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Hunde
Martin Rütter im Interview: "Wenn dieser Rütter kommt, ist der Hund dann irgendwie anders"
Martin Rütter hatte bereits als Kind eine enge Bindung zu Hunden. Warum er "schlitzohrige" Hunde besonders mag und welche Fehler man bei der Erziehung vermeiden sollte.
Martin Rütter im Interview: 'Wenn dieser Rütter kommt, ist der Hund dann irgendwie anders'
Foto: Klaus Grittner
Elisa Jebelean
 |  aktualisiert: 18.04.2024 16:02 Uhr

Herr Rütter, welches Ereignis hat Ihre Beziehung zu Hunden geprägt?

Martin Rütter: Ich hatte schon immer einen engen Draht zu Hunden, obwohl ich als Kind keinen Hund haben durfte, da meine Eltern jedes Tier als überflüssig angesehen haben, das man nicht auf den Grill legen und essen konnte. Ich habe aber bereits in meiner Jugend die Hunde der Nachbarn ausgeführt und die Hunde meiner Tante Thea ohnmächtig gekrault. Sie hatte in den 80er-Jahren eine Art Pflegestelle für gestrauchelte Tiere – und sie besaß die außergewöhnliche Gabe, Hunde, die anfangs noch ganz wunderbar waren, binnen weniger Wochen dermaßen verrückt zu machen, dass man das Haus nicht mehr angstfrei betreten konnte. Mich hat schon damals brennend interessiert, warum so viele Menschen um mich herum Probleme mit ihren Hunden hatten. Ich habe dann später Sportpublizistik studiert und wollte Sportreporter werden. Und so wie andere Leute neben dem Studium gekellnert haben, habe ich Hunde ausgeführt. Ich habe dann quasi mein Theoriewissen – ich hatte bis dahin so an die 200 Hundebücher studiert – an den Leuten ausprobiert. Und da hat sich relativ schnell rumgesprochen, dass wenn dieser Rütter kommt, der Hund dann irgendwie anders ist. Und so im dritten, vierten Semester war für mich dann klar, ich mach’ das: Ich eröffne 'ne Hundeschule. Für meine Eltern war das zunächst natürlich kein schöner Moment (schmunzelt).

Haben Sie eine Lieblingsrasse? Falls ja: Was macht sie in Ihren Augen so liebenswert?

Rütter: Die eine Lieblingsrasse habe ich nicht. Ich habe in meinem Leben schon so viele verschiedene Hunderassen und Mischlinge kennengelernt und bin immer wieder fasziniert von der Vielfalt und den unterschiedlichen tollen Eigenschaften, welche die Tierart Hund ausmachen. Was ich aber sagen kann: Ich habe eine Schwäche für schlitzohrige Hunde. Hunde, bei denen man im Training denkt: Jetzt hab’ ich ihn. Und zack hat der noch mal einen Plan B. Meine Hündin Emma gehört übrigens genau dieser Kategorie an.

Gibt es Hunderassen, die in Ihren Augen eher für erfahrene Hundebesitzer geeignet sind? Falls ja: Warum ist das so?

Rütter: Natürlich gibt es genetische und rassetypische Phänomene, die darf man nicht außer Acht lassen. Ich habe aber die Erfahrung gemacht, dass sich sowas pauschal oftmals gar nicht sagen lässt. Denn jeder Hund ist ein Individuum und selbst innerhalb eines Wurfes können unterschiedliche Charaktereigenschaften auftreten. Entscheidendes Kriterium sollten viel eher die eigenen Lebensumstände sein.

Wie findet man einen Hund, der zu einem passt?

Rütter: In dem man, noch lange bevor man einen Hund in sein Leben holt, eine Art Checkliste erstellt und sich fragt: Welcher Hund passt überhaupt zu mir und meinen Lebensumständen? Ein sehr aktiver Mensch, der lange Tageswanderungen unternimmt oder täglich mehrere Kilometer joggt, wird wohl kaum mit einem Bernhardiner oder Mops glücklich werden, da diese im ersten Fall wenig Motivation haben auf so viel Aktivität und im zweiten Fall einfach vom Körperbau her nicht für lange sportliche Aktivitäten geeignet sind. Genauso wird aber ein eher gemütlicher Mensch, der den Hund zur Gesellschaft möchte und dem es reicht, dreimal täglich gemütlich eine Runde durch den Stadtpark zu drehen, kaum mit einem aktiven Jagd- oder Hütehund glücklich werden. In jeder guten Hundeschule kann man sich vor der Anschaffung dahin gehend beraten belassen. Und was auch noch ganz wichtig ist: Für einen Hund muss man Zeit haben. Und damit meine ich nicht nur die Zeit für die Pflege wie beispielsweise Kämmen oder Krallen schneiden. Ein Hund ist kein Spielzeug, das man bei Bedarf rauskramt und dann wieder wochenlang verstauben lässt. Er ist ein Lebewesen mit eigenen Bedürfnissen, über die man sich gut informieren muss.

