Es kann nicht darum gehen, den Zustand von Behinderung und Abhängigkeit zu überwinden. Es geht darum, eine Gesellschaft zu denken, die diesen Zustand akzeptiert und eine umfassende Entwicklung aktiv unterstützt.
Ist unsere Gesellschaft schon so weit, dass sie Hilfsbedürftigkeit nicht als Störung empfindet, sondern als etwas, was zum Menschsein gehört?
Lelgemann: Ich habe nicht den Eindruck, dass das so ist. Unsere Gesellschaft, aber auch jede und jeder Einzelne möchte autonom sein und hat Sorge vor zu viel Abhängigkeit und persönlicher Hilfebedürftigkeit. Zudem ist unsere Gesellschaft so strukturiert, dass sie erfolgreich wirtschaften muss, damit Steuereinnahmen vorhanden sind, die aber wiederum begrenzt sind. Dann gilt es abzuwägen, welche schwierige Lebenssituation wir wie unterstützen. Da ist ein schwer behindertes Kind, da ist die alleinerziehende Mutter mit drei Kindern, deren Vater nicht zahlt. Dieses Spannungsfeld müssen wir aushalten und es ist ein Wert an sich, wenn wir es öffentlich thematisieren und diskutieren.