
Sehr geehrter Philipp Türmer,
ich schreibe Ihnen, dem Vorsitzenden der Jungsozialisten in der SPD, in Sorge um die Demokratie in Deutschland. Mag sein, dass das für Sie etwas arg hochgestochen klingt. Aber ich fürchte tatsächlich, dass ein Nein zum Koalitionsvertrag von Union und SPD, wie es die Jusos fordern, dieses Land in eine existentielle Krise führen würde. Profitieren würden allein die Feinde unserer pluralen, freien und menschenfreundlichen Gesellschaft.
Natürlich, lieber Herr Türmer, ist es völlig legitim, einzelne Vereinbarungen, die Ihre Parteichefs Saskia Esken und Lars Klingbeil mit Friedrich Merz und Markus Söder von der Union beschlossen haben, doof zu finden. Das geht im Grunde doch allen so, die sich in einer der beteiligten Parteien engagieren - oder Sympathien für diese hegen.
Gleichzeitig gilt, das ist eine Binse: Kompromisse gehören in der parlamentarischen Demokratie dazu. Zumindest, solange eine Partei nicht über die absolute Mehrheit verfügt. Als SPD-Politiker haben Sie in den Ampel-Jahren leidvoll erleben müssen, wie politisch verheerend es ist, wenn die Beteiligten nicht gewillt sind, solche auch einzugehen.
Schlechtestes SPD-Ergebnis, aber die Sozialdemokraten haben sehr erfolgreich verhandelt
Und wenn ich mir die Kompromisse so anschaue, die im 144-seitigen Koalitionsvertrag stehen, dann haben die Sozialdemokraten erstaunlich gut verhandelt. Immerhin ist Ihre Partei mit dem amtierenden Bundeskanzler Olaf Scholz bei der Bundestagswahl kräftig abgestraft worden. Die 16,4 Prozent Stimmenanteil waren das schlechteste SPD-Ergebnis seit Gründung der Bundesrepublik. Das dürfen die knapp 360.000 Mitglieder, darunter 5400 bei uns in Unterfranken, nicht vergessen, wenn sie jetzt abstimmen.
Dass die SPD sieben Ministerinnen und Minister stellen darf, ist das eine. Inhaltliche Plupunkte aus sozialdemokratischer Sicht sind unter anderem die Erhöhung des Mindestlohns, der Erhalt des Rentenniveaus von 48 Prozent oder die Verschärfung der Mietpreisbremse.
Größter Knüller: 500 Milliarden Euro für Investitionen
Den größten Knüller indes scheinen einige Sozis schon wieder vergessen zu haben: Es ist der SPD gelungen, CDU und CSU davon zu überzeugen, an der Schuldenbremse zu schrauben. Und ein 500-Milliarden-Euro-Sondervermögen zu beschließen, mit dem die dringend notwendigen Investitionen in Brücken, Bahnstrecken, Schulen und die klimagerechte Transformation der Wirtschaft endlich angegangen werden können. Wenn das mal kein Gewinn ist!
Und ja, so ist es: Der größere Koalitionspartner Union hat auch ein paar Dinge durchgesetzt, die für Sozialdemokraten, gerade für die Linken unter Ihnen, schmerzlich sind. Der Acht-Stunden-Tag ist nicht mehr gesichert, Bürgergeld-Empfänger müssen mit mehr Sanktionen rechnen und es wird einmal mehr keine Vermögenssteuer geben - und auch keine Erhöhung der Erbschaftssteuer.
Größte sozialdemokratische Magenschmerzen: Neue Restriktionen bei Asyl und Migration
Das Kapitel aber, das den meisten Widerstand heraufbeschwört, sind die neuen, restriktiven Regelungen in Sachen Asyl und Migration. Das Bauchgrummeln vieler - nicht nur junger - Sozialdemokraten angesichts einer Ausländerpolitik, die künftig nicht zuerst auf Humanität, sondern auf Law and Order setzt, kann ich verstehen. Aber ich sehe auch, dass die SPD mitverantwortlich ist, dass es dazu kommen musste. Viel zu lange haben Genossinnen und Genossen einfach ignoriert, dass nicht alle, aber doch viele Kommunen die Integration der Neuankömmlinge nicht mehr ordentlich bewältigen konnten.
