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Würzburg/Schweinfurt
Corona-Krise: Woran es an den unterfränkischen Berufsschulen hakt
Soziale Defizite, Lücken beim Stoff: Berufsschüler in der Region spüren die Corona-Einschränkungen hautnah, sagt Verbandsvertreter Matthias Endres. Welche Folgen das hat.
Lernen vor Ort: Das war während der vergangenen Corona-Monate an den unterfränkischen Berufsschulen nicht immer möglich. Das Bild entstand 2019 in einer Berufsschule in Lohr.
Foto: Yvonne Stegmann | Lernen vor Ort: Das war während der vergangenen Corona-Monate an den unterfränkischen Berufsschulen nicht immer möglich. Das Bild entstand 2019 in einer Berufsschule in Lohr.
Jürgen Haug-Peichl
 |  aktualisiert: 09.07.2021 02:18 Uhr

Die Corona-Einschränkungen haben die allgemeinbildenden Schulen massiv getroffen. Dabei wurde klar, dass Schüler, Eltern und Lehrer mitunter an ihre Grenzen kommen.

Vergleichsweise ruhig blieb es lange Zeit um die Berufsschulen in der Region. Doch auch hier mussten Tausende Lehrlinge unter schwierigen Bedingungen mit ihrem Unterrichtsstoff klarkommen. Welche Defizite dabei entstanden sind, was das für die laufenden Prüfungen heißt und wie es an diesen Schulen weitergeht, erläutert Matthias Endres aus Stammheim (Lkr. Schweinfurt).

Der 49 Jahre alte Diplom-Handelslehrer ist unterfränkischer Bezirksvorsitzender des Verbandes der Lehrer an beruflichen Schulen (VLB) und nach eigenen Worten seit 21 Jahren "leidenschaftlicher  Berufsschullehrer". Endres unterrichtet an der staatlichen Ludwig-Erhard-Schule in Schweinfurt.

Sieht Defizite bei manchen Schülern in Folge der Corona-Einschränkungen: Berufsschullehrer und unterfränkischer Verbandsvorsitzender Matthias Endres aus Stammheim.
Foto: Clemens Mayer | Sieht Defizite bei manchen Schülern in Folge der Corona-Einschränkungen: Berufsschullehrer und unterfränkischer Verbandsvorsitzender Matthias Endres aus Stammheim.
Frage: Wird heuer der Unterrichtsstoff an den unterfränkischen Berufsschulen wegen der schwierigen Rahmenbedingungen komplett vermittelt worden sein? Oder muss im neuen Schuljahr etwas aufgeholt werden?

Matthias Endres: Dies ist eine interessante Frage und beschäftigt viele. Es wurde versucht, den kompletten Inhalt der Lehrpläne auch digital zu vermitteln. Ob hier die Schülerinnen und Schüler die Inhalte genauso gut wie im Präsenzunterricht aufgenommen haben oder Defizite aufweisen, wird sich letztlich in den Prüfungen widerspiegeln. Die Lehrerinnen und Lehrer haben ihr Bestes gegeben und versucht, mit viel Aufwand und Mühe den Unterrichtsstoff zu vermitteln.

Für welche Berufsschüler waren die Hürden in den vergangenen Monaten besonders hoch?

Endres: Einige Kolleginnen und Kollegen berichten, dass leistungsstarke Schüler weniger Probleme hatten, dem Distanzunterricht zu folgen, während leistungsschwächere Schülerinnen und Schüler bestimmt Defizite aufweisen werden. Das Kultusministerium hat im Übrigen das Förderkonzept „gemeinsam.Brücken.bauen“ angestoßen. Es ist ein Programm zum Ausgleich pandemiebedingter Nachteile für Schülerinnen und Schüler und soll den Förderbedarf an den Schulen ermitteln. Es bezieht sich nicht nur auf die Lernförderung, sondern auch auf die Förderung der Sozialkompetenzen.

Inwiefern ist das gerade jetzt wichtig?

Endres: Nicht nur die Lerninhalte kamen in der Pandemie wohl zu kurz. Auf alle Fälle wurden durch die Kontaktbeschränkungen auch viele Sozialkompetenzen vernachlässigt. Das Programm soll mit Hilfe von Lehrkräften, angehenden Lehrkräften, Lehramtsstudenten, pensionierten Lehrkräften und Mitschülern als Tutoren Defizite bei den Schülerinnen und Schülern ausgeglichen.

Derzeit laufen an den Berufsschulen Prüfungen. Konnten die Schüler ausreichend vorbereitet werden?

Endres: Wir Lehrkräfte haben unser Bestes gegeben, um die Schüler optimal auf die Prüfungen vorzubereiten. Es wurden kreative Möglichkeiten entwickelt, den Stoff auch im Distanzunterricht zu vermitteln. So wurden viele Videoeinheiten zu verschiedenen Themen erstellt, auch Unterrichtseinheiten mit Erklärvideos wurden den Schülern zur Verfügung gestellt. Die Lehrer waren hier sehr kreativ, um den Schülern bei den Vorbereitungen zur Prüfung zu helfen. Ob dies reicht, das wird sich zeigen. Die Abschlussprüfungen laufen zurzeit noch. Die Anspannung war unter allen Prüfungsteilnehmerinnen und -teilnehmern sowie dem Aufsichtspersonal groß, schließlich war den Medien zu entnehmen, dass die Inzidenzwerte unserer Schüler in den beruflichen Schulen deutlich höher anzusiedeln sind als die Durchschnittswerte in Deutschland. Viele Lehrkräfte hätten sich hier ein rechtzeitiges Impfangebot gewünscht. Auch unter den Schülerinnen und Schülern wurden Impfwünsche geäußert.

