
Brigadegeneral Michael Matz gehört zu den erfahrensten Kommandeuren in Deutschland. Im unterfränkischen Hammelburg ist er seit 2019 Befehlshaber des größten Infanteriestandortes der Bundeswehr und Leiter der Infanterieschule, an der angehende militärischen Führer ausgebildet werden. Ende März scheidet Matz nun nach 46 Jahren aus dem Militärdienst aus.
In der Truppe wird der 65-Jährige, der aus Schleswig-Holstein stammt und sich als Realist gibt, für seinen geradlinigen, umsichtigen und wertschätzenden Führungsstil geschätzt. Der Brigadegeneral muss nicht laut sprechen, um gehört zu werden. Zu seinem Abschied spricht Matz über die Zeitenwende bei der Bundeswehr, die militärische Sicherheit in Deutschland und Schwachstellen, die er sieht. Und er erklärt, wie er die Wehrfähigkeit der Nato ohne USA einschätzt.

Michael Matz: Ich hatte 46 herausfordernde, aber auch erfüllende Jahre. Aus dem Kalten Krieg kommend und überwunden habend, dann die neue Herausforderung der Auslandseinsätze. Ich war auf dem Balkan, mehrfach in Afghanistan und nationaler Befehlshaber eines großen deutschen Kontingentes im Ausland: Ich sehe das sehr positiv und vor allem sehe ich die tollen Menschen, mit denen ich zusammenarbeiten durfte. Wenn ich die Herausforderung von Morgen sehe, dann haben künftige Generationen ein dickes Brett zu bohren. Aus Verantwortung vor unserem Land hätte ich das gern noch länger begleitet. Aber ich bin der festen Überzeugung, dass unsere tollen Männer und Frauen das schaffen.
Matz: Wenn ich die sicherheitspolitische Lage beurteile, dann haben wir in der Tat eine Zeitenwende. Wir müssen uns wieder darauf besinnen, etwas für unsere Sicherheit zu tun. Die Reaktion der Politik, die 100 Milliarden zur Verfügung zu stellen, ist bei der Bundeswehr verstanden worden. Das Geld ist verplant und gut investiert.
Matz: Da bin ich differenzierter Meinung. Teile des Geldes sind schon umgesetzt. Wir verfügen über zusätzliche Ausrüstung. Das fängt zum Beispiel mit der persönlichen Ausrüstung der Soldaten an, rund 2,8 Milliarden Euro wurden dafür aufgewendet. Nahezu alle Soldaten haben eine herausragende persönliche Ausstattung. Da geht es um ballistischen Schutz, Kälte- und Nässeschutz. Ich muss sagen, wir sind 2025 "state of the art". Darüber hinaus sind viele längerfristige Beschaffungsverträge initiiert worden, sodass die 100 Milliarden verbraucht sind. Bei großen Rüstungsfirmen werden zusätzliche Produktionsstraßen eröffnet, um die Bedarfe der Bundeswehr sicherzustellen.
Matz: Wenn unser Generalinspekteur davon spricht, dass Russland 2029 die Kapazität erreicht, um einen möglichen Angriff auf Nato-Territorium zu tun, dann müssen wir 2029 gerüstet sein. Da sind wir auf einem guten Weg. Das ist nach Teilstreitkräften gesehen unterschiedlich, weil die Beschaffungsprozesse unterschiedlich sind. Ein Schiff für die Marine ist komplexer zu bauen als ein Gewehr.
Matz: In der Infanterie stehen wir gut da, weil wir schon Pläne in der Schublade hatten, um die Verbände besser auszustatten. Da geht es um bessere Waffensysteme, Aufklärungssensorik und den Kampf gegen Bedrohung aus der Luft, etwa durch Kampfflugzeuge, Hubschrauber und Drohnen. Letzteres haben wir jahrelang in den Einsatzgebieten nicht gebraucht und dort hatten wir nicht investiert. Da sind wir schlecht aufgestellt, aber wir arbeiten daran. Es dauert sehr lange, weil wir Gerät brauchen und Menschen neu qualifizieren müssen. 2029 wird die Bundeswehr anders aussehen.
Matz: Teil der Wahrheit ist, dass es zu wenig ist. Das Delta zwischen dem, was wir bräuchten und dem, was wir haben, liegt bei 300 Milliarden Euro. Da müssen wir Geld in die Hand nehmen.
Matz: Sie war noch nie so fragil wie heute. Ich habe die mögliche Aggression Russlands auf die Nato angesprochen. Wenn man in das Baltikum geht oder nach Polen, da ist die Bedrohung spürbar, eine hybride Bedrohung. Die Dinge, die wir zur Kenntnis nehmen, wie etwa die gehäufte Beschädigung von Ostseekabeln, Drohnenmeldungen über kritischer Infrastruktur, oder dass bei Militärübungen im Baltikum plötzlich die Kommunikation ausfällt. Das ist alles gesteuert und kein Zufall. Wir müssen einen klaren Kopf in der Analyse behalten. Das ist eine neue Bedrohung, der wir uns entgegenstellen müssen.
Matz: Wir haben viele Fähigkeiten, das zu bekämpfen - aber von allem zu wenig, weil viel dem Sparzwang zum Opfer gefallen ist. Niemand wird Deutschland angreifen, aber wir müssen bis 2029 in der Nato unseren Beitrag leisten. Wenn es uns gelingt, einen möglichen Gegner abzuschrecken, dann wird es zu keinem militärischen Konflikt kommen. Es geht darum, bereit und in der Lage zu sein: Es geht um die Kräfte, Mittel und Fähigkeiten, die man hat und auch die mentale Dimension, sich verteidigen zu wollen.
Matz: Was wir aus Amerika hören sind starke, rhetorische Dinge und ein ständiges Hin und Her. Das ist, was Verlässlichkeit angeht, wenig hilfreich. Das Postulieren des Verlassens der Nato, da bin ich nicht über-aufgeregt. Aber wenn das eine Option für Amerika ist, dann muss Europa reagieren. Wir haben uns immer sehr sicher gefühlt unter dem Schutzschirm unserer amerikanischen Freunde. Wenn dieser Schutzschirm nicht mehr garantiert ist, müssen wir uns selbst helfen.
Matz: Wenn der politische Wille da ist, ja. Ich denke, wir müssen insgesamt besser werden, dass alle Nationen ihrer Verantwortung zur Verteidigung gerecht werden. Am Ende müssen 32 Flaggen zusammenstehen. Ohne Amerikaner ist es zum jetzigen Zeitpunkt herausfordernd, aber nicht unmöglich. In wenigen Jahren wird es möglich sein.
Matz: Das ist der Blick in die Glaskugel. Der potenzielle Gegner Russland hat, das ist die Meinung der Fachleute, 2029 die Fähigkeit, Nato-Territorium anzugreifen. Ihn davon abzuhalten gelingt nur, wenn wir glaubwürdig abschreckungsfähig sind. Das gelingt nicht in schönen Sonntagsreden in Berlin, sondern wir brauchen Material und Personal. Ich wünsche mir natürlich, dass es uns gelingt, glaubwürdig abschreckungsfähig zu sein. Dann können wir bis an unser Lebensende in einem friedlichen und prosperierenden Europa leben.