Müller: Menschenwürde haben wir von Natur aus, sie ist unverlierbar und unantastbar. Das steht im ersten Artikel unseres Grundgesetzes. Aber Würde ist auch etwas, das respektiert und aktiv gefördert werden muss. Dafür braucht es gewisse Anstrengungen, was Nussbaum in ihrem Fähigkeitenansatz abbildet: Nur wer über bestimmte Fähigkeiten und Möglichkeiten verfügt, kann überhaupt ein menschenwürdiges Leben führen. Und für jede ihrer zehn Fähigkeiten definiert Martha Nussbaum ein Minimalniveau, das erreicht sein muss, um ein menschenwürdiges Leben zu führen. Manche Menschen überschreiten diese Schwelle relativ leicht, für andere, etwa behinderte Menschen, bedarf es größerer, ja vielleicht sogar außergewöhnlicher Anstrengungen, um sie zu überschreiten.
Lelgemann: Anstrengungen aber nicht nur aufseiten des Behinderten, sondern der gesellschaftlichen Struktur, die diese Unterstützung bietet. Es sind Anstrengungen, ein menschenwürdiges Leben zu ermöglichen. Aber nicht in dem Sinne, wir können es schaffen, aus allen behinderten Menschen völlig autonome Persönlichkeiten zu machen, wenn wir sie nur genug unterstützen. Das erscheint mir auch als ein Missverständnis in vielen Inklusionsdebatten.