Das erste Stück ist Errol Garner gewidmet: „Thinking of Misty“. Dabei klingt es im ersten Moment eher wie eine Antithese zu Garners „Misty“. Dort perlende, scheinbar frei mäandernde Arpeggien, hier ein unerbittliches Ostinato der linken Hand, das nur gelegentlich aufgebrochen wird. Womit die Zuhörer schon eine Menge über Iiro Rantalas Humor erfahren haben. Der finnische Jazzpianist gibt mit seinem „Power Tio“ sein Schweinfurt-Debüt beim Nachsommer in Halle 410, und „Thinking of Misty“ ist dafür der ideale Opener.
Rantalas Stücke sind Reflexionen, die immer eine Art „Was wäre, wenn“ zu behandeln scheinen. In Garners Fall also die Frage, was wäre, wenn man all die Perlen einmal neu sortieren und dann durcheinanderwirbeln würde. Und so macht Rantala das Vitale bei Garner und beim Jazz überhaupt spürbar: Schon nach wenigen Takten rebelliert der Rhythmus gegen das Ostinato, putscht sich der Groove sozusagen zu seinem Recht. „Ich weiß, das klang nicht wie Errol Garner“, sagt er hinterher und grinst.
Dazwischen ein Hauch Bach-Toccata, und schon ist ein Rahmen gesteckt, der ungeheuer neugierig auf alles Folgende macht. Für Iiro Rantala beginnt die Jazz-Geschichte im Grunde bei Bach, er erzählt sie in seinem Programm „My History of Jazz“ mit unglaublich leichter Hand und leichtem Herzen. Heiri Känzig am Bass und Martin Valihora am Schlagzeug sind dabei die idealen Partner. Känzig ist der Anker, die natürliche Erdenschwere des Basses hält die Ziselierungen der beiden Filigrantechniker Rantala und Valihora in Bodennähe.
Abheben tun sie trotzdem, alle drei. Vor allem mit den Besen ist Martin Valihora ein immer wieder Staunen machendes Ereignis. Es scheint, als schüttle er all die verzwickten Rhythmen einfach so aus dem Ärmel, und vermutlich ist es auch so. Selbst nach den wuchtigsten Steigerungen wirkt er nicht einen Hauch angestrengt. Diese Mühelosigkeit spiegelt sich bei Rantala wider, auch für ihn sind die vertracktesten polyrhythmischen Muster ein immer neues Spiel, das er mit beglückender Souveränität beherrscht.
Wollte man diese Musik analysieren, bräuchte man sehr, sehr große Schaubilder. Wenn man sie hört, ist sie pure Vitalität, purer Swing, purer Gesang. Denn Rantala ist auch ein begnadeter Sänger an den Tasten. Er beherrscht nicht nur das ultraknackige Non-Legato-Spiel wie in „Freedom“, seinem Beitrag zu Jonathan Franzens gleichnamigem Roman. „Freedom“ ist ein Stück über die Zeit und was sie den Menschen antut. „Little Wing“ von Jimi Hendrix dagegen ist die Negation der Zeit oder vielmehr die Sehnsucht danach. Hier spannt Rantala die ganz weiten Bögen, die dann auch einen kleinen Ausflug ins große Pathos tragen.
Gershwins „Liza“ bringt einen Hauch Broadway in die Halle, „Bob Hardy“ ist ein bewusst irreführend als „the normal Jazz“ betitelter, gar nicht so harter Abstecher in den Hardbop. Und in „Assisi“ packt er Zappa, Bach und Toto zusammen. Das geht freilich nicht ganz ohne Brüche, aber auch das ist eine der vielen faszinierenden Seiten Iiro Rantalas: Mitunter sind die Brüche die stärksten Verbindungen. Dann noch „A Gift“ als Zugabe („um euch wieder zu beruhigen“), und sie sind weg. Auch in der Länge seines Konzerts beweist Rantala sein sicheres Gespür für Proportion.