Da ist bestimmt für jeden Geschmack etwas dabei - dieser Satz steht in vielen Programmheften gleich am Anfang. Dort, wo es gilt, Kulturbeflissene in möglichst großer Zahl auf ein Angebot zu locken. So oft ist dieser Satz zu lesen, dass man ihn meist nur noch als eher plumpe Werbung wahrnimmt. Das ist besonders schade, wenn es um Programme geht, die wirklich viele Interessen ansprechen. Der Kissinger Sommer hat so ein Programm. Da ist vielleicht nicht für jeden Geschmack etwas dabei, aber zumindest für jeden der sechs Kolleginnen und Kollegen, die Ihnen hier ihre ganz persönlichen Empfehlungen für das Festival geben.
Das Kobra Ensemble
Mein Traum seit Beginn des Kissinger Sommers: Das Festival möge der Schwellenangst vieler Menschen entschiedener entgegenwirken, um auch jenen die Schönheiten des unendlichen Klanguniversums nahezubringen, die diese fremde Welt - aus welchen Gründen auch immer - irritiert. Das ist nicht nur eine Frage des Eintrittspreises, sondern einer offenen, experimentierfreudigen Atmosphäre, die sich sicher manchmal an rituellen Erwartungen des Stammpublikums reiben darf. Die Late-Night A Cappella mit dem Kobra Ensemble in der KissSalis-Therme am Mittwoch, 19. Juni, ist dafür ein gutes Beispiel. Besonders freue ich mich, dass für das Konzertpublikum von übermorgen mit den Projekten des Kissinger Zukunftslabors neue Schritte in Richtung Offenheit gewagt werden. Ein Ergebnis sehen wir in der „Musikalischen Schnitzeljagd“ am Samstag, 15. Juni, im Tattersall oder in einer Inszenierung nach Rousseaus Oper „Der Dorfwahrsager“ unter Beteiligung Kissinger Schüler am Samstag, 14., und Sonntag, 15. Juli, im Kurtheater. Siggi Seuß
Trio Macchiato
Okay, ich gebe es gleich am Anfang zu: Ich bin nicht der typische KiSo-Besucher. Klar, Klassik kann man mal hören. Aber wenn ein Martin Grubinger die Bühne des Max-Littmann-Saals durcheinanderwirbelt, dann springe ich an. In diesem Jahr sprang mich ein Plakat auf den Litfaßsäulen zum Kissinger Sommer an, besser gesagt: ein Vespa-Roller mit einer Frau und zwei Männern darauf. Trio Macchiato heißt die Truppe. Spontan regte sich irgendetwas in meiner Erinnerung. Waren das nicht die Drei, die damals in Hamburg im Roncalli Cafe Ohren und Blicke auf sich gezogen haben? Die, die mich wie Herbert Pixner magisch angezogen haben. Klar, das war Trio Macchiato. Keine Chance damals vom Cafe Klein zu ihnen ins Roncalli zu kommen. Da gab es nur 40 Stühle. Und die waren alle voll samt Gänge und Nischen. Das soll jetzt am Sonntag, 16. Juni, um 11 Uhr im Schlossgarten Hammelburg anders werden. Dort möchte ich das Trio hören - und sehen. Jana Mishenina (Violine, Mandoline, Gitarre, Gesang, Perkussion), Jakob Neubauer (Akkordeon, Bandoneon, Klavier, Vibrandoneon, Concertina, Glockenspiel, Perkussion, Gesang) und Henry Altmann (Bass, Melodica, Sousaphon, Glockenspiel, Perkussion, Jodel, Gesang) versprechen einen stilistischen Mix rund um das Mittel- bis hin zum Schwarzen Meer. Mit der Vespa würde es zu lange dauern, zu den Ursprüngen ihrer mitreißenden Musik zu kommen. Hammelburg dagegen ist bestens machbar. Michael Nöth
Julia Lezhneva
Mein Tipp ist ein klassischer. Oder vielmehr ein barocker: die barocken Bravourarien mit Artist in Residence Julia Lezhneva am 27. Juni. Dass russische Sängerinnen Alte Musik singen, ist allein schon ungewöhnlich. Aber die junge Russin, die mit elf das Vivaldi-Album von Cecilia Bartoli hörte und fortan die Welt der Musik mit anderen Augen sah (und mit anderen Ohren hörte), hat sich das Repertoire mit Händel, Bach oder Vivaldi (und vielen unbekannteren Meistern) bereits so zueigen gemacht, dass man niemals auf die Idee käme, dass hier eigentlich Welten aufeinander treffen. Und: Sie kann beides. Atemberaubend mühelose Koloraturen und wunderbar weite Bögen in den Kantilenen. Von Julia Lezhneva, 29, wird man in den kommenden Jahren noch viel hören. Hoffentlich. Dass sie mit ihrem Auftritt beim Kissinger Sommer so etwas wie die Nachfolgerin ihres großen Vorbilds ist –schließlich hat die Bartoli hier in früheren Zeiten alljährlich Triumphe gefeiert –, erfüllt sie mit Vorfreude und Dankbarkeit, hat sie im Interview gesagt. Die Vorfreude ist ganz meinerseits. Mathias Wiedemann