Was sind die häufigsten Fehler bei der Hundeerziehung, die Ihnen in mehr als 20 Jahren als Coach untergekommen sind?

Rütter: Es gibt drei Kardinalfehler. Erstens, die extreme Vermenschlichung, denn diese schürt Erwartungen, die der Hund niemals erfüllen kann. Ein Hund kann nicht denken und handeln wie ein Mensch. Dazu kommt mangelnde Konsequenz, womit ich jetzt nicht Strenge oder Härte meine. Es ist ja so: Menschen stellen Regeln auf, gehen dann aber zu lax mit diesen um. Immer sonntags darf der Hund mit am Frühstückstisch sitzen und bekommt sein Leberwurstbrötchen, an den anderen Tagen aber nicht. Das kapiert kein Hund und verunsichert ihn nur. Ein Hund benötigt klare Regeln, nur so kann er Vertrauen zu seinem Menschen aufbauen und sich auch in schwierigen Situationen auf ihn verlassen. Und ein weiteres Problem ist die mangelnde Beschäftigung. Hunde brauchen körperliche und geistige Auslastung.

Inwieweit beeinflusst die Erziehung Verhaltensauffälligkeiten bei Hunden?

Rütter: Es ist kein Geheimnis, dass fast alle Verhaltensprobleme erworben sind und aus der Unwissenheit der Halter resultieren. Die Menschen meinen es ja nicht böse, aber sie sehen vieles halt zu stark aus menschlicher Perspektive, statt sich in den Hund hineinzuversetzen.

Welche Faktoren können dazu führen, dass ein Hund an der Leine zieht? Und welche Rolle spielen dabei die Erziehungsmethoden des Besitzers?

Rütter: Das Ziehen an der Leine kann viele verschiedene Ursachen haben, die überwiegend aus den Erziehungsmethoden des Halters resultieren. Ihnen gemeinsam ist die Tatsache, dass sich der Hund in einer Stresssituation befindet. Entweder hat er vor bestimmten Umweltreizen Angst und möchte gerne wieder zurück nach Hause oder ins Auto. Oder er glaubt, das Rudelmitglied am anderen Ende der Leine führen zu müssen. Hier fühlt sich der Hund für den Menschen sozusagen verantwortlich.

Können Sie in der Situation Strategien empfehlen, wie Hundebesitzer reagieren sollten, um eine positive Lernerfahrung zu fördern?

Rütter: Langfristig sollte auf jeden Fall an der Beziehung zwischen Mensch und Hund gearbeitet werden, damit sich der Hund am Menschen orientiert und sich seinem Tempo anpasst. Als "Erste-Hilfe-Maßnahme" können Sie immer stehen bleiben, wenn der Hund zieht. Es geht erst weiter, wenn die Leine wieder locker ist. Oder Sie wechseln einfach die Richtung, möglichst aber bevor der Hund von sich aus die Leine auf Spannung gebracht hat. So lernt Ihr Hund, dass er mit dem Ziehen auf keinen Fall ein zügigeres Vorankommen erreichen kann. Richtiges Verhalten sollte darüber hinaus immer belohnt werden – und das gerne zeitnah und mit einer Sache, über die sich der Hund freut. Das können Leckerchen sein, eine Streicheleinheit, vielleicht braucht es aber auch nur ein nettes Wort. Da ist jeder Hund anders gestrickt.

Was sollte jeder Hundebesitzer ausnahmslos trainieren?

Rütter: Grundsätzlich finde ich, dass man als Hundehalter die Pflicht hat, den Hund gesellschaftstauglich zu machen. Wenn ich meinen Hund zum Beispiel ableine, muss ich ziemlich sicher sein, dass er kommt, wenn ich ihn rufe. Wichtig ist aber auch, dass der Hund lernt: "Ich bin jetzt nicht dran." Frustrationstoleranz ist sowieso ganz wichtig bei Hunden. Viele Menschen machen den Fehler, ihre Hunde permanent zu bespaßen. So ein Hund kann es nicht ertragen, wenn er mal Pause hat. Und außerdem finde ich es wichtig, dass sich ein Hund Menschen gegenüber nicht aggressiv verhält, dass er nicht losrennt und auf Leute losgeht.

