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Würzburg/Schweinfurt
Samstagsbrief: Lieber Juso-Chef Philipp Türmer, denkt an die Demokratie und stimmt dem Koalitionsvertrag zu!
Bei allem Respekt vor linker Kritik an den Vereinbarungen von CDU/CSU und SPD: Ein Nein zu der geplanten Koalition hilft nur den Rechtsextremen, meint unser Autor.
Philipp Türmer ist seit 2023 Vorsitzender der Jungsozialisten in der SPD. Der 29-jährige Politiker kommt aus Offenbach und hat Wirtschaftswissenschaft und Rechtswissenschaft studiert. 
Foto: Michael Kappeler, dpa | Philipp Türmer ist seit 2023 Vorsitzender der Jungsozialisten in der SPD. Der 29-jährige Politiker kommt aus Offenbach und hat Wirtschaftswissenschaft und Rechtswissenschaft studiert. 
Michael Czygan
 |  aktualisiert: 21.04.2025 04:00 Uhr

Sehr geehrter Philipp Türmer,

ich schreibe Ihnen, dem Vorsitzenden der Jungsozialisten in der SPD, in Sorge um die Demokratie in Deutschland. Mag sein, dass das für Sie etwas arg hochgestochen klingt. Aber ich fürchte tatsächlich, dass ein Nein zum Koalitionsvertrag von Union und SPD, wie es die Jusos fordern, dieses Land in eine existentielle Krise führen würde. Profitieren würden allein die Feinde unserer pluralen, freien und menschenfreundlichen Gesellschaft.

Natürlich, lieber Herr Türmer, ist es völlig legitim, einzelne Vereinbarungen, die Ihre Parteichefs Saskia Esken und Lars Klingbeil mit Friedrich Merz und Markus Söder von der Union beschlossen haben, doof zu finden. Das geht im Grunde doch allen so, die sich in einer der beteiligten Parteien engagieren - oder Sympathien für diese hegen.

Gleichzeitig gilt, das ist eine Binse:  Kompromisse gehören in der parlamentarischen Demokratie dazu. Zumindest, solange eine Partei nicht über die absolute Mehrheit verfügt. Als SPD-Politiker haben Sie in den Ampel-Jahren leidvoll erleben müssen, wie politisch verheerend es ist, wenn die Beteiligten nicht gewillt sind, solche auch einzugehen.

Schlechtestes SPD-Ergebnis, aber die Sozialdemokraten haben sehr erfolgreich verhandelt

Und wenn ich mir die Kompromisse so anschaue, die im 144-seitigen Koalitionsvertrag stehen, dann haben die Sozialdemokraten erstaunlich gut verhandelt. Immerhin ist Ihre Partei mit dem amtierenden Bundeskanzler Olaf Scholz bei der Bundestagswahl kräftig abgestraft worden. Die 16,4 Prozent Stimmenanteil waren das schlechteste SPD-Ergebnis seit Gründung der Bundesrepublik. Das dürfen die knapp 360.000 Mitglieder, darunter 5400 bei uns in Unterfranken, nicht vergessen, wenn sie jetzt abstimmen.

Dass die SPD sieben Ministerinnen und Minister stellen darf, ist das eine. Inhaltliche Plupunkte aus sozialdemokratischer Sicht sind unter anderem die Erhöhung des Mindestlohns, der Erhalt des Rentenniveaus von 48 Prozent oder die Verschärfung der Mietpreisbremse.

Größter Knüller: 500 Milliarden Euro für Investitionen

Den größten Knüller indes scheinen einige Sozis schon wieder vergessen zu haben: Es ist der SPD gelungen, CDU und CSU davon zu überzeugen, an der Schuldenbremse zu schrauben. Und ein 500-Milliarden-Euro-Sondervermögen zu beschließen, mit dem die dringend notwendigen Investitionen in Brücken, Bahnstrecken, Schulen und die klimagerechte Transformation der Wirtschaft endlich angegangen werden können. Wenn das mal kein Gewinn ist!

Und ja, so ist es: Der größere Koalitionspartner Union hat auch ein paar Dinge durchgesetzt, die für Sozialdemokraten, gerade für die Linken unter Ihnen, schmerzlich sind. Der Acht-Stunden-Tag ist nicht mehr gesichert, Bürgergeld-Empfänger müssen mit mehr Sanktionen rechnen und es wird einmal mehr keine Vermögenssteuer geben - und auch keine Erhöhung der Erbschaftssteuer.