"Ein Mangel an sozialen Kompetenzen ist vermutlich in der Zukunft zu spüren."
Berufsschullehrer Matthias Endres über die Folgen der Corona-Kontaktbeschränkungen für Schüler
Sie haben die Kontaktbeschränkungen erwähnt. Fachwissen ist eine Seite der Medaille, soziale Kompetenzen die andere. Wie steht es hier bei den Berufsschülern in der Region?

Endres: Die sozialen Kompetenzen können im normalen Präsenzunterricht viel besser erworben und gefördert werden als im Distanzunterricht. Ein Mangel an sozialen Kompetenzen ist vermutlich in der Zukunft zu spüren. Die Gespräche unter den Schülerinnen und Schülern, mit den Lehrern, mit Beschäftigten im Betrieb haben gefehlt. Die digitale Kompetenz wurde hingegen stark gefördert und ausgebaut. Dies wäre ein Vorteil des Distanzunterrichts. Jedoch gibt es auch hier sehr viele Unterschiede. Mancher Schüler nahm mit dem Handy und kleinem Display am Unterricht teil, während andere Schüler nur auf einen PC mit großem Bildschirm und Drucker zurückgreifen konnten.

Apropos digitale Kompetenz: Wie beurteilen Sie den Online-Unterricht der vergangenen Monate?

Endres: Einige Schüler und Lehrer haben die Pandemie genutzt, um digital besser aufgestellt zu sein. Natürlich gibt es auch Grenzen beim digitalen Unterricht: So konnte mancher fachpraktische Unterricht nicht so umgesetzt werden, wie man es aus den Werkstätten der Berufsschule gewohnt ist. Auch muss festgehalten werden, dass nicht überall das Internet so funktioniert und stabil ist, wie es für den digitalen Unterricht nötig wäre. Immer wieder konnten Schüler den Unterricht nicht verfolgen, weil das Internet oder die Technik versagte. Hier waren in den Schulen die Systemadministratoren sehr zeitintensiv unterwegs, haben eine sehr gute Arbeit geleistet und in kurzer Zeit virtuelle Klassenzimmer eingerichtet, digitale Zugänge an alle Schüler vergeben, Schulungen abgehalten und so weiter.

"Über viele Wochen wurde ausschließlich Distanzunterricht praktiziert."
Berufsschullehrer Matthias Endres über das Fachwissen von schwächeren Schülern, die im Distanzunterricht waren
Präsenz oder Online oder Mischform: Was überwog in den vergangenen Monaten beim Unterricht?

Endres: In den vergangenen Monaten war an den beruflichen Schulen in Unterfranken jede Art von Unterricht vertreten, also Distanz-, Wechsel-, Präsenzunterricht. Über viele Wochen wurde ausschließlich Distanzunterricht praktiziert. Als die Inzidenzen niedriger waren, wurde auf Wechselunterricht umgestellt. Das heißt, ein Teil der Schüler wird im Klassenzimmer unterrichtet, während der andere Teil der Klasse teilweise über Big-Blue-Button (ein Internet-Konferenzsystem, die Red.) den Unterricht live gestreamt bekommt. Bei den aktuellen Inzidenzen findet Präsenzunterricht statt und die getesteten Schülerinnen und Schüler können mit Abstand und Maske den Unterricht im Klassenzimmer wahrnehmen. Der Präsenzunterricht an den Fachoberschulen und Berufsoberschulen fand auch bei einer höheren Inzidenz fortwährend statt. Da hier sehr viele Schülerinnen und Schüler als Abschlussschüler gelten, waren bis zu 90 Prozent von ihnen im Schulhaus. Laut Kultusministerium hatten die Klassen damit Präsenzunterricht. Die Schulhäuser waren deshalb in diesen Schularten sehr voll, obwohl viele Lehrerinnen und Lehrer hier noch keinen Impfschutz hatten, ebenso wie die Schülerinnen und Schüler.

Wie wird an den Berufsschulen der Unterricht im neuen Ausbildungsjahr laufen?

Endres: Aus dem vergangenen Schuljahr haben wir sehr viel gelernt und sind flexibel. Wir werden uns an den beruflichen Schulen auf alles vorbereiten müssen und je nachdem, welche Vorgaben zu den Inzidenzen aus dem Kultusministerium kommen, werden wir unseren Unterricht umsetzen.

Hinweis der Redaktion: An einigen Stellen dieses Artikels war zeitweise zu lesen gewesen, dass Matthias Endres Verbandspräsident ist. Das stimmt nicht, er ist unterfränkischer Bezirksvorsitzender. Wie bitten den Fehler zu entschuldigen.

Berufliche Schulen in Unterfranken

35 000 Schüler sind im vergangenen Schuljahr in Unterfranken an beruflichen Schulen in etwa 1600 Klassen unterrichtet worden. Dazu zählen insbesondere die 13 Berufsschulen in der Region, die Fachober- und Berufsoberschulen (7), die Wirtschaftsschulen (2) und die Berufsfachschulen (13). Zu diesen staatlichen Einrichtungen kommen diverse Schulen in kommunaler oder privater Trägerschaft sowie Förderberufsschulen hinzu.
Duales System: Nahezu jeder Abschlussschüler einer Real-, Mittel- oder Förderschule startet nach den Worten des VLB-Bezirksvorsitzenden Matthias Endres eine Ausbildung und besucht damit eine der beruflichen Schulen. Sie sind fester Bestandteil des dualen Ausbildungssystems in Deutschland, das neben der Arbeit im Ausbildungsbetrieb einen schulischen Teil vorschreibt.
aug
 
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