Kent Nagano und das Deutsche Symphonieorchester Berlin
Der Höhepunkt des Abends ist für mich nicht Mozart und nicht Schubert, nein, es ist Mendelssohns „Italienische Symphonie“. So ist der Konzert-Abend am 30. Juni im Regentenbau überschrieben. Der Titel dieses viersätzigen Werkes verrät, dass es eine Reise nach Italien war, die Mendelssohn zu dieser Komposition inspiriert hat. 1830 war er dorthin gereist und hatte in Rom und Neapel zu komponieren begonnen. Die Uraufführung am 13. Mai 1833 in London war ein voller Erfolg. Die Deutsche Erstaufführung fand am 1. November 1849 im Gewandhaus Leipzig statt. Mendelssohns „Italienische“ gehört auch heute noch zu den meist gespielten Werken in den Konzert-Sälen dieser Welt. Es ist ein „musikalisches Tagebuch einer unglaublichen Reise“. Gleich zu Beginn ist eine Begeisterung, eine Lebenslust und Freude zu spüren, die den Konzertbesucher mitreißt. Natürlich bleibt die Stimmung nicht durchgängig so beschwingt, auch düstere Momente erlebt der Zuhörer. Aber eines darf man mit Sicherheit: Man darf freudig gespannt sein auf das Deutsche Symphonie-Orchester Berlin unter der Leitung von Kent Nagano. Ursula Lippold
Von Omer Meir Wellber bis Herbert Blomstedt
Worauf ich mich freue? Na, zu allererst auf das Eröffnungskonzert. Wenn die Deutsche Kammerphilharmonie Bremen, der junge Dirigent Omer Meir Wellber und der altersweise Pianist Richard Goode aufeinandertreffen, dann dürfte im Saal die Luft knistern. Und natürlich auf das Schlusskonzert mit den Bremern unter Paavo Järvi mit Mozarts großer c-moll-Messe – nicht zuletzt auch wegen der tollen Stimme von Julia Lezhneva, in diesem Jahr Artist in residence, die mit diesem Konzert Abschied nimmt. Klar, dass man sich auch ihre beiden anderen Konzerte (27. 6., 20 Uhr und 3. 7., 20 Uhr) nicht entgehen lassen sollte Ein Muss ist für mich „Im alten Stil“ (16. 6., 19 Uhr) allein schon deshalb, weil es ganz einfach längst überfällig war, dass auch einmal das Kammerorchester des Symphonieorchesters des Bayerischen Rundfunks im Max-Littmann-Saal gastiert. Ganz oben an stehen bei mir die „Dirigentenlegenden“ (20. 6., 20 Uhr) schon deshalb, weil man nicht weiß, wie oft man das perfekte Team aus Herbert Blomstedt & den Bambergern noch erleben kann. Schließlich wird er im Juli 93! Persönliche Gründe sind es beim „Mozart Quintets Project“ (2. 7., 20 Uhr), weil da drei Werke zu hören sind, die ich auch selbst gespielt habe. Das schafft eine ganz andere Beziehung. Höchst neugierig machen mich das „Orfeo-Projekt“ (6. 7., 15 Uhr) und das Late Night Concert mit dem Vision String Quartet (22. 6., 23 Uhr), denn ich lasse mich gerne überraschen. Und ich freue mich auf den Kantatengottesdienst (30. 6., 9.30 Uhr) in der Erlöserkirche, denn Telemanns „Donner-Ode“ war damals und ist heute noch ein sensationelles Stück Musik zum Thema „Erdbeben von Lissabon“, das 1755 die gesamte westeuropäische Welt erschütterte. Mal was ganz anderes! Thomas Ahnert
Iiro Rantala
Ich gebe zu, das ist jetzt etwas egozentrisch, aber für mich brennt der Kissinger Sommer bereits am ersten Wochenende ein, wenn nicht sogar sein Brillantfeuerwerk ab. Und das, obwohl das Festival am Samstagabend wegen des Rosenballs kurzzeitig in der Nachbarschaft Asyl sucht und eigentlich vorübergehend Brückenauer Sommer heißen könnte. An besagtem Samstagabend, 15. Juni, spielt im Bad Brückenauer Kursaalgebäude das Iiro Rantala Trio. Der Finne Iiro Rantala hat die Erfolgsgeschichte des Jazzpianos in den vergangenen zehn Jahren entscheidend mitgeschrieben. In Brückenau zu hören ist er mit dem Bassisten Dan Berglund und dem Schlagzeuger Anton Eger. Berglund war 15 Jahre lang Mitglied des Esbjörn Svensson Trios, einer einzigartigen und zugleich prägenden Formation, die dem Jazz ganz neue Hörer erschloss. Dass Berglund Teil des Trios ist, lässt hoffen, dass an dem Abend auch Tears for Esbjörn zu hören ist, Rantalas ergreifende Würdigung seines verlorenen Helden Esbjörn Svensson, der 2008 bei einem Tauchunfall gestorben ist. Gerne hätte ich auch das Jazz Breakfast mit Martin Tingvall am Sonntagvormittag empfohlen. Aber das ist leider schon ausverkauft. Möglicherweise wollen Sie jetzt einwenden: Das ist doch alles keine Klassik. Ja, schon, aber es ist klasse. Siegfried Farkas