Wie kann man eine starke Bindung zu seinem Hund aufbauen?

Rütter: Zum Beispiel durch regelmäßiges gemeinsames Spielen. Das ist einer der Schlüssel zum Aufbau einer partnerschaftlichen Verbindung.

Welche Eigenschaften sollte man sich aneignen, um von Hunden leichter als ein Rudelführer akzeptiert zu werden?

Rütter: Es ist generell wichtig, dem Hund durch souveränes Handeln zu zeigen, dass er sich sicher fühlen kann. Der Mensch zeigt dem Hund ganz grundsätzlich durch gezieltes Lenken und Leiten, dass er entspannt leben kann, wenn er sich am Menschen orientiert. Denn auch innerhalb der Natur ist nicht derjenige der Rudelführer, der sich andauernd gegenüber den anderen Rudelmitgliedern durchzusetzen versucht. Vielmehr schließen sich die Rudelmitglieder demjenigen im Rudel an, der die cleversten Entscheidungen trifft und sicher und souverän auch in kritischen Situationen wie z.B. bei Störungen durch Feinde auftritt. Doch auch wenn man den Hund von Welpe an durch souveränes Handeln aufzieht, wird dieser natürlich immer wieder einmal hinterfragen, ob der Mensch dazu auch weiterhin in der Lage ist. Gerade in der Zeit der Pubertät bis hin zum Erwachsen werden mit ca. 3 Jahren (je nach Rasse) ist es daher besonders wichtig, dem Hund Orientierung zu bieten.

Was hat Sie dazu bewegt, die Sendung "Die Unvermittelbaren" zu drehen?

Rütter: Ich habe die Erfahrung gemacht, dass Hunde, die eine zweite Chance bekommen, einfach wahnsinnig dankbar sind. Deswegen rate ich grundsätzlich jedem, der über die Anschaffung eines Hundes nachdenkt, zu einem Gang ins Tierheim. Viele Menschen haben ja den Irrglauben, dass man mit einem Welpen vom Züchter automatisch vor allen Problemen dieser Welt gefeit sei. Das ist natürlich Quatsch. Auch bei Züchtern gibt es gute und schlechte. Bei "Die Unvermittelbaren" geht es allerdings nicht um den klassischen Tierheimhund, sondern – wie es der Name schon sagt – um die wirklich schweren Fälle. Um Hunde, von denen die Tierheime sagen: "Der hat richtig was auf dem Kerbholz und ist kaum vermittelbar - da müsste schon die gute Fee kommen." Es geht also um Hunde, die wirklich ganz, ganz spezielle Bedürfnisse haben und auch aus diesem Grund wirklich ein maßgeschneidertes neues Zuhause brauchen. Hunde, die man ganz klar – aufgrund ihrer Biografie – auch gar nicht überallhin vermitteln kann. Ihnen dennoch eine neue Chance zu ermöglichen, war und ist unsere größte Motivation.

Martin Rütter.jpg       -  Martin Rütter spricht mit uns im Interview über wichtige Punkte in der Hundeerziehung.
Foto: picture alliance / Jörg Carstensen, dpa (Archivbild) | Martin Rütter spricht mit uns im Interview über wichtige Punkte in der Hundeerziehung.

Zur Person: Martin Rütter ist der bekannteste Hundeexperte im deutschsprachigen Raum. Seine erste Hundeschule hat er bereits mit 25 Jahren gegründet. Nach einem Studium der Tierpsychologie in der Schweiz entwickelte er das "Dog Orientated Guiding System", kurz DOGS, eine Trainingsphilosophie, bei dem die Bedürfnisse des Hundes und die Partnerschaft zwischen Mensch und Tier im Mittelpunkt stehen. Mittlerweile folgen mehr als 140 Hundeschulen dem Trainingsweg von Rütter. Seine erste eigene Sendung "Der Hundeprofi" erschien 2008 bei Vox, seitdem hat er mehr als zehn Formate zum Thema Hundeerziehung produziert. Derzeit tourt er mit seiner Live-Show "Der will nur spielen!" durch Deutschland.

 
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