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Würzburg
IHK-Experte Genders: So funktioniert Nachhaltigkeit
Nachhaltigkeit ist ein abgedroschener Begriff geworden. Aber es ist in der Wirtschaft ein extrem wichtiges Thema, meint Experte Sascha Genders. Was er Betrieben rät.
'Es geht nicht darum, eine Marketingkampagne zu fahren': Sascha Genders ist in der IHK Würzburg-Schweinfurt Experte für Nachhaltigkeit in der Wirtschaft.
Foto: Patty Varasano | "Es geht nicht darum, eine Marketingkampagne zu fahren": Sascha Genders ist in der IHK Würzburg-Schweinfurt Experte für Nachhaltigkeit in der Wirtschaft.
Jürgen Haug-Peichl
 |  aktualisiert: 10.05.2023 10:22 Uhr

Wäre Corona nicht, wäre Nachhaltigkeit zurzeit vielleicht das Top-Thema in der Wirtschaft. Immerhin hat es sich die Bundesregierung ganz groß auf ihre Fahnen geschrieben: Wirtschaftliche Leistungsfähigkeit, ökologische Verantwortung und soziale Gerechtigkeit müssten Hand in Hand gehen, wie es in einem aktuellen Internet-Dossier des Wirtschaftsministeriums heißt.

Doch was genau bedeutet das für Unternehmen? Schließlich wird der Begriff Nachhaltigkeit mittlerweile gerne so schnell rausgeschleudert wie Öko oder Digitalisierung. Fakt ist: 77 Prozent aller Unternehmen in Deutschland mit mehr als 5000 Beschäftigten stuft die ökologische Nachhaltigkeit ihres Tuns als wichtig oder sehr wichtig ein. Das hat 2019 eine Umfrage des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung in Nürnberg ergeben.

Auch in Mainfrankens Wirtschaft spielt Nachhaltigkeit eine immer größere Rolle. Das jedenfalls hat Sascha Genders von der Industrie- und Handelskammer (IHK) Würzburg-Schweinfurt beobachtet. Der 41-Jährige ist stellvertretender Hauptgeschäftsführer, befasst sich seit drei Jahren intensiv mit Nachhaltigkeit und hat kürzlich dazu ein Buch herausgebracht.

Frage: Herr Genders, wann genau ist ein Unternehmen nachhaltig?

Sascha Genders: Wenn es sich mit der Verantwortung seines Tuns für die Gesellschaft beschäftigt. Wir gliedern in der IHK Verantwortung in vier Bereiche: in die Themen Ökologie, Ökonomie, Arbeitsplatz und Gemeinwesen.

Ein Unternehmen muss also mindestens in einem dieser vier Bereiche dauerhaft aktiv sein, um sich nachhaltig nennen zu dürfen?

Genders: Genau. Wichtig ist insbesondere, dass sich das Unternehmen damit strategisch beschäftigt. Es geht nicht darum, eine Marketingkampagne zu fahren. Es geht nicht darum, alleine Recht und Gesetz einzuhalten. Nachhaltigkeit muss nach aktuellem Verständnis vielmehr strategisch und in Bezug auf das Kerngeschäft im Unternehmen etabliert sein.

Nachhaltigkeit ist ein abgedroschener Begriff geworden. Wann wird er falsch verwendet?

Genders: Er wird dann falsch verwendet, wenn man nicht versteht, um was es geht und wenn das Thema eben nicht strategisch angepackt wird. Wenn man nur Werbeeffekte damit erzeugen will, dann ist das keine Nachhaltigkeit. Stichwort: Greenwashing.

Wie oft kommen Ihnen Fälle auf den Tisch, in denen mit dem Begriff Nachhaltigkeit Schindluder getrieben wird?

Genders: Das passiert. Im Umkehrschluss sehen wir aber gerade hier in der Region immer mehr Unternehmen, die erkennen, dass Nachhaltigkeit eine strategische Frage ist. Man kann aber sicherlich feststellen, dass die Verwendung des Begriffes inflationär ist.

Woran erkennt ein Kunde, dass es ein Unternehmen mit der Nachhaltigkeit ernst meint?

Genders: Schwierige Frage. Das Unternehmen sollte natürlich auch kommunizieren, dass es nachhaltig wirkt. Als Kunde hat man unterschiedliche Ansätze. Das kann vom Geschäftsbericht bis hin zur Internetseite des Unternehmens gehen. Letztendlich merkt es der Kunde auch aus dem Geschäftsgebaren.

"Da muss definitiv mehr getan werden."
IHK-Experte Sascha Genders zur Frage, warum Unternehmen bisweilen wenig über ihre Nachhaltigkeit berichten
Klingt sperrig, denn kaum ein Kunde liest den Geschäftsbericht eines Unternehmens. Geht es nicht einfacher? Schließlich gibt es den Spruch "Tue Gutes – und rede darüber".

Genders: Sie haben Recht. Wir wissen aus Umfragen, dass nur zwei von zehn Unternehmen, die sich originär mit Nachhaltigkeit beschäftigen, das auch kommunizieren. Da muss definitiv mehr getan werden. Ohne Zweifel auch ein Thema für Marketing. Wichtig für Unternehmen ist aber, dass sie eine strategische Analyse des Kerngeschäfts aufstellen mit der Frage: An welchen Stellen können wir nachhaltig agieren? Das lässt sich pauschal nicht beantworten und muss letztendlich in die DNA des Unternehmens übergehen. Erst dann prägt sich nachhaltiges Denken und Handeln aus – von der Personalakquise über Marketing bis hin zu Entwicklung und Vertrieb.

