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Hammelburg
Überleben bei Hunger und Schlafentzug: Wie die Ausbildung zum Einzelkämpfer bei der Bundeswehr in Hammelburg abläuft
Die Ausbildung der Bundeswehr zum Einzelkämpfer in Hammelburg sorgt für Schlagzeilen: Soldaten kollabieren, jüngst gab es einen Vermissten. Wie hart ist es wirklich?
Die Einzelkämpfer-Ausbildung bei der Bundeswehr in Hammelburg (Lkr. Bad Kissingen) steht immer wieder in der Kritik.
Foto: René Ruprecht | Die Einzelkämpfer-Ausbildung bei der Bundeswehr in Hammelburg (Lkr. Bad Kissingen) steht immer wieder in der Kritik.
Wolfgang Dünnebier
 |  aktualisiert: 29.02.2024 15:31 Uhr

Die Ausbildung zum Einzelkämpfer gilt als eines der härtesten Trainings für Infanteristen und Infanteristinnen weltweit. Die Bundeswehr bietet diese Schulung ausschließlich an der Infanterieschule in Hammelburg (Lkr. Bad Kissingen) an.

Jährlich unterziehen sich 600 Soldatinnen und Soldaten in sechs Lehrgängen dem vierwöchigen Härtetest. Frauen stellen sich den Anforderungen jedoch selten. "Das sind nur ein bis zwei Soldatinnen pro Lehrgang", sagt Hörsaalleiter Hauptmann Andreas (32).

Die Ausbildung zum Einzelkämpfer polarisiert in der Öffentlichkeit. Kritiker monieren eine überharte Ausbildung. Erst im Juni 2023 waren in Hammelburg drei Soldaten kollabiert. Jüngst gab es einen VermisstenfallEs gab sogar schon Soldaten, die wegen der Belastung geklagt haben. Andere sehen in solchen Vorfällen Anzeichen einer verweichlichten Gesellschaft.         

Gründlich werten Ausbilder und angehende Einzelkämpfer in Hammelburg ihre Eindrücke aus.
Foto: René Ruprecht | Gründlich werten Ausbilder und angehende Einzelkämpfer in Hammelburg ihre Eindrücke aus.

Wie sieht ein Einzelkämpfer-Training aus? Diese Redaktion begleitete Soldaten einen Nachmittag lang in einem Waldstück auf dem Truppenübungsplatz in Hammelburg. Allerdings wegen der aktuellen Sicherheitslage nur unter Auflagen. Es dürfen keine vollständigen Namen oder Einheiten genannt werden.

Nur Karte und Kompass zur Orientierung für angehende Einzelkämpfer

Hauptmann Andreas (32) umreißt Ziele der Ausbildung: "Der Lehrgang stellt dar, wie sich versprengte Soldaten zu eigenen Kräften durchschlagen können."

Zur Orientierung gibt es dabei nur Karte und Kompass. Angehende Einzelkämpfer lernen in Hammelburg das Überqueren von Gewässern und das Abseilen. Dazu kommen Überlebenstechniken wie Wassergewinnung und Selbstversorgung. Sogar Brotbacken und Schlachten stehen auf dem Lehrplan.

Teilnehmende sollen lernen, wie sie teils sogar bei Hunger und Schlafentzug eine auf sich gestellte Gruppe leiten. "Und dabei hat schon jeder selbst mit sich zu tun", erläutert Hauptmann Andreas die Herausforderung.

Mit Manövermunition trainieren die angehenden Einzelkämpfer bei der Bundeswehr in Hammelburg die Übernahme eines feindlichen Fahrzeugs.
Foto: René Ruprecht | Mit Manövermunition trainieren die angehenden Einzelkämpfer bei der Bundeswehr in Hammelburg die Übernahme eines feindlichen Fahrzeugs.

Beim Besuch des Reporters und des Fotografen auf dem Truppenübungsplatz steht unter diesen Vorzeichen das Training für einen sogenannten Handstreich auf dem Lehrplan. Dabei gilt es, auf dem Marsch durch unbekanntes Gelände ein feindliches Militärfahrzeug samt Besatzung auszuschalten. Ziel ist es, Informationen oder Essen zu erbeuten.

Schüsse hallen durch den Wald in Hammelburg

Zunächst wirkt die Übung auf der Kreuzung zweier Waldwege mit einem parkenden Geländeauto friedlich. Im Unterholz schleicht sich eine Gruppe von etwa zehn Soldaten an.

Auf Kommando fällt der erste Schuss. Unter weiteren Schüssen mit Manövermunition brechen die Soldaten aus den Büschen und überwältigen die Besatzung des vermeintlichen Feindfahrzeuges.   

Das muss alles ganz schnell gehen. Die Soldaten durchsuchen das Auto nach Essbarem. Mehrfach spielen sie das Erbeuten durch und analysieren es mit dem ausbildenden Hauptfeldwebel.

Den Soldaten im Wald in Hammelburg ist die Anstrengung ins Gesicht geschrieben 

Der Ton ist kameradschaftlich, die Soldaten von Stabsgefreiten bis zu Offizieren sind per Du. "Die Gunst bietet im Krieg nur kleine Zeitfenster", sagt der Ausbilder und macht damit den Druck bei solchen Überraschungscoups klar.

Die Anstrengung ist den Männern mit Tarnschminke ins Gesicht geschrieben. Schließlich sind sie fast zwei Tage und eine Nacht mit wenig Schlaf im Freien unterwegs.

