Jan Meller, Fabian Taigel und Franz Seubert scheinen sich gesucht und gefunden haben. Das Trio ist begeistert vom Potenzial der Künstlichen Intelligenz und hat kürzlich mit ihrer Neugründung namens Level3 den mit 3000 Euro notierten Würzburger Startup-Preis abgeräumt.
Wer ihr Geschäftsmodell bis ins Detail verstehen will, taucht am besten tief ins Bäckereihandwerk ein. Denn dort kommt die Level3-Software bereits zum Einsatz. "Es gelingt uns damit, dass nach Verkaufsschluss spürbar weniger Backwaren weggeschmissen werden müssen", erklärt Taigel (33), der zusammen mit dem gleichaltrigen Meller am Lehrstuhl für Logistik der Uni Würzburg promoviert hat. In dieser Zeit entwickelten sie die Algorithmen, die nun den ersten Bäckereien bei der täglichen Bestellplanung helfen – und das sechs Tage im Voraus.
Bislang baut man dort, aber auch in vielen anderen Branchen häufig noch auf den menschlichen Erfahrungsschatz. Dieser mag bisweilen wertvoll sein. "Das menschliche Gehirn kann aber bei Weitem nicht so viele Kriterien berücksichtigen und vor allem berechnen wie ein Computer", sagt Meller. "Wir verwenden eine Kombination aus stochastischer Optimierung und maschinellen Lernverfahren."
Welche Einflussgrößen bestimmen die Nachfrage von morgen in einer Bäckereifiliale? "Da spielt das Wetter eine Rolle – an einem warmen, sonnigen Tag wird mehr gegrillt –, aber auch der Wochentag, die Ferienzeiten, die Konkurrenzsituation vor Ort und seit diesem Jahr die Corona-Beschränkungen", erklärt Seubert, der seine Masterarbeit zu diesem Thema erstellt hat. Darüber ist er dann auch zu Level3 gestoßen.
Welche Dimension die Verschwendung in den Bäckereien hat
Zwischen 50 und 60 unterschiedliche Backwaren halte eine Filiale täglich vor, berichtet Taigel, der in der Nähe von Rosenheim aufgewachsen ist. Weil der Kunde auch kurz vor der Schließung noch eine relativ große Auswahl erwartet, gebe es jeden Abend einen mehr oder weniger großen Rest. Etwa 20 Prozent aller Backwaren beträgt die letztlich überflüssige Produktion regelmäßig, manchmal ist es sogar mehr.
Wenn in einer Filiale täglich rund 500 Schnittbrötchen – das ist Taigel zufolge ein wahres Praxisbeispiel – verkauft werden, müssen am Abend 100 Brötchen entsorgt werden. Das sind in der Woche bereits 600.
Hochgerechnet ist die Dimension gewaltig. Der Umweltorganisation WWF zufolge werden in Deutschland pro Jahr 1,7 Millionen Tonnen Backwaren zu viel produziert. Ein Teil geht an die Tafeln, wird an Tiere verfüttert, zu Semmelbröseln verarbeitet oder am nächsten Tag zum halben Preis verkauft.
Doch am Ende bleiben immer noch 600 000 Tonnen übrig, die zur Entsorgung in die Backstuben zurückgefahren werden. "Das ergibt eine Lkw-Kolonne voll mit Backwaren von München bis nach Frankfurt", weiß Seubert. "Wenn wir sie mit unserer Künstlichen Intelligenz bis Würzburg verkürzen, wäre schon viel gewonnen."
Der sogenannten Bäcker-AI (das Kürzel AI steht für artifizielle, also künstliche Intelligenz) gelingt es binnen kürzester Zeit bereits jetzt, den Überschuss um bis zu 30 Prozent zu senken. "Das rechnet sich für den Bäcker sofort betriebswirtschaftlich, zumal die Mitarbeiter in den Filialen und in der Zentrale nicht mehr so viel Zeit für die tägliche Planung opfern müssen", erklärt Meller. "Es ist aber auch aus gesellschaftlicher Sicht nachhaltig. Die Produktion von Backwaren ist sehr energieintensiv. Wenn am Ende weniger übrigbleibt, wird auch weniger davon verbraucht."
Doch wie ist Level3 in diese Branche gerutscht? "Zum einen handelt es sich bei Backwaren um verderbliche Lebensmittel. Bei einer Zahnpasta ist es egal, ob sie ein paar Wochen im Verkaufsregal liegt. Zum anderen nutzen alle Bäcker ähnliche IT-Systeme", berichtet Taigel. Das erleichtert die Einführung, denn das Erfassen und Auswerten der Daten ist ein neuralgischer Punkt. Oder, um es mit den Worten von Seubert auszudrücken: "Wenn man in die Künstliche Intelligenz Abfall hineingibt, kommt auch Abfall wieder heraus."
Die Anfang dieses Jahres eingeführte Bonpflicht kam Level3 insoweit entgegen. Denn spätestens mit ihr werden alle verkauften Backwaren fein säuberlich und detailliert erfasst. Rund 200 Bäckereien mit durchschnittlich 20 Filialen wollen die Jungunternehmer in den nächsten drei Jahren als Kunden hinzugewinnen. Den IT-Experten zufolge spart jede Zweigstelle durch die Bäcker-AI zwischen 200 und 400 Euro pro Monat ein. Dafür verlangt Level3 50 bis 100 Euro je Filiale.
Das Würzburger Start-up, das über das Exist-Gründerprogramm des Bundeswirtschaftsministeriums gefördert worden ist, ist indessen nicht auf die Bäckerbranche fixiert. Schließlich gibt es noch mehr schnell Branchen mit verderblichen Lebensmitteln. So finden sich in den Kühlschränken der Märkte zunehmend hochpreisige Boxen mit Sushi oder Antipasti. "Dort ist es auch definitiv sinnvoll, nicht zu viele Produkte vorzuhalten oder vor Ladenschluss ausverkauft zu sein", so Taigel.
Warum Level3 auch für die Industrie interessant sein will
Auch mit Industrieunternehmen hat Level3 bereits Projekte umgesetzt. "Für einen Fahrradhersteller etwa ist es wichtig, dass er nur so viele Rahmen bestellt, wie er dann auch in der Produktion benötigt", erklärt der gebürtige Stuttgarter Meller. "Es wird noch viel zu häufig intuitiv über den Daumen gepeilt."
Im Zuge der Corona-Krise ging es für viele Betriebe allerdings schlagartig ums Überleben, weshalb neue Ideen erst einmal hintangestellt worden sind. So kam der Einstieg in den Bäckermarkt für Level3 genau zur rechten Zeit. Backwaren werden schließlich auch in Krisenzeiten im gleichen Maße gegessen.
Dieser Artikel ist der Auftakt einer losen Serie über Nachhaltigkeit in Unternehmen der Region. Nächster Beitrag: Was Nachhaltigkeit bedeutet und welchen Stellenwert sie in der Wirtschaft hat. Interview mit einem mainfränkischen Experten.