Was hat ein Unternehmen von Nachhaltigkeit?

Genders: Es ist definitiv ein Wettbewerbsfaktor. Wenn ein Unternehmen sich nachhaltig aufstellt und das strategisch anpackt, hat es verschiedene Vorteile betriebswirtschaftlicher Art. Stichwort: Akquise von Fachkräften. Junge Menschen wollen zunehmend in Betrieben arbeiten, die nicht nur guten Lohn zahlen und ihnen eine sinnvolle Beschäftigung bieten, sondern die auch Gutes tun für die Allgemeinheit. Ein nachhaltiges Unternehmen tut sich auch einfacher mit Blick auf die Einhaltung rechtlicher Vorgaben. Letztlich ist ein solches Unternehmen auf dem Markt stärker aufgestellt. Man hört oft, dass Nachhaltigkeit oder Gewinne der Weg sei. Das ist der falsche Ansatz. Vielmehr muss das Unternehmen darüber nachdenken, wie es erfolgreich sein kann, nachhaltig agiert und trotzdem Gewinne macht. Kern des Unternehmertums ist es natürlich, Gewinne zu machen. Die Frage ist nur, wie ich diese Gewinne mache.

Klar, ein kommerzielles Unternehmen ist ja kein Wohltätigkeitsverband. Aber wann rechnet sich Nachhaltigkeit mit Blick auf Umsatz und Profit?

Genders: Wenn ein Unternehmen Nachhaltigkeit im Kerngeschäft verankert, dann ist es in jedem Teilbereich nachhaltig. Das lässt sich nicht trennen. Vielleicht wird der Einkauf teurer, vielleicht auch der Vertrieb. Auf der anderen Seite wird die Nachfrage eine andere sein, weil nur der nachhaltige Betrieb rechtlich bedingt auf einem bestimmten Markt aktiv sein darf. Stichwort: Licence to operate. Oder weil der Kunde lieber bei einem nachhaltigen Unternehmen einkauft. Bioprodukte und nachhaltige Produkte boomen. Es ist nachgewiesen, dass diejenigen Unternehmen, die langfristig überleben, diejenigen sind, die sich mit CSR und Nachhaltigkeit beschäftigen.

Auf einer Skala von 1 wie miserabel bis 10 wie super: Wo stehen mainfränkische Unternehmen bei der Nachhaltigkeit?

Genders: Eine pauschale Antwort ist da nicht möglich. Es gibt durchaus erfolgreiche Beispiele…

…nennen Sie doch mal welche.

Genders: In Kitzingen hat kürzlich die Firma Armor Solar Powers Film den deutschen Nachhaltigkeitspreis gewonnen. Oder das Start-up Level3 in Würzburg. Die haben genau jenen Ansatz: Ich mache was Gutes für die Gesellschaft und verdiene erfolgreich Geld damit. Es gibt also viel Gutes. Und es gibt Unternehmen, die das Thema auf dem Schirm haben, es aber nicht kommunizieren. Es gibt natürlich auch den einen oder anderen, der das Thema gar nicht anpackt. Das liegt meiner Erfahrung nach aber eher daran, dass diese Unternehmer nicht verstehen, dass Nachhaltigkeit ein Investment in die Zukunft ist und dass sie eher denken: Ach, das ist doch eh nur Marketing.

Genders Buch und wichtige Begriffe

CSR und Institutionen heißt das Buch, das Sascha Genders vor wenigen Wochen herausgebracht hat. Darin zeigt er mit Hilfe zahlreicher Gastautoren, wie die Wechselwirkung zwischen Politik, Gesellschaft und Wirtschaft in puncto Nachhaltigkeit ist. Unternehmerische Verantwortung steht dabei im Mittelpunkt. (384 Seiten, Verlag Springer Gabler; 44,99 Euro als Softcover-Version, 34,99 Euro als E-Book.)
CSR ist die Abkürzung für Corporate Social Responsibility, zu deutsch: gesellschaftliche Verantwortung von Unternehmen im Sinne eines nachhaltigen Wirtschaftens. Das Bundesarbeitsministerium sieht diese Definition als Synonym für Nachhaltigkeit. Wenn Betriebe das dauerhaft und mit System ernst nehmen, engagieren sie sich zum Beispiel in besonderer Weise für die Umwelt, Soziales oder für die Belange ihrer Belegschaft.
Greenwashing ist der ebenfalls englische Begriff dafür, wenn Unternehmen aus Imagegründen nur so tun, als seien sie nachhaltig und insbesondere umweltfreundlich. Das hat sich offenbar zu einem regelrechten Geschäft entwickelt, wie vor einem Jahr der Schauspieler und Umweltaktivist Hannes Jaenicke bei einem Vortrag in Lohr sagte. "Da wird gelogen, was das Zeug hält."
Licence to operate: Dieser Fachbegriff meint die ungeschriebene Legitimation eines Unternehmens, sich auf Dauer auf dem Markt tummeln zu dürfen. Sie wird als Teil von CSR angesehen. Es geht um langfristige Akzeptanz des Unternehmens bei den Kunden, gerade mit Blick auf Nachhaltigkeit.
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