
Sehr geehrter Herr Bischof Franz Jung,
es war Ihnen deutlich anzusehen: Sie wirkten am Dienstag bei der offiziellen Übergabe des Missbrauchsgutachtens angefasst, berührt, zugleich angespannt und nervös. Es war ein höchst emotionaler Moment auf dem Podium in der Aula des Würzburger Mozart-Areals.
Sie wussten vor dieser Veranstaltung nicht das Ergebnis des Gutachtens, das von der Unabhängigen Kommission zur Aufarbeitung des sexuellen Missbrauchs im Bistum Würzburg (kurz UKAM) vor über zwei Jahren in Auftrag gegeben worden war. Diesbezüglich waren Ihnen die Missbrauchsbetroffenen voraus. Ihnen wurde einige Stunden zuvor das Gutachten im geschützten Rahmen vorgestellt.
Vielleicht hätten Sie sich auch für die Übergabe und Präsentation einen geschützten Rahmen gewünscht. Der Bischöfliche Stuhl hat die Kosten für die Erstellung der umfangreichen Untersuchung übernommen. Die Kontrolle hatten Sie jedoch nicht. Eine sicher ungewohnte Situation. Für machtvolle Personen, wie es Bischöfe nun mal sind, war das womöglich ein Gefühl der Ohnmacht.

Offenheit und Transparenz sind bei dem Thema "Sexueller Missbrauch" unabdingbar, der unabhängige Blick auf die Fälle ist Grundvoraussetzung für die Aufarbeitung. Zu oft und zu lange wurden Täter geschützt, die Aufdeckung erschwert und der Fall intern abgehandelt. Betroffene spielten keine Rolle.
Das wurde bereits oft formuliert und das wird auch in dieser Untersuchung anhand der Fallbeschreibungen deutlich: Für 18 der 51 Beschuldigten gibt es laut Gutachten Hinweise, dass der Beschuldigte oder Bistumsangehörige auf Betroffene einwirkten, um die Taten zu verschleiern.
Bei der Vorstellung des Gutachtens könnte Ihnen zunächst ein Stein vom Herzen gefallen sein. Sie, der Bischof, wurden gelobt. In Würzburg habe inzwischen ein Paradigmenwechsel stattgefunden, eine Kultur des Hinschauens. Unter Ihrer Führung sei ein guter Weg eingeschlagen worden.
Ein positives Ergebnis? Was wirklich hinter den Zahlen steckt
Doch das positivere Ergebnis des Gutachtens, was die Zahl der Täter anbelangt, ist nur scheinbar positiv. Zwar ist die Anzahl, die der unabhängige Gutachter aufführt, niedriger als in der von der Deutschen Bischofskonferenz in Auftrag gegebenen, bereits 2018 veröffentlichten Missbrauchsstudie ("MHG-Studie"). Aber dafür gibt es einen Grund.
Ein kurzer Blick auf die Zahlen damals: Zwischen 1946 und 2014 wurden im Bistum Würzburg 62 Kleriker des Missbrauchs beschuldigt. Die Zahl der Opfer wurde in der MHG-Studie mit 157 benannt.
In dem aktuellen Würzburger Gutachten haben Jurist Hendrik Schneider und sein Team für den Zeitraum von 1945 bis 2019 insgesamt 51 Beschuldigte identifiziert, darunter 43 Kleriker. Die Zahl der Opfer aber ist höher: Die 51 Beschuldigten haben laut dem Würzburger Gutachten 449 Taten begangen - an 226 Betroffenen.

Das ist kein Ergebnis zum Ausruhen. Denn geschätzt ergeben sich über 3000 Taten an 226 Opfern. Zu diesem Wert kam der Gutachter aufgrund ungenauer Angaben in den Akten. Das Dunkelfeld ist sehr groß.
Strengere Kriterien: Tatbegriff enger, nur strafrechtlich relevanter Missbrauch gezählt
Zudem beruhen die jetzt erfassten niedrigeren Täterzahlen auf einem engeren Tatbegriff. Dies war eine der Vorgaben durch die UKAM. Im Würzburger Gutachten wurden strengere juristische Kriterien angelegt und nur strafrechtlich relevante Formen sexuellen Missbrauchs erfasst und näher untersucht. Es musste ein hinreichender, mindestens aber ein plausibler Tatverdacht bestehen.
Sogenannte Grenzverletzungen unterhalb der Strafbarkeitsschwelle, wie sie in der MHG-Studie berücksichtigt wurden, blieben im Würzburger Gutachten außen vor. Ebenso spiritueller Missbrauch, mit dem Menschen manipuliert, kontrolliert, in ihrem Selbstbestimmungsrecht eingeschränkt und traumatisiert werden.
Oft genug haben Grenzverletzungen Menschen aus der Bahn geworfen und waren Auslöser für ihr Leid. Ein Kommissionsmitglied, der Leitende Oberstaatsanwalt a.D. Erik Ohlenschlager räumte am Dienstag ein: Grenzverletzungen seien oft der Einstieg für sexuellen Missbrauch. Die Kommission hat deshalb Handlungsempfehlungen formuliert, die in Schutzkonzepte umgesetzt werden sollten.
Dennoch müssen, auch wenn unter Ihrer Führung die Bemühungen von der Kommission positiv bewerten werden, weitere Überlegungen folgen: etwa Analysen, was zu diesen zerstörerischen Verhaltensweisen führte und wo nun weiter angesetzt werden muss, um einen Kulturwandel zu erreichen.
Versagen der Kirche: Moralische Instanz muss sie erst werden - durch Aufarbeitung
Der Hinweis aus der Kommission, sexueller Missbrauch sei ein gesamtgesellschaftliches Problem, ist keine Entschuldigung für eigenes Versagen. Die Kirche sieht sich als moralische Instanz. Eigentlich muss sie es erst wieder werden. Denn die Fallhöhe war groß.
Missbrauchsbetroffene werden Sie nicht an den niedrigeren Zahlen messen. Sie fordern weiterhin Aufarbeitung. Ihr Leid müsse nicht nur erkannt, sondern entsprechend entschädigt werden. Und es dürfe keine weiteren Opfer mehr geben.
Am Montag wollen Sie sich erstmals ausführlich zum Gutachten äußern. Viele Menschen sind gespannt.
Mit freundlichen Grüßen,
Christine Jeske, Redakteurin
Die Frage ist halt, wie man einerseits diesen Machmissbrauch und andererseits das Mitläufertum bzw. das strukturelle "Wegschauen" endlich auch in diesen autoritär-hierarchischen Systemen beenden kann.
https://www.mainpost.de/regional/wuerzburg/ein-priester-des-bistums-wuerzburg-setzt-sich-fuer-missbrauchsbetroffene-ein-das-hatte-fuer-ihn-einschneidende-folgen-art-11746578
Und der Fall hat ja bereits Konsequenzen nach sich gezogen!
Woher?
Sie können bestenfalls schreiben: das glaube ich nicht! - das wäre eine Meinung.
„Stimmt niemals“ - ist eine Feststellung oder mindestens Behauptung einer Tatsache - und das geht nur, wenn ich WEISS, was ich sage und es nicht nur vermute bzw unterstelle!