Stabsgefreiter Tobias findet die Ausbildung zum Einzelkämpfer bei allen Strapazen 'großartig'. 
Foto: René Ruprecht | Stabsgefreiter Tobias findet die Ausbildung zum Einzelkämpfer bei allen Strapazen "großartig". 

"Großartig", sagt Stabsgefreiter Tobias (27) dennoch über die bislang drei entbehrungsreichen Lehrgangswochen. Warum tut er sich das alles an? "Wegen der Familie, der Kameradschaft und der Bündnisverteidigung", sagt er. "Das schaffen nicht alle", sagt er. Dabei sei es die Anstrengung wert. Ein großes Lob zollt er dem Lehrgangsprogramm und den Ausbildern.              

Angehende Einzelkämpfer der Bundeswehr lassen sich gern auf Grenzerfahrung ein

"Ich bin ziemlich fertig", sagt Oberleutnant Kevin (33). "Und wenn man vorher glaubt, dass es nicht weh tut: das tut es auf jeden Fall." Wichtig ist ihm das Vertrauen in seine Kameraden. Gerne lasse er sich auf die Ausbilder und die Grenzerfahrungen ein. Wird Kevin den Lehrgang vollenden? Daran lässt er keinen Zweifel. Sonst wären ja die ersten zwei Wochen vergebens gewesen.

"Die Soldaten wissen, worauf sie sich einlassen", sagt Hauptmann Andreas. Sie machen das freiwillig und kommen gut vorbereitet. Als Eingangstest gibt es einen Gepäckmarsch über sieben Kilometer mit 20 Kilogramm Gepäck in maximal 52 Minuten. Dazu kommt bekleidetes Schwimmen über 100 Meter in vier Minuten.

Das Einzelkämpfer-Abzeichen ist begehrt

Wer es Dank dieser Fitness bis in die dritte Lehrgangswoche geschafft habe, mache meistens auch weiter. Der Erwerb des begehrten Einzelkämpferabzeichen sei ein Aspekt für die Übernahme als Berufssoldat und bei der Vergabe von Dienstposten. Zudem habe es einen gewissen Prestigewert in der Truppe, sagt Hauptmann Andreas.

Das Ärmelzeichen der Ausbilder der siebten Inspektion der Infanterieschule, in der Einzelkämpfer ausgebildet werden.
Foto: René Ruprecht | Das Ärmelzeichen der Ausbilder der siebten Inspektion der Infanterieschule, in der Einzelkämpfer ausgebildet werden.

Die Leistungsermittlung in der vierten Woche ist die Krönung des Lehrganges. Bei einer 48-Stunden-Übung müssen sich die Teilnehmerinnen und Teilnehmer rund 40 Kilometer durchs Gelände schlagen und inszenierte Zwischenfälle bewältigen.         

Nur etwa die Hälfte der Soldatinnen und Soldaten bestehen die Ausbildung in Hammelburg

Die Quote der Bestehenden liegt bei etwa 50 Prozent, berichtet Andreas. Die Soldaten und Soldatinnen würden selbst entscheiden, wie weit sie gehen. Nur wenige würden aufgeben. Vereinzelt gebe es Verletzungen, wie sie auch beim Sport vorkommen können, wie verstauchte Knöchel, so der Hörsaalleiter.

Der Hauptmann erinnert sich gerne an seine eigene Ausbildung zum Einzelkämpfer. Auch, wenn sie Spuren hinterließ: "Ich habe sieben Kilogramm abgenommen", sagt er.

Trotzdem setzten manche Teilnehmer noch eins drauf. Mit der härteren Ausbildung zum Führer eines Jagdkommandos. Diese suchen im Feindesland bewusst das Gefecht. Die Ausbildung dazu gibt es ebenfalls in Hammelburg. Sie ist noch eine ganz andere Nummer, berichten Soldaten.

In einer ersten Version des Artikels hatten wir geschrieben, dass die Soldatinnen und Soldaten in einer Einzelkämpferinspektion ausgebildet werden. Trainiert werden sie aber in sechs Lehrgängen der siebten Inspektion und in weiteren Lehrgängen der fünften Inspektion. Zum Einsatz gelangt nicht Übungsmunition, sondern Manövermunition. Nahkampf wird im Rahmen eines eigenen Lehrgangs unterrichtet. Wir bitten, die Fehler zu entschuldigen.

 
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Kommentare
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  • Johannes Metzger
    Wenn man den MP Bericht zum EK verfolgt, gewinnt man den Eindruck, dass sich die Ausbildungsinhalte die letzten 50 Jahre kaum geändert haben.
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  • Hans-Karl Heil
    ...was soll sich denn daran ändern? Extrem sportlich und fit müssen sie sein!
    Einzelkämpfer im Homeoffice gibts nicht!
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  • Johannes Metzger
    Ich finde, veränderte Rahmenbedingungen müssen auch in der EK Ausbildung Einzug halten.
    Extrem sportlich fit, musste man vor 50 Jahren nicht sein und muß es auch heute nicht. Wer sich als Soldat die entsprechend vorbereitet ist gut gerüstet. Gefragt sind: Durchhaltewille, Belastbarkeit, Entscheidungsfähigkeit unter schwierigen Situationen und nach körperlicher Belastung als auch Führungswille.
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  • Hans-Karl Heil
    Genau...so wie alle heute im HO..
    Durchhaltewille die Wohnung nicht zu verlassen...und die Entscheidung ob der Döner vom Fahrdienst gleich gebracht wird.. Super!!
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