Ob sich Thomas Eschenbacher als unkonventionell für einen Geistlichen bezeichnen würde? Da muss der Hammelburger Pfarrer schmunzeln und kurz überlegen: "Es scheint so zu sein", sagt der Katholik, dass er nicht das Bild widergibt, das zumindest gesellschaftlich verbreitet ist.
Eschenbacher will nah am Menschen sein. Auf die Anrede "Herr Pfarrer" legt er keinen großen Wert. Für viele ist er einfach der "Eschi", erzählt der 57-Jährige. Der gebürtige Wipfelder (Landkreis Schweinfurt) bietet in Hammelburg auch gerne Whiskey-Exerzitien für Männer an, leitete jahrelang den Gottesdienst für Karnevalisten in Würzburg und reimte dafür seine Predigten. Eschenbacher ist glühender Anhänger des 1. FC Nürnberg und damit, wenngleich das freilich kein offizieller Titel ist, ein "Club-Pfarrer". Er ist, das sagt der Pfarrer über sich selbst, Fußballfan durch und durch.
Eschenbacher will dazu anregen, seine Meinung auch zu vertreten
Kein Wunder also, dass der Theologe zur umstrittenen Weltmeisterschaft in Katar eine Meinung hat. Und die teilt er mit: "Boycott Qatar 2022" steht auf einem großen Banner, das seit einigen Tagen das Pfarrhaus in Hammelburg ziert. "Die Kirche muss sich zu Themen der Welt und der Not der Menschen noch viel klarer positionieren. Sie muss noch viel näher ans Leben ran", begründet Eschenbacher, warum es aus seiner Sicht unabdingbar ist, als Geistlicher Stellung zu beziehen.
Mit seinem Boykottaufruf will er die Menschen animieren, selbst auch aktiv zu werden. Man müsse weg von der Frage: Was kann ich schon bewegen? "Die Antwort ist: sehr viel, angefangen bei mir selbst", so Eschenbacher. Das gehe weit über eine Fußball-Weltmeisterschaft hinaus.
"Ich als Pfarrer gehöre ja zu einer aussterbenden Rasse, die noch an das Gute im Menschen glaubt. Die noch an Moral glaubt und daran, dass mit Verstand, Vernunft und Glaube etwas bewegt werden kann. Da müssen wir wieder hinkommen, dieses Selbstbewusstsein braucht es wieder." Er sehe die Aufgabe der Kirche auch darin, die Menschen dabei zu unterstützen und auf sie einzuwirken.
Der Fußball mit seinen Auswüchsen, wie diese WM in Katar, sei letztlich nur ein Spiegelbild der Gesellschaft. "Ich kann nicht nachvollziehen, dass man für Geld einfach alles macht. Aber Fußballer sind ja nur so geldgierig wie die Gesellschaft es ist. Also müssen sich alle, die jetzt schreien, natürlich auch selbst einmal fragen: Bin ich geldgierig?"
Die Menschen sollten zuerst sich selbst hinterfragen, sagt der Hammelburger Pfarrer
Die Gesellschaft müsse sich fragen: "Wie bereit sind wir denn wirklich, in unserem hochtechnisierten Land nach unbequemen Alternativen zu suchen? Wir suchen doch alle gemeinsam nach dem einfachsten und dem billigsten Weg." Damit spielt Eschenbacher auf den deutschen Gas-Deal mit Katar an, während zeitgleich die Weltmeisterschaft auch von Seiten der Politik in der Kritik steht.
"Unsere Politiker", sagt er, "sind nicht schlechter oder besser als wir. Sie kommen von uns und werden von uns beeinflusst." Nur gelinge es den Menschen immer seltener, mit dem zufrieden zu sein, was sie haben: "Wir schrauben uns immer weiter hoch und wissen das Einfache im Leben gar nicht mehr zu schätzen", so der Pfarrer. Weniger müsse wieder mehr werden.
Insbesondere dessen nachfolgende Aussage sollten sich die vielen Menschen in den Industrienationen, die aktuell auf sehr hohem Niveau jammern zu Herzen nehmen:
"Nur gelinge es den Menschen immer seltener, mit dem zufrieden zu sein, was sie haben: Wir schrauben uns immer weiter hoch und wissen das Einfache im Leben gar nicht mehr zu schätzen"
Der Geltungsdrang einiger Zeitgenossen nimmt immer bizarrere Zügen an.
Egal in welchem gesellschaftlichem Bereich.
Jeder meint ein "Zeichen“setzen zu müssen und wohlfeile Botschaften rauszuhauen, fühlt sich irgendwie berufen…
Diese inflationäre Kakophonie bewirkt in der Realität nur eine Erhöhung des Desinteresses.