BERLIN

Herr de Maizière, trauen Sie uns ruhig etwas mehr zu!

Thomas de Maiziere       -  ARCHIV - Bundesinnenminister Thomas de Maiziere (CDU) spricht am 12.11.2014 in Berlin während der Vorstellung des Entwurfes des Anti-Doping-Gesetzes.
Foto: A4642/_Lukas Schulze (dpa) | ARCHIV - Bundesinnenminister Thomas de Maiziere (CDU) spricht am 12.11.2014 in Berlin während der Vorstellung des Entwurfes des Anti-Doping-Gesetzes.

Berufspolitiker weisen ja gerne darauf hin, dass ihr Job keinesfalls vergnügungssteuerpflichtig sei. Bei Ihnen, Herr de Maiziere, bin ich tatsächlich geneigt, diesem reichlich strapazierten Bonmot zuzustimmen. Ich würde sogar noch einen Schritt weitergehen: Eigentlich müssten Sie für Ihren Job Schmerzensgeld bekommen.

Innenminister sein zu müssen, war noch nie besonders lustig, denn irgendeine Gefahr droht der inneren Sicherheit – und damit uns allen – immer. Der Innenminister muss deshalb allein schon kraft Amtes unermüdlich darauf hinweisen, dass der Staat eigentlich viel, viel mehr über seine Bürger wissen dürfen müsste, als das Gesetz es derzeit noch zulässt.

Innenminister zu sein, heißt immer auch, Spielverderber zu sein. Mahner, Warner, Bremser. Das galt für Ihre Vorgänger Friedrich Zimmermann, Otto Schily oder Wolfgang Schäuble (der jetzt halt in Sachen Finanzen die Spaßbremse gibt), und das gilt in diesen Tagen der „unverändert hohen Bedrohungslage“ natürlich auch für Sie. Aber Sie, Herr Minister, bringen das ganz besonders authentisch rüber.

Ich wage jetzt mal die Vermutung, dass Sie schon vor Antritt dieses Amtes keine leichtfertige Betriebsnudel waren. Nun aber scheint auch noch der letzte Anflug von Fröhlichkeit von Ihnen gewichen.

Wenn Sie zufällig mal, was selten vorkommt, lächelnd in der Zeitung abgebildet sind, dann kann man die Kraftanstrengung sehen, mit der Sie ihre Mundwinkel ein paar Millimeter nach oben zwingen. Und wenn Ihre Stimme aus dem Radio kommt, kann ich richtig hören, wie Sie sich zwingen, für die paar Augenblicke aufs Zähnezusammenbeißen zu verzichten.

Auf Ihrer Homepage posieren Sie stehend an Ihrem Schreibtisch, eine Hand hält den Telefonhörer (kein Handy übrigens), die andere krampft sich ins Revers Ihres Anzugjacketts. Ihr Blick geht weit hinaus ins Land, vielleicht auch in die Zukunft, ich kann nicht umhin, ihn als irgendwie sorgenvoll wahrzunehmen.

Ich gebe zu: Ich kann mir nicht so recht vorstellen, wie sich das anfühlt, wenn man persönlich für die Sicherheit von 80 Millionen Menschen verantwortlich ist. Oder anders gesagt: Wenn man damit rechnen muss, persönlich für die Sicherheit von 80 Millionen Menschen verantwortlich gemacht zu werden.

Aber muss man das denn, selbst wenn man Bundesminister des Inneren ist? Muss man dieses Amt wirklich so interpretieren? Sind wir wirklich ein Haufen unmündiger, verantwortungsloser, selbstgefährdender Kinder auf einer kleinen Insel der Ordnung, denen man bei jeder Gelegenheit klarmachen muss, dass sie ohne eiserne Aufsicht vollkommen aufgeschmissen wären?

Immer, wenn Sie ans Mikrofon treten und schmallippig ein paar dürre und dennoch meist sperrige Sätze sagen, habe ich den Eindruck, dass Sie nur einen ganz kleinen Teil dessen preisgeben, was Sie wissen. Das wäre ja grundsätzlich in Ordnung. Jeder, der mal einen Spionageroman gelesen hat, weiß, dass das so sein muss. Schließlich hört immer auch der Feind mit. Der Gefährder.

Aber einmal haben Sie sich in dieser Hinsicht doch ein wenig zu aufschlussreich versprochen: „Ein Teil dieser Antworten würde die Bevölkerung verunsichern“, haben Sie vor einem Jahr zu den Gründen der Absage eines Fußball-Länderspiels gesagt. Das klang dann nicht mehr nach professioneller Diskretion, sondern schlicht nach Bevormundung.

Sie haben sich ein paar Monate später von diesem Satz distanziert, aber nicht wegen der Bevormundung: „Der Satz ist sozusagen der Sache nach richtig gewesen. Wenn man ihn aber alleine liest, hat er natürlich eher zur Verunsicherung als zur Beruhigung beigetragen. Das muss ich eingestehen.“

Auch wenn Sie, Herr Minister, so viel mehr wissen als wir, so haben die meisten von uns inzwischen vermutlich doch verstanden, dass es eine Bedrohung gibt, die man ernstnehmen muss. Und es gibt ja auch Opfer des Terrors auf deutschem Boden. Dass es viel weniger sind als anderswo, das ist bestimmt auch Ihnen und unserer Polizei zu verdanken.

Trotzdem hätte ich eine Bitte an Sie: Muten und trauen Sie uns ruhig etwas mehr zu! Sprechen Sie Klartext, und teilen Sie die Last Ihrer Verantwortung mit uns! Vor allem aber: Machen wir uns doch gemeinsam klar, was wir denn eigentlich alle schützen und bewahren wollen sollten – ein offenes, buntes und vielleicht sogar ein bisschen fröhliches Land, in dem Eiferer und Hetzer jeglicher Couleur die Spielverderber sind und nicht der Innenminister.

Dann gibt es irgendwann vielleicht sogar Bilder von Ihnen, auf denen Ihre Mundwinkel ganz von alleine nach oben zeigen. Wir werden Ihnen dafür auf keinen Fall Vergnügungssteuer berechnen, versprochen.

Mit freundlichen Grüßen

Mathias Wiedemann

Einer bekommt Post! – Der „Samstagsbrief“

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