Größte sozialdemokratische Magenschmerzen: Neue Restriktionen bei Asyl und Migration

Das Kapitel aber, das den meisten Widerstand heraufbeschwört, sind die neuen, restriktiven Regelungen in Sachen Asyl und Migration. Das Bauchgrummeln vieler - nicht nur junger - Sozialdemokraten angesichts einer Ausländerpolitik, die künftig nicht zuerst auf Humanität, sondern auf Law and Order setzt, kann ich verstehen. Aber ich sehe auch, dass die SPD mitverantwortlich ist, dass es dazu kommen musste. Viel zu lange haben Genossinnen und Genossen einfach ignoriert, dass nicht alle, aber doch viele Kommunen die Integration der Neuankömmlinge nicht mehr ordentlich bewältigen konnten.

Dem Staat ist es auch unter SPD-Führung im Umgang mit Ausländern allzu häufig nicht gelungen, sein Gewaltmonopol durchzusetzen. Dazu hätte die Abschiebung von Menschen gehört, die ihr Gastrecht hier durch Straftaten verwirkt haben. Konsequentes Handeln hätte geholfen, die "Diskursverschiebung nach rechts", die viele Jusos jetzt nicht zu Unrecht beklagen, zumindest aufzuhalten. Die Wählerinnen und Wähler haben der SPD eindeutige Signale gesendet: Allein 720.000 sind zur AfD abgewandert.

Scheitert die Koalition, jubilieren die Demokratie-Verächter

Der entscheidende Grund indes, warum auch Jusos dem Koalitionsvertrag zustimmen sollten, ist die Frage nach der Alternative. Alternativlos ist die schwarz-rote Koalition nämlich nicht. Käme sie nicht zustande, wäre dies Wasser auf die Mühlen der Demokratie-Verächter, die den Parteien der Mitte schon lange nicht mehr zutrauen, die Herausforderungen in diesem Land anzugehen.

Bei einer vorgezogenen Neuwahl, die früher oder später die Folge eines Neins zur geplanten Koalition wäre, ließe sich die AfD mit den vielen Rechtsextremen in ihren Reihen nicht mehr von der Macht fernhalten.

Ich mag mir das nicht vorstellen. Dass die Politik dann besser, also humaner und sozial gerechter wird, daran glaubt doch auch kein Juso. Lars Klingbeil hat dieser Tage von der "verdammten Pflicht der SPD" gesprochen, diesem Koalitionsvertrag zuzustimmen. Lieber Philipp Türmer, liebe Jusos, ich glaube, er hat recht.  

Beste Grüße aus Würzburg

Michael Czygan

Persönliche Post: der Samstagsbrief

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Kommentare
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  • Hiltrud Erhard
    Es geht jedoch um die Überheblichkeit und den Größenwahn unseren des Juso Vorsitzenden.
    Da fehlt es an Einsicht und Weitsicht, aber auch an der Analyse Fähigkeit der Wahl.
    Es ist nicht die Zeit, einen Kühnert oder einen auf dicke Hose zu machen.
    Denn genau diese Haltung treibt doch die Wähler von der SPD weg.
    Daher hat Herr Ziegan schon recht, und dann muss diese Arroganz einfach einmal den Spiegel vorhalten.
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  • Jürgen Gittel
    Eigentlich müsste die Vernunft siegen und die müssten sich einigen. Aber wer glaubt, dass dann Friede, Freude, Eierkuchen ist, wird sich gewaltig täuschen. Es sind viele Punkte in dem potenziellen Koalitionsvertrag nur vage formuliert und jeder legt das so aus, wie es für ihn passt. Das wird noch Reibereien en masse geben und die "16%-Splittergruppe" wird der CDU bestimmt die Hölle heiß machen. Ich gebe denen auf dieser Basis kein Jahr, dann sind wieder Neuwahlen angesagt. Zum Thema AfD: Viele Bürger stehen nicht rechts, sondern sind über die bisherige Politik einfach nur gefrustet. Jetzt ist halt die Gefahr, dass sich nichts ändern wird. Der Merz wird ja auch immer unbeliebter.
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  • Georg Ries
    Was hier in den Kommentaren abgeht, ist für beide Seiten einfach lächerlich!! Aber unterhaltsam, jeder legt noch eine Schippe druff! 😂👏
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  • Stefan Wolz
    Einfachmal den Wählerwillen umsetzen. Keine Sondierungsgespräche. Die stärksten Parteien oen bilden die Regierung fertig. Dann wird auch wieder die Demokratie belebt und 100 % gehen zur Wahl.
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  • Dietmar Eberth
    Schauen Sie sich Länder wie Frankreich, Großbritannien oder USA an, das funktioniert auch nicht besser. Und es besteht die Gefahr von Einheitsparteien wie ehemalige DDR, Ungarn, Türkei, bei der die regierende Partei massiv auf eine Opposition einwirkt.
    Deutschland ist 80 Jahre mit dem Verhältniswahlrecht sehr gut gefahren. Lassen wir es dabei.
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  • Irmgard Engert
    Das war seit 1949 fast noch nie so!
    Sonst hätten wir fast durchgehend seit Gründung der Bundesrepublik Koalitionen von CDU/CSU und SPD geh - das waren bis zur letzten Bundestagswahl immer die zwei stärksten Parteien!
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  • Dietmar Eberth
    Keiner kann zur Zusammenarbeit mit Demokratiefeinden und in Teilen vom Verfassungsschutz als Rechtsextrem eingestuft wird, gezwungen werden. Und das ist gut so.
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  • Günther Schmitt
    Das Volk hat eindeutig Schwarz-Blau gewählt. Bei der nächsten Wahl wird vss. noch deutlicher BLau-Schwarz gewählt werden. Das was aktuell geschieht hat nichts mehr mit Demokartie oder Einhaltung von Wahlversprechen zu tun. Absolut lächerlich !
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  • Georg Wohlfart-Mitznegg
    Das ist dummes Zeug, was sie hier behaupten.
    Es gibt Leute, die die Umionen gewählt haben, weil sie halt konservativ sind.
    Es gibt auch welche,
    die, wozu auch immer,
    diese Alternative für D... gewählt haben.
    Aber aus derartigen Wahlverhalten jetzt herzuleiten,
    es wäre eine konservativ-faschistische Bundesregierung
    vom Volk gewählt worden ist völlig abstrus.
    Allerdings ist es längst überfällig
    zu überprüfen, ob diese Höcke/Krah/Weidel-Truppe überhaupt mit dem Grundgesetz vereinbar ist, unabhängig davon, wieviele Blauherzchen aus Dummheit, Zerstörungswut oder faschistischer Motivation heraus den Neunazis ihre Stimme gegeben haben.
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  • Irmgard Engert
    Gott bewahre uns vor jedweder blauen „Machtergreifung“!!!
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  • Herbert Stapff
    Blau ist angemaltes Braun. Die Geschichte wiederholt sich. Die dümmsten Lämmer wählen ihre Schlächter selbst.
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  • Mario Nikola
    Wenn eine 16% Partei sieben Ministerien bekommt, dann stimmt mit "unserer Demokratie" sowieso etwas nicht......
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  • Martin Deeg
    Tja, das Problem ist halt, dass die Verächtlichmachung demokratischer Mitbewerber beim Wähler vor der Wahl nicht zu einem plötzlichen Kompetenz, Sachkunde- und Fachkräfteschub bei der Union nach der Wahl geführt hat.

