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WÜRZBURG
150 Jahre Reclam: Erinnerungen an das kleine Gelbe
Von unserer Redaktion
 |  aktualisiert: 10.05.2023 10:38 Uhr

Gejammere

Damit hier keine Missverständnisse aufkommen: Ich habe keine Ahnung mehr, um was es in Antigone von Sophokles geht. Es ist mir auch egal. Denn solch altes Zeug braucht kein Mensch. Erst recht, wenn man Schüler ist, so wie ich es damals war, als ich mir dieses gelbe Reclam-Heft kaufen musste. Es ist wohl nur deswegen mein Lieblingsheft geworden, weil es mit 64 Seiten das dünnste in meinem Besitz ist. Je dünner, desto schneller ist dieses unverständliche Drama-Gejammere vorbei. Das Beste an Antigone: Auf die Vorderseite habe ich deutlich mit Tinte geschrieben, was ich von dem Werk halte: „Fuck!“

Für alle Deutschlehrer und Literaturfans, die mir jetzt die Luft aus den Reifen lassen wollen: Ich kann auch anspruchsvoll. Ich habe mir mit Reclams Hilfe Klassiker wie Aus dem Leben eines Taugenichts oder Don Carlos angetan. Vergnügungssteuer zahlt man dafür nicht. Ich bleibe bei dem, was man im Leben wirklich braucht: Nützliches. So erkläre ich hiermit ein anderes Heft zum Favoriten: das Buch der Vornamen. Danke, Reclam. Jetzt weiß ich, dass mein Vorname „Bauer“ bedeutet. Passt doch: Es soll nicht viele Bauern geben, die Antigone verstanden haben.

Jürgen Haug-Peichl ist Chefreporter Wirtschaft der Main-Post und bezeichnet das Internet als sein Lieblingsbuch.

Rätselnder Ritter

Als Schüler haben wir die Texte in den Reclamheftchen (die ganz früher nicht gelb, sondern irgendwie hautfarben waren) „frisiert“, wie wir das nannten. Soll heißen: Wir kritzelten drin rum und veränderten Wörter. Aus „Auswahl“ wurde durch Streichung und Überschreibung „Pottwal“, aus „Kranken“ wurden „Kraken“ und aus Gerhart Hauptmanns „Der arme Heinrich“ wurde „Der warme Heinrich“.

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Foto: Reclam

Natürlich ist das politisch nicht korrekt. Aber wenn man in einer drögen Deutschstunde so vor sich hinpubertiert, kommt man halt auf dumme Ideen. Wir fanden das alles superlustig und krümmten uns kichernd über die Schulbänke.

Irgendwie muss ich bemerkenswert lange vor mich hinpubertiert haben: Auch Reclam-Heftchen aus der Studienzeit sind bekritzelt. Zum Beispiel das „Parsifal“-Libretto mit einem comicmäßigen Ritter, über dessen Kopf ein Fragezeichen schwebt. Und mit dem besten Kommentar, den ich je zu Richard Wagner abgegeben habe: „Das ist alles ganz furchtbar bedeutungsschwanger.“ Dieses „Parsifal“-Unikat ist denn auch mein Lieblings-Reclam.

Ralph Heringlehner ist Kulturredakteur und würde sich durchaus wieder ein Reclamheft kaufen – vielleicht . . . „Nathan der Greise“?

 
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