlungsbereich der Zentralstelle müsse "man auch mal anders denken", so Spies, "wir machen das nicht immer so wie andere Staatsanwaltschaften". Das Bamberger Team sei "hervorragend", sagt Oberstaatsanwalt Thomas Goger, der als versierter und international bestens vernetzter Strafverfolger gilt.
Eine besondere Aufgabe kommt den vier IT-Forensikern zu, die in Bamberg für die Generalstaatsanwaltschaft ermitteln. Sie sind Informatiker mit detektivischem Gespür. Sie haben einen Bachelor- oder Masterabschluss in Informatik, kennen sich im Internet perfekt aus und wissen auch in juristischen Fragen Bescheid. Ob Wirtschaftskriminelle, Betrüger oder Kinderschänder: Verbrecher hinterlassen irgendwann digitale Spuren. Und IT-Forensiker sind in der Lage, sie zu finden, auszuwerten und den Täter so zu überführen.
"Wenn der Verbrecher irgendwo eine Spur hinterlassen hat", so Oberstaatsanwalt Thomas Goger, "kriegen wir ihn. Wir bekommen zwar nicht alle, aber in den vergangenen sechs Jahren haben wir sehr viele geschnappt."
Dazu gehört der Fall eines Würzburger Logopäden, es war einer der größten und spektakulärsten in der bisherigen Geschichte der Zentralstelle. Der Mann hatte sich in 66 Fällen massiv an Kindern vergangen, darunter vor allem an körperlich und geistig behinderten. Manche von ihnen waren erst zwei Jahre alt. Im August dieses Jahres wurde das Urteil rechtskräftig: Er muss wegen schweren sexuellen Missbrauchs für elf Jahre und vier Monate hinter Gitter. Nur einen Monat später gelang es den Fahndern der ZCB schließlich, die Identität zahlreicher Gleichgesinnter aufzudecken, die mit dem verurteilten Würzburger Kontakt hatten.
Würzburger Täter war Teil eines Kinderporno-Netzwerks
Der Logopäde war Teil eines losen Netzwerkes Gleichgesinnter, die konspirativ Kinderpornos tauschten. 44 Verdächtige seien inzwischen namentlich bekannt, teilte Generalstaatsanwalt Thomas Janovsky, der Leiter der Zentralstelle Cybercrime Bayern, im September in Bamberg mit.
Die Konfrontation mit diesen menschlichen Abgründen, hinterlässt sie nicht Spuren bei den Ermittlern? "Den mit entsprechenden Fällen befassten Staatsanwältinnen und Staatsanwälten wird die Möglichkeit von Coaching und Supervision angeboten", sagt Thomas Goger. "Darüber hinaus bearbeiten sie zu einem kleinen Teil ihrer Arbeitszeit auch 'normale' Fälle von Cybercrime, um nicht ständig mit dem belastenden Material konfrontiert zu sein." Das Team sei hochmotiviert, Täter zu ermitteln und Opfer aus Missbrauchssituationen zu befreien. Diese besondere Motivation führe dazu, dass die Ermittler die "besonderen Belastungen gerne in Kauf nehmen".