    Die AfD hätte im übrigen das gleiche Problem. Das ist dann wohl die natürliche Grenze des "Wählerwillens" - und der wirkliche Schutz für unseren freiheitlich-demokratischen Rechtsstaat.
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  • Irmgard Engert
    Und Sie meinen, bei der SPD ist die entsprechende Kompetenz vorhanden?
    Das hat man jetzt 3 1/2 Jahre sehr gut verfolgen können - ich hab da Kompetenz komplett vermisst!
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  • Martin Deeg
    Woran machen Sie das fest? Viele verwechseln ja Presse-Kampagnen von Springer - die erwiesenermaßen die FDP (!) pushten - und Häme von Interessierten mit der politischen Realität....

    Ich finde, die SPD hat unter extremen Bedingungen eine sehr gute Arbeit gemacht.

    Es wird Ihnen aufgefallen sein, dass die Union nun vieles von dem selbst politisch umsetzen will was sie in der Opposition noch zur Diffamierung und Hetze gegen Ampel, SPD und Scholz missbrauchte?
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  • Angelika Hanft
    Ich finde auch, daß unter den fürchterlichen Umständen (Krieg gegen die Ukraine, Energieversorgung aufrechterhalten, usw.) gute Arbeit geleistet wurde. Das Durchstechen verschiedener Vorhaben, die nur als Arbeitsthese vorlagen, war eine ganz üble Geschichte. Also wäre es für mich schon wohltuend, wenn reflektiert geschrieben wird.
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  • Dietmar Eberth
    Ja, das ist "schlimm"? Wenn man nach der Anzahl der Sitze (120) geht, stünden der SPD nur 6 Ministerien zu.

    Aber wirklich "schlimm": eine 6% Partei (CSU) bekommt sogar 3 Ministerien. Entsprechend ihrer Sitzanzahl (44; CDU 164 Sitze) stünden der CSU nur 2 Ministerien zu!

    Beschweren Sie sich über die Ungerechtigkeit beim Influencer Markus Söder.
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  • Jutta Nöther
    Gebe ich Ihnen Recht. Mir ist es schon immer ein Rätsel, wieso eine Partei, die nur in einem einzigen Bundesland gewählt wird, in der Bundespolitik mitschreien darf....
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  • Lutz Saubert
    Wenn Sie unser Wahlsystem nicht verstehen, brauchen Sie sicher Nachhilfe.
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  • Angelika Hanft
    Immer diese Überheblichkeit! In der BRD lachen andere Bundesländer über den Sonderstatus CSU!
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