Vor einem Jahr schon warnte die IG Metall davor, dass es unter den Auszubildenden in Deutschland eine Corona-Generation geben könnte. Das befürchtet auch Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD): "Wir kämpfen derzeit gegen die Uhr", sagt er. Und: "Wir dürfen keinen Corona-Jahrgang in der Ausbildung zulassen."
Heil zufolge glauben derzeit viele Betriebe, sich einen Lehrling nicht leisten zu können. Sie zögerten deshalb mit der Anstellung zum klassischen Ausbildungsbeginn, dem 1. September. Auch in Mainfranken wirkt sich die Pandemie auf dem Ausbildungsmarkt aus - aber es gibt auch Lichtblicke.
So meldet die Handwerkskammer für Unterfranken, dass sich bis Ende Juni 1338 junge Menschen für eine Berufsausbildung entschieden haben. Das seien 17 Prozent mehr als im Vorjahrsmonat. Allerdings sei das höhere Niveau von Mitte 2019 - also noch vor Corona - nicht erreicht worden. Grund: Viele Berufsmessen, Praktika und Orientierungsangebote konnten nicht stattfinden. Derzeit sind im unterfränkischen Handwerk 1400 Ausbildungsplätze frei.
Auch wen schon in einer Ausbildung ist, muss mit coronabedingten Ausfällen klarkommen. So sei gerade bei leistungsschwachen Berufsschülern ein Rückstand beim Lernstoff zu beobachten, sagt der Schweinfurter Berufsschullehrer Matthias Endres. Der unterfränkische Bezirksvorsitzende des Verbandes der Lehrer an beruflichen Schulen (VLB) geht zudem in Folge mangelnden Präsenzunterrichts von sozialen Defiziten bei manchen Schülern aus.
Das kann Finn Koch aus Gaukönigshofen (Lkr. Würzburg) bestätigen. In Sommerhausen macht der 21-Jährige im Betrieb von Hans Supp eine Ausbildung zum Schreiner. Es sei für ihn "eindeutig", dass hier und da zwischenmenschliche Kompetenz unter dem Distanzunterricht gelitten habe. Vor Corona hätten die Berufsschullehrer direkt im Klassenzimmer auf Probleme von Schülern reagieren können. Online gehe das nicht so gut.
Mit Blick auf seine Zwischenprüfung im Oktober macht sich Koch "wenig Sorgen". Lücken beim Lernstoff sieht der angehende Schreiner bei sich nicht. In der Berufsschule "ist alles vermittelt worden".
Wo es an den Berufsschulen "punktuelle Defizite" gibt
Allerdings sei ein Maschinenkurs wegen der Corona-Vorschriften um einige Wochen verschoben worden, das sei etwas umständlich gewesen. Im Betrieb in Sommerhausen habe es wegen der Pandemie indes kaum Einschränkungen gegeben, sagt Koch, der ein Lehramtsstudium nach einem Jahr abbrach, um bei Supp seinen Traumberuf als Schreiner zu finden.
Mit Blick auf den Lernstoff an den Berufsschulen spricht Lukas Kagerbauer von der Industrie- und Handelskammer (IHK) Würzburg-Schweinfurt von "punktuellen Defiziten". Die Umstellung auf Online-Unterricht sei zügig erfolgt, aber derart gravierend gewesen, dass er zwangsläufig nicht reibungslos habe funktionieren können. Immerhin seien die Prüfungsergebnisse 2020 nicht signifikant schlechter ausgefallen wie vor der Pandemie, so der IHK-Bereichsleiter Berufsausbildung.
Wo Nachholbedarf ist
Von Nachholbedarf spricht Hauptgeschäftsführer Ludwig Paul von der Handwerkskammer, wenn es um die überbetriebliche Lehrlingsunterweisung geht. Sie hat viele praktische Elemente und ist Teil des schulischen Abschnitts während einer Lehre. Aufgrund staatlicher Vorgaben habe mancher Lernstoff in der "Überbetrieblichen" nicht vermittelt werden können - über alle Ausbildungsberufe hinweg. Die Kurse würden jetzt im Lauf des Jahres nachgeholt, sagt Paul. Die Gesellen- und Abschlussprüfungen fänden heuer auf jeden Fall statt.
Lücke auf Mainfrankens Ausbildungsmarkt wächst
Indes wird auf dem mainfränkischen Ausbildungsmarkt die Lücke zwischen Angebot und Nachfrage immer größer – auch wegen Corona. So gab es laut Agentur für Arbeit in Schweinfurt im Bereich Main/Rhön Ende Juni 1489 freie Stellen bei 671 Bewerbern. Auf einen Bewerber kommen also 2,2 Ausbildungsplätze.
Im Raum Würzburg/Main-Spessart/Kitzingen sieht dies mit einer Quote von 2,19 ähnlich aus. In den Vorjahren war diese Zahl in beiden Regionen zum Teil deutlich kleiner. Dass die Lage für Betriebe heuer nicht so entspannt ist, sieht man beim Blick auf die Bewerber-Zahl: Sie ging allein im Bereich der Arbeitsagentur Würzburg den Angaben zufolge um 6,8 Prozent gegenüber dem Vorjahr auf 2463 zurück.
20 Prozent weniger Lehrlinge im Handwerk
Eine Wende auf dem Ausbildungsmarkt in Mainfranken "ist noch lange nicht in Sicht", sagt IHK-Bereichsleiter Kagerbauer. Die Lücke zwischen Angebot und Nachfrage bei den Lehrstellen sei auf einem Höchststand. Im unterfränkischen Handwerk etwa gab es 2020 etwa 20 Prozent weniger Lehrlinge als zehn Jahre zuvor.
Dass sich weniger junge Menschen im Moment für eine Berufsausbildung bewerben, liege an der rückläufigen Zahl von Schülern, heißt es bei der der Würzburger Arbeitsagentur. Und angesichts der großen Unsicherheit durch die Pandemie wechselten heuer mehr Schulabgänger als bislang lieber an weiterführende Schulen als in einen Ausbildungsbetrieb zu gehen. Zudem habe die Pandemie Berufsberatungen an Schulen, Ausbildungsmessen und ähnliche Orientierungsangebote in den Hintergrund gedrängt.
Viele junge Menschen zögerten mit einer Bewerbung und fragten sich, "ob Betriebe überhaupt ausbilden und ob ein Berufseinstieg in diesen Zeiten gelingen kann", sagt Handwerkskammer-Hauptgeschäftsführer Paul. Die Bereitschaft zur Ausbildung unter den fast 19 000 Handwerksbetrieben in der Region sei dagegen "ungebrochen hoch". Die Kammer werde in diesen Wochen ihr Beratungsangebot für potenzielle Azubis ausbauen, kündigt Paul an: "Aus unserer Sicht muss es keine Corona-Generation geben."
IHK-Experte Kagerbauer erwartet diese "auf keinen Fall". Die Lage sei heterogen: Neben den Problemen von lernschwächeren Lehrlingen gebe es Bereiche, in denen der Ausbildungsalltag geräuschlos laufe. Und habe ein Azubi gravierende Schwierigkeiten in Folge der Corona-Hürden, gebe es immer die Möglichkeit, die Ausbildung um ein halbes Jahr zu verlängern.