
Nach dem „Aufbruch in die Moderne“ (2018) und der „romantischen Revolution“ (2017) begibt sich der Kissinger Sommer 2019 nun an die Schwelle zur Wiener Klassik: „1762 – Nach der Natur gemalt“, lautet das Motto für die dritte Ausgabe des Klassikfestivals in der Intendanz von Tilman Schlömp vom 14. Juni bis 14. Juli 2019.
Es geht um einen Blick Richtung Klassik und zwar aus der Perspektive der Zeit davor. 1750 steht als Todesjahr Bachs für das Ende der Barockzeit und damit eine Phase der Umorientierung. Eine Zeit, in der Philosophen wie Jean-Jacques Rousseau (1712-1778) und viele Künstler die Natur (wieder-)entdecken, sie vermehrt bildnerisch und auch musikalisch abbilden. Und in der „das subjektive Gefühl wieder in die Musik gebracht wird“, wie Schlömp sagt. „Die Barockmusik ist mit ihren starren Regeln zuletzt doch sehr formell.“
1762 ist das Jahr der Uraufführung von Glucks „Orfeo ed Euridice“
Es geht also um Komponisten wie Haydn, Carl Philipp Emanuel Bach und natürlich den frühen Mozart. Und es geht um die Geburt der Oper als Schauplatz großer, echter, individueller Emotionen: 1762 ist das Jahr der Uraufführung von Christoph Willibald Glucks „Orfeo ed Euridice“, ein Werk, das heute als erste Oper nach modernem Verständnis gilt. Auch literarisch tut sich einiges: Laurence Sterne schreibt seinen skurrilen Roman „Tristram Shandy“, der heute als Vorläufer der experimentellen Literatur gilt, ein wenig später – 1851 – entsteht Herman Melvilles „Moby Dick“, aus dem Ulrich Tukur am 25. Juni lesen wird.
Apropos Oper: Neben einer modernisierten Version von „Orfeo ed Euridice“ mit eigens komponierten Zwischenmusiken von Damian Scholl (6. Juli) und Jean-Jacques Rousseaus Einakter „Der Dorfwahrsager“ (13. und 14. Juli im Rahmen des Zukunftslabors – ja, der Philosoph war auch ein zu seiner Zeit ziemlich erfolgreicher Komponist) ist mit „Rheingold“ erstmals eine komplette Wagner-Oper konzertant zu hören: Am 23. Juni mit der Nordwestdeutschen Kammerphilharmonie.
Die Zahl der Veranstaltungen wurde von 63 auf 56 reduziert
Nach eher unbefriedigender Auslastung im vergangenen Jahr hat das Festival die Zahl der Veranstaltungen von 63 auf 56 und die Zahl der Tickets auf 30 500 reduziert. Inhaltlich sieht man sich auf dem richtigen Weg: „Nach zwei Jahren der Reformierung sind wir im dritten Jahr an der Stelle angelangt, wo man sagen müsste, wir arbeiten auf dem Niveau weiter“, sagt Schlömp bei der Vorstellung des Programms im sogenannten Eckrisalit des prachtvoll sanierten Luitpoldbads in Bad Kissingen, in dem neben etlichen Behörden auch das Festival seine Büros hat. Und fügt wenig PR-wirksam hinzu: „Die ganz spektakulären Sachen können wir gar nicht anbieten.“
Dafür sei es gelungen, die Vernetzung von Künstlern und Inhalten voranzutreiben und einige ganz auf den Kissinger Sommer zugeschnittene Programme zu entwerfen. Festivalorchester ist weiterhin die Kammerphilharmonie Bremen. „Mit diesem Orchester kann man sehr individuell planen, das geht es nicht immer erst ums Geld.“
Nicht nur im Bereich Klavier hat das Festival große Namen aufzubieten
Tatsächlich hat der Kissinger Sommer 2019 etliche große und ganz große Namen aufzubieten, allein im Klavierbereich. Neben Igor Levit, der mit der „Winterreise“ und Tenor Simon Bode den Schubert-Zyklus fortsetzt (7. Juli) kommt nach einem Jahr Pause Daniil Trifonov wieder (ebenfalls 7. Juli), inzwischen hart umworbener Weltstar. Trifonov wird mit den Bremern das Schumann-Konzert spielen.
Weitere Spitzenkräfte aus dem Bereich Klavier: der „altersweise“ (Schlömp) Radu Lupu, der mit Beethovens viertem Klavierkonzert das Festival eröffnet (14. Juni), Cyprien Katsaris, der mit den Pianistinnen und Pianisten des Klavierolymps spielen und arbeiten wird (16. bis 19. Juni), Richard Goode (17. Juni), Emanuel Ax (30. Juni), Leif Ove Andsnes (5. Juli) und natürlich Grigory Sokolov (10. Juli).
Eine junge russische Sopranistin ist diesmal Artist in Residence
Artist in Residence ist diesmal die russische Sopranistin Julia Lezhneva, Jahrgang 1989, Spezialistin für Barock und Klassik, im Jahr 2010 mit gerade mal 21 Siegerin der „Paris Opera Competition“ und längst mitten in einer internationalen Karriere. Sie wird drei Konzerte geben, „Barocke Bravourarien“ (27. Juni), den Liederabend „Herzensstürme“ mit Werken von Vivaldi, Rossini und Schubert (3. Juli) und das Abschlusskonzert am 14. Juli. „Dafür konnten wir sie überreden, neben Mozarts ,Exultate, jubilate' auch Beethovens Konzertarie ,Ah! perfido' zu singen“, sagt Schlömp.
Zwei im vergangenen Jahr neue Spielstätten wird es auch 2019 geben: Das Ensemble Kobra tritt am 19. Juni in der KissSalis-Therma auf – Frauenstimmen a cappella, da können in der feuchten Luft schon mal keine Instrumente Schaden nehmen. Den Open-Air-Termin im Innenhof des Luitpoldbads bestreitet am 26. Juni der Geiger Daniel Hope mit dem New Century Chamber Orchestra und amerikanischer Musik von Copland, Barber, Bernstein und Gershwin unter dem Titel „Old American Songs“.
Und ein neues Format: Der 22. Juni ist „Ein Tag mit Joseph Haydn“. Das Kammerorchester Spira Mirabilis spielt dessen Sinfonien „Le matin“ („der Morgen“), „Le midi“ („der Mittag“) und „Le soir“ („der Abend“) um 10, 13 beziehungsweise 19 Uhr. Wer will, kann in den Pausen Brunch beziehungsweise Kaffee und Kuchen zu sich nehmen.
Der Vorverkauf für den Kissinger Sommer beginnt am 26. November unter Tel. (09 71) 80 48 444 oder im Netz kissingen-ticket@badkissingen.de – erstmals sind auch reduzierte Eintrittskarten online buchbar. Erstmals auch gibt es an drei Konzerttagen einen Shuttle-Bus zwischen Würzburg und Bad Kissingen, buchbar beim Ticketkauf. www.kissingersommer.de