Müller: Es geht um die Ansprüche, die alte oder behinderte Menschen haben, aber auch um die Ansprüche derjenigen, die sich um diese Menschen kümmern. Auch das sind nach Martha Nussbaum Gerechtigkeitsfragen. Denn die Pflege wird nach wie vor sehr stark ins Private verlagert, nach dem Motto: „Darum müssen sich die Familienmitglieder kümmern.“ Und deren Motivation soll dann eben Liebe und Zuneigung sein. Das führt aber gleichzeitig dazu, dass diese Arbeit gering geschätzt wird, weil sie ja „nur“ in der Familie geleistet werden kann. Man wird dieser Arbeit deshalb im wahrsten Sinne des Wortes nicht gerecht, weder materiell, noch von der gesellschaftlichen Wertschätzung her.
Lelgemann: Und es ist meist Arbeit, die von Frauen und geringer qualifizierten Menschen geleistet wird. Es ist auch eine Frage der Gerechtigkeit, wenn soziale Einrichtungen oder Menschen mit Behinderung, die mit Assistenz selbstständig leben wollen, in die Situation kommen, nur gering oder überhaupt nicht qualifizierte Mitarbeiter einstellen zu können, da diese preiswerter sind. Hier wird ein Problem der Anerkennung der menschlichen Grunderfahrung vorhandener Abhängigkeit deutlich.