Dem Staat ist es auch unter SPD-Führung im Umgang mit Ausländern allzu häufig nicht gelungen, sein Gewaltmonopol durchzusetzen. Dazu hätte die Abschiebung von Menschen gehört, die ihr Gastrecht hier durch Straftaten verwirkt haben. Konsequentes Handeln hätte geholfen, die "Diskursverschiebung nach rechts", die viele Jusos jetzt nicht zu Unrecht beklagen, zumindest aufzuhalten. Die Wählerinnen und Wähler haben der SPD eindeutige Signale gesendet: Allein 720.000 sind zur AfD abgewandert.
Scheitert die Koalition, jubilieren die Demokratie-Verächter
Der entscheidende Grund indes, warum auch Jusos dem Koalitionsvertrag zustimmen sollten, ist die Frage nach der Alternative. Alternativlos ist die schwarz-rote Koalition nämlich nicht. Käme sie nicht zustande, wäre dies Wasser auf die Mühlen der Demokratie-Verächter, die den Parteien der Mitte schon lange nicht mehr zutrauen, die Herausforderungen in diesem Land anzugehen.
Bei einer vorgezogenen Neuwahl, die früher oder später die Folge eines Neins zur geplanten Koalition wäre, ließe sich die AfD mit den vielen Rechtsextremen in ihren Reihen nicht mehr von der Macht fernhalten.
Ich mag mir das nicht vorstellen. Dass die Politik dann besser, also humaner und sozial gerechter wird, daran glaubt doch auch kein Juso. Lars Klingbeil hat dieser Tage von der "verdammten Pflicht der SPD" gesprochen, diesem Koalitionsvertrag zuzustimmen. Lieber Philipp Türmer, liebe Jusos, ich glaube, er hat recht.
Beste Grüße aus Würzburg
Michael Czygan
Da fehlt es an Einsicht und Weitsicht, aber auch an der Analyse Fähigkeit der Wahl.
Es ist nicht die Zeit, einen Kühnert oder einen auf dicke Hose zu machen.
Denn genau diese Haltung treibt doch die Wähler von der SPD weg.
Daher hat Herr Ziegan schon recht, und dann muss diese Arroganz einfach einmal den Spiegel vorhalten.
Deutschland ist 80 Jahre mit dem Verhältniswahlrecht sehr gut gefahren. Lassen wir es dabei.
Sonst hätten wir fast durchgehend seit Gründung der Bundesrepublik Koalitionen von CDU/CSU und SPD geh - das waren bis zur letzten Bundestagswahl immer die zwei stärksten Parteien!
Es gibt Leute, die die Umionen gewählt haben, weil sie halt konservativ sind.
Es gibt auch welche,
die, wozu auch immer,
diese Alternative für D... gewählt haben.
Aber aus derartigen Wahlverhalten jetzt herzuleiten,
es wäre eine konservativ-faschistische Bundesregierung
vom Volk gewählt worden ist völlig abstrus.
Allerdings ist es längst überfällig
zu überprüfen, ob diese Höcke/Krah/Weidel-Truppe überhaupt mit dem Grundgesetz vereinbar ist, unabhängig davon, wieviele Blauherzchen aus Dummheit, Zerstörungswut oder faschistischer Motivation heraus den Neunazis ihre Stimme gegeben haben.
Die AfD hätte im übrigen das gleiche Problem. Das ist dann wohl die natürliche Grenze des "Wählerwillens" - und der wirkliche Schutz für unseren freiheitlich-demokratischen Rechtsstaat.
Das hat man jetzt 3 1/2 Jahre sehr gut verfolgen können - ich hab da Kompetenz komplett vermisst!
Ich finde, die SPD hat unter extremen Bedingungen eine sehr gute Arbeit gemacht.
Es wird Ihnen aufgefallen sein, dass die Union nun vieles von dem selbst politisch umsetzen will was sie in der Opposition noch zur Diffamierung und Hetze gegen Ampel, SPD und Scholz missbrauchte?
Aber wirklich "schlimm": eine 6% Partei (CSU) bekommt sogar 3 Ministerien. Entsprechend ihrer Sitzanzahl (44; CDU 164 Sitze) stünden der CSU nur 2 Ministerien zu!
Beschweren Sie sich über die Ungerechtigkeit beim Influencer